Was ist Sprachphilosophie?

R. Magritte (Bildquelle: Wikipedia)
R. Magritte (Bildquelle: Wikipedia)

"Das ist keine Pfeife"

--> Warum nicht?

--> Und wenn es keine Pfeife ist: Was ist es dann? 

Sprachphilosophie als Teilbereich der Erkenntnistheorie

Die Sprachphilosophie als eigenständigen Teilbereich der Philosophie entsteht rund um das Jahr 1900. Denn lange Zeit ist die Philosophie - ebenso wie andere akademische Disziplinen - mit Sprache ziemlich unreflektiert umgegangen. Sie hat sie als "Werkzeug" oder als "Instrument" benutzt, um ihre Theorien zu formulieren. Dabei hat man offenbar einfach angenommen, dass Sprache eine Art "neutrales Medium" sei, das einfach zwischen Denken und Wirklichkeit vermittle. 

 

Zwar hat man sich schon in der Antike über sprachliche Elemente (GrammatikSemantik = Lehre von der Wort- und Textbedeutung, Pragmatik = Sprache im Kontext) Gedanken gemacht und Theorien dazu entwickelt. Auch gibt es spätestens seit der Zeit der Aufklärung Theorien, die sich mit der Entstehung von Sprache oder mit der Frage nach der "ersten" oder "natürlichen" oder "besten" Sprache auseinandersetzen. Allerdings muten diese ersten Theorien aus heutiger Sicht etwas naiv an. Manche - wie der französische Philosoph Rousseau - meinen, Sprache habe sich aus den natürlichen Lautäußerungen, wie auch Tiere sie von sich geben, entwickelt. Sie meinen, es gehe beim Sprechen vor allem darum, Befindlichkeiten oder Gefühle zu äußern.  Andere Denker (zumeist in der Tradition des Aristoteles) stellen die Grammatik ins Zentrum. Sie meinen, menschliche Sprache habe ihren Ursprung im Denken und sei vor allem ein Ordnungssystem. 

 

Aber eine systematische philosophische Auseinandersetzung mit der Frage nach dem "Wesen" von Sprache entsteht aber erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Analytischen Philosophie. Im Hintergrund ist die Erkenntnis, dass Sprachprobleme (also z. B. eine "unsaubere" Verwendung von Sprache) zwangsläufig auch zu theoretischen Problemen führen. Wenn wir die in der Sprache steckenden Fehlerquellen finden und die Sprache davon reinigen, hätten wir das Problem gelöst, ist der Kerngedanke in der Analytischen Philosophie, den die so genannten Neopositivisten des Wiener Kreises ins Zentrum stellen. 

 

Doch schon bald stellte sich heraus, dass das etwas kurz und naiv gedacht war. 

Worum geht es? Hintergrund.

Sprachphilosophie fragt – grob gesagt -  „nach dem Wesen von Sprache“. Dazu gehören viele Unterfragen, z. B.

  • die Frage nach der Beziehung zwischen Sprache und Erkennen
  • die Frage nach den „Fallstricken“, die durch ungenaue / fehlerhafte Sprache entstehen
  • die Frage nach den Elementen, aus denen Sprache besteht
  • die Frage nach unterschiedlichen Funktionen, die Sprache hat
  • die Frage nach der Beziehung zwischen Sprache und Wirklichkeit (Ähnlichkeit versus Abbild versus Filter versus Konstrukteur)

 

Als grundlegende philosophische Disziplin und als Teilrichtung der Erkenntnistheorie beginnt die Sprachphilosophie um 1900: Der Neopositivismus des Wiener Kreises definiert die Aufgabe der Philosophie als Sprachkritik mit dem Ziel, sinnvolle von sinnlosen Sätzen zu unterscheiden. Dafür soll Philosophie ein Kriterium entwickeln. Die Vertreter des Wiener Kreises schlagen das Verifikationsprinzip als Sinnkriterium vor. Damit scheitern sie allerdings. Denn Karl Raimund Popper zeigt, dass gerade die allgemeinsten Sätze der Erfahrungswissenschaft („Alle Metalle dehnen sich bei Erwärmung aus“) nicht verifizierbar sind.

