Religion und Ethik. Ein Vergleich

Traditionellerweise kümmern sich Glaubensgemeinschaften und Religionen um Sinnfragen, um Wertfragen und um ethische Richtlinien. In der christlich geprägten Kultur sind beispielsweise die 10 Gebote, die Moses angeblich auf dem Berg Sinai von Gott erhalten hat, grundlegend. Im Islam sind es die fünf Säulen des Islam. Religionen haben für ihre Werte und für die Verhaltensregeln, die sie daraus ableiten, einen absoluten Bezugspunkt. Sie glauben, dass diese Werte und Normen den Menschen von Gott übermittelt worden seien. Insofern kann man diese auch nicht einfach aufgeben oder loswerden; zumindest nicht ohne sich gegen den göttlichen Willen zu versündigen. 

 

Allenfalls kann man religiöse Vorschriften neu interpretieren. Dann stellt sich zum Beispiel die Frage, wer denn dazu berechtigt sein soll. In vielen Glaubensgemeinschaften beanspruchen religiöse Autoritäten, z. B. Priester oder Schriftglehrte, das Vorrecht, Regeln für alle verbindlich zu deuten. Von den Gläubigen wird dann Gehorsam verlangt, selbst dann, wenn sie die Richtigkeit dieser Regeln nicht nachvollziehen können oder nicht einsehen. 

 

Moderner ist es allerdings, den Menschen auch einen persönlichen Entscheidungsspielraum in ethischen Fragen zu geben. Das ist z. B. dann der Fall, wenn gläubigen KatholikInnen zugestanden wird, gegen die offizielle religiöse Lehre selbst zu entscheiden, ob sie zusammenleben wollen, obwohl sie im katholischen Sinn kein Ehepaar sind; oder wenn gläubigen KatholikInnen gegen die offizielle Lehre zugestanden wird, selbst zu entscheiden, ob sie technische Verhütungsmittel einsetzen. Im Islam wäre ein Beispiel, dass liberale ReligionswissenschaftlerInnen oder Imame Frauen zugestehen, selbst zu entscheiden, ob sie in der Öffentlichkeit "ein Kopftuch" tragen wollen. 

 

In einer modernen säkularen (säkular = weltlich, nicht-religiös) Gesellschaft, in der Menschen mit ganz unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen in einem Staat zusammenleben und sich viele Menschen überhaupt nicht einer Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlen, können Normen (beispielsweise in Schulen, in Unternehmen, in einem Staat) nicht religiös begründet werden. Es braucht also eine nicht-religiöse Ethik. 

 

Dabei geht es um die Frage, wie Werte und Handlungsregeln letztbegründet sind. Religionen können sie auf eine göttliche Autorität zurückführen. Säkulare Institutionen können das nicht. Sie müssen sie z. B. demokratisch (Mehrheit) festlegen. Oder sie müssen sie von übergeordneten Prinzipien (z. B. Menschenrechte, Verfassung) ableiten. 

 


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säkulare Ethik und religiöse Ethik im Vergleich. Zum Weiterdenken
Ordne Aussagen im Hinblick auf die Frage, ob sie auf einer religiösen oder auf einer nicht-religiösen Ethik aufbauen. Begriffe aus dem Themenfeld definieren.
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