Wie andere uns beeinflussen ...

Grundlegende Erkenntnisse und wichtige Forschungen im Telegramm-Stil

Dass Menschen sich in ihrem Verhalten stark an anderen Menschen orientieren, zeigt zunächst einmal unsere Alltagserfahrung. Auf welche Weise das passiert und unter welchen Umständen wir uns in unserem Verhalten von anderen Menschen beeinflussen lassen, untersucht die Sozialpsychogie auf ganz unterschiedliche Weise. Ein paar Beispiele: 

  • Experimente zum Modell-Lernen von Bandura und Walters. Bandura und Walters zeigen in ihren Experimenten, dass wir eine Vielzahl von Verhaltensweisen erlernen, indem wir Modelle beobachten und imitieren. Wichtige Modelle sind natürlich Eltern, andere Autoritätsfiguren (LehrerInnen, TrainerInnen, ...), ältere Geschwister und FreundInnen, Gruppen-FührerInnen ....
  • Salomon Ash zeigt in seinem Experiment-Klassiker zur Konformität, dass Menschen häufig bereit sind, ihre eigene Meinung oder Überzeugung zu ändern, wenn sie in einer sozialen Umgebung sind, in der Menschen eine gegenteilige Überzeugung vertreten. 
  • Stanley Milgram zeigt in seinen Experimenten, dass Menschen oft (oder: unter bestimmten Umständen) bereit sind, gegen ihre eigene Überzeugung und gegen ihr eigenes Gewissen einer "Autoritätsperson" zu gehorchen. 
  • Die moderne Spieltheorie (Verhaltensökonomie) zeigt u.a., dass die meisten Menschen sich grundsätzlich fair verhalten; wenn sie aber glauben, dass andere Menschen egoistisch handeln und Spielregeln verletzen, ändern sie ihr Verhalten und werden zu Egoisten. So finden es die meisten Menschen grundsätzlich richtig, dass sie Steuern bezahlen und einen Beitrag zum Staatshaushalt leisten müssen. Dieselben Mesnchen findenes aber dann grundstäzch in Ordnung, Steuern zu hinterziehen, wenn sie denken, dass Mächtige und PolitikerInnen unsolidarisch sind, "es sich richten" und für Fehlverhalten nicht zur Verantwortung gezogen werden. Menschen haben grundsätzlich Hemmungen, öffentliche Räume durch ihren Abfall zu "verschandeln". Wenn sie aber an einem Ort sind, an dem bereits andere Menschen ihren Dreck liegen gelassen haben, werfen auch viele dieser Menschen ihren Müll einfach auf den Boden.   
  • Die moderne Verhaltensökonomie (z. B. Dan Ariely) zeigt, dass Menschen sich in ihrem Verhalten stark an dem orientieren, was andere Menschen in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld tun und vertreten. So finden z. B. Menschen ihr Gehalt völlig unabhängig von ihrer eigenen Leistung und völlig unabhängig von der tatsächlichen Höhe vor allem dann gerecht, wenn andere Menschen in ähnlichen Milieus und Positionen ähnlich viel verdienen (am besten: ein bisschen weniger). So finden Manager in bestimmten Branchen es anscheinend völlig in Ordnung, wenn sie ein Jahresgehalt von einigen Millionen Euro haben. Sie vergleichen sich ja nicht mit der "einfachen Sekretärin" sondern mit anderen angeblichen Top-Managern bei der Konkurrens. So hat die Veröffentlichung von Management-Gehältern nicht - wie eigentlich erhofft - zu einer "Bremse" geführt. Ganz im Gegenteil. Und wir finden, dass es zu einem ganz normalen Lebensstandard gehört, in einer Villa mit Swimming-Pool zu wohnen, ein Cabrio und einen SUV zu fahren, zweimal im Jahr in exotische Destinationen in den Urlaub zu fliegen und für die Tochter ein Reitpferd zu kaufen, wenn wir in einer entsprechenden sozialen Nachbarschaft leben. 

 

 

Ein konkretes Beispiel: das Stanford-Prison-Experiment

Stanford-Prison-Experiment
Stanford-Prison-Experiment

1971 führt ein Forscherteam rund um den us-amerikanischen Psychologen Philipp Zimbardo an der Universität Stanford ein verstörendes Experiment durch, das unter dem Namen Stanford-Prison-Experiment in die Geschichte der Psychologie eingeht. Es hat gewisse Ähnlichkeiten mit den älteren Experimenten von Ash und von Milgram, in denen es jeweils um die Frage geht, wie wir uns in unserem Verhalten an unsere soziale Umgebung anpassen.