 

Die Sprachphilosophie prägt viele philosophische Diskurse und Debatten im 20. Jahrhundert. Die Frage nach dem Wesen der Sprache, nach den Aufgaben und Funktionen von Sprache und nach der Beziehung zwischen Sprache und unserem Bild von Wirklichkeit prägen das Denken von wichtigen DenkerInnen wie Ludwig Wittgenstein (Sprachspieltheorie), John Searle (Sprechakttheorie), den Konstruktivismus, den Dekonstruktivismus (J. Derrida, M. Foucault), die Queertheorie (Judith Butler) …

Was ist Sprache? Die Frage nach den Funktionen von Sprache.

Wenn wir uns etwas systematischer mit Sprache beschäftigen, erkennen wir schnell, dass Sprache ganz unterschiedliche Funktionen hat. Manchmal entstehen Probleme auch dadurch, dass zwei Gesprächspartner ein-und-denselben Satz im Hinblick auf seine Funktion unterschiedlich verstehen. 

 

Überblick über einige Funktionen, die Sprache haben kann: 

 

  • Mittel, zwischen zwei oder mehreren Lebewesen Informationen auszutauschen; Mittel zur Kommunikation
  • Mittel, um Gedanken zu strukturieren (alte philosophische Streitfrage, ob Denken ohne Sprache möglich ist / wäre)
  • Mittel, um Gedanken in Raum und Zeit zu verbreiten oder zu konservieren (Tradierung von Wissen; Verbreitung von Wissen)
  • Mittel, um Wirklichkeit abzubilden (Abbildtheorie; „Das BRG Dornbirn-Schoren ist eine AHS“; alte philosophische Streitfrage, ob Erkenntnis ohne Sprache möglich ist / wäre)
  • Mittel, um zu fiktionalisieren / Wirklichkeitsgrenzen zu überschreiten („Im Jahr 2050 gründeten die ersten Menschen auf dem Mond eine Stadt.“)
  • Mittel, um Wirklichkeit zu erzeugen (performative Funktion von Sprache; z. B. Spruch eines Richters: „Ich spreche Sie frei.“)
  • Mittel, um Empfindungen auszudrücken („Mir ist schlecht.“ „Ich habe Angst.“ "Mir gefällt dieses Bild."
  • Mittel, um ästhetische Urteile zu fällen. ("Dieses Kleid ist hässlich.") 
  • Mittel, um ethische Urteile zu fällen. ("Umweltverschmutzung ist schlecht.")
  • Mittel, um Aufmerksamkeit zu lenken / zu steuern (z. B. Fragen zu stellen, Provokation durch Sprache)
  • Mittel, um Befehle und Aufforderungen und Bitten zu äußern ("Schließ bitte die Tür.")
  • Mittel, Wirklichkeit zu erzeugen und zu beeinflussen: konnotativer Gehalt von Begriffen, z. B. „Mauer“ <-->„antifaschistischer Schutzwall“ // „Terrororganisation“ <-> „Befreiungsorganisation“ //„Nigger“ <->“Schwarzer“ <-> „Farbiger“ <-> „Afroamerikaner“: G. Orwell: „1984“: Wahrheitsministerium
  • Machtinstrument oder Herrschaftsinstrument (über Sprache kann man Herrschaftsansprüche und ein bestimmtes Bild von Wirklichkeit durchsetzen; Definitionsmacht über Phänomene)
  • Instrument gegen die Macht // Aufklärungsinstrument // Widerstandsinstrument (Ideologie-Kritik; Dekonstruktivismus)
  • Mittel zur Provokation

 

Grundlegende Probleme, mit denen Sprachphilosophie sich auseinandersetzt.

Problem 1: Mehrdeutigkeit von Sprache: Was der Sender sagt, ist oft nicht ident mit dem, was beim Empfänger ankommt. Es entstehen Missverständnisse. Im Extremfall redet man aneinander vorbei.

 

Problem 2: Ungenauigkeit und Fehlerhaftigkeit von Sprache: Es entstehen manchmal unsinnige Sätze oder inhaltsleere Sätze, ohne dass wir es erkennen. Wir produzieren dann sozusagen "Sprachmüll". Oder wir durchschauen nicht, dass andere Sprachmüll produzieren, und denken, wir seien zu dumm, um die klugen Gedanken einer anderen Person zu verstehen. Oder wir können kluge Gedanken nicht von Sprachmüll unterscheiden. 

der radikale Lösungsansatz: "Raus mit dem Müll!". Die Philosophie der idealen Sprache (Wiener Kreis. Wittgenstein 1)

  • Z. B. Sprachtheorie des Wiener Kreises; Wittgenstein 1 (Tractatus)
  • Betrachtet normale Sprachen als defizitär → genügt aufgrund verschiedener Ungenauigkeiten nicht den strengen Ansprüchen der Logik
  • Ziel:  Ersetzen der normalen Sprache durch eine ideale, formale Sprache (z.B.: Sprache der Wissenschaft; Formalisierung von Sprache z. B. durch Icons = Symbole, wie sie im Straßenverkehr / auf Flughäfen, … verwendet werden)

der moderate Lösungsansatz: Die Philosophie der realen Sprache (Wittgenstein 2: Sprachspieltheorie und Sprechakt-Theorie)

Sprachspieltheorie

  • Z. B. Ordinary Language Philosophie (Quine, …); Wittgenstein 2, (Philosophische Untersuchungen / Sprachspieltheorie), Konstruktivismus
  • Betrachtet normale Sprache nicht als defizitär, sondern als völlig brauchbar für den Zweck, für den sie eingesetzt wird, nämlich zur Verständigung im sozialen Umfeld.
  • Berücksichtigt unterschiedliche Funktionen von Sprache
  • Sprachliche Ungenauigkeiten / Mehrdeutigkeiten als Chance, nicht als Problem (z. B. Ironie, Sprachspiele, Sprachwitz, …), die von kompetenten SprecherInnen / HörerInnen im Normalfall decodiert werden können
  • Kultur formt die Sprache und die Art und Weise, wie über etwas gesprochen wird / werden kann / werden darf --> unterschiedliche Narrative in unterschiedlichen Kulturen

 

Sprechakttheorie

 

  • Auch „Sprechhandlungstheorie“
  • Basiert darauf, dass man mit Reden nicht nur Sachverhalte beschreibt, sondern darüber hinaus Handlungen (Akte) vollzieht; z.B.: etwas anordnet (Befehl), einer Person oder Sache einen Namen gibt (Taufe, Benennung), sich selbst zu einem Tun verpflichtet (Versprechen), jemanden auf eine Gefahr hinweist (Warnung) oder jemanden seelisch verletzt (Beleidigung).
  • Beispiel für Sprechakt: Richter: „Mangels an Beweisen spreche ich Sie frei“ è an Person gebunden, die Kraft ihres Amtes waltet / legitimiert zu einem Sprechakt ist (nur Richter in seiner Funktion kann diese Wirklichkeit schaffen // an konkrete Situation gebunden (Gerichtsverhandlung), Formelhaftigkeit (es muss genau die richtige Formulierung verwendet werden)
  • Gesellschaftliche Narrative = Art und Weise, wie über etwas (z. B ein bestimmtes historisches Ereignis wie den NS) in einer Gesellschaft / Kultur / Subkultur gesprochen wird / werden darf
  • Wirkmächtigkeit von Begriffen (J. Butler: Queer-Theorie)
  • untersucht das Wesen sprachlicher Handlungen, ihre Klassifikation und ihre Erklärung.

 

Sprechakt

lokutionär

(Sprachäußerung)

illokutionär
(Absicht)

perlokutionär

(Erfüllung)

     

"Es schneit"

Warnung

Vorsichtig fahren

   

Feststellung

Skitag