 

Für das Experiment werden 24 College-Studenten ausgewählt; das Hauptkriterium für die Auswahl ist eine psychische Unauffälligkeit (emotionale Stabilität, normales Persönlichkeitsprofil, unbescholtene Vergangenheit). Nach dem Zufallsprinzip werden die Studenten in zwei Gruppen eingeteilt. Die Mitglieder der einen Gruppen sollen die nächsten zwei Wochen in der Rolle als Gefängniswärter, die Mitglieder der anderen Gruppe in der Rolle als Gefangene das Experiment bestreiten. In den folgenden Tagen stellt sich heraus, dass die soziale Rolle das Verhalten der einzelnen Personen zunehmend zu bestimmen beginnt. Vor allem die Wärter beginnen – obwohl sie in den Persönlichkeitstests vor der eigentlichen Experimentphase keine sadistischen oder übermäßig aggressiven Tendenzen gezeigt haben – die „Gefangenen“ entwürdigend und sadistisch zu behandeln. Beispielsweise reagieren sie auf (tatsächlichen oder vermeintlichen) Widerstand der „Gefangengen“ mit brutalen Strafen wie Essensentzug, Isolation oder dem Befehl, mit bloßen Händen verschmutzte Toiletten zu reinigen. Die Gefangenen ihrerseits reagieren innerhalb weniger Tage mit schwer depressiven und regressiven Verhaltensmustern. Das für 14 Tage geplante Experiment muss nach sechs Tagen abgebrochen werden, weil die Situation völlig zu entgleisen droht.

 

Die Auswertung des Experiments ergibt unter anderem Folgenden: Offenbar hat die Tatsache, dass den „Gefängniswärtern“ zu ihrem Auftrag keine klaren Regeln und keine Grenzen mitgeteilt worden sind, wesentlich zu ihrem „Machtrausch“ beigetragen hat. Auch dass die Wärter Uniformen, spiegelnde Sonnenbrillen, Trillerpfeifen, Handschellen und andere Machtmittel in die Hand bekommen, dürfte diesen Effekt verstärken. Umgekehrt müssen die „Gefangenen“ ihre private Kleidung gegen Anstaltskleidung eintauschen. Sie werden nicht mit ihrem Namen, sondern mit einer Nummer angesprochen. Alle diese Faktoren dürften dazu beigetragen haben, dass die „Gefangenen“, vor allem aber auch die Wärter ein Verhalten an den Tag gelegt haben, das mit ihrer „normalen Kernpersönlichkeit“ nur wenig zu tun zu haben scheint. Oder doch?

 

Dass das Stanford-Prison-Experiment – zum Teil aus methodischen Gesichtspunkten, vor allem aber aus ethischer Perspektive – auch scharf kritisiert worden ist, ist nachvollziehbar und berechtigt. Andererseits sind die psychischen Parallelen zu authentischen Fällen (z. B. zur Folterung von Kriegsgefangenen durch US-SoldatInnen im Irak-Krieg oder zu anderen Fällen, wo Polizei- oder Justizbeamte foltern) erschreckend nahe liegend.

 

Der Spielfilm "Das Experiment" (2001) basiert auf dem historischen Experiment. 

 


Was wir aus dem Stanford-Prison-Experiment lernen können. Und wie wir es bewerten sollten (R, T)

  • Was führt offenbar dazu, dass „ganz normale“ Menschen – wenn die äußeren Umstände dies begünstigen – zu gewaltbereiten und sadistischen Verhaltensweisen greifen? Und das, obwohl niemand sie dazu aufgefordert oder ermutigt hat?
  • Ist das Verhalten der „Gefängniswärter“ etwas, was zu deren Persönlichkeit gehört? Oder ist es etwas Persönlichkeitsfremdes?
  • Welche aktuellen oder historischen Ereignisse zeigen, dass Menschen sich ähnlich verhalten wie die Versuchspersonen im Experiment?
  • Wie ist das Experiment aus deiner Sicht ethisch zu bewerten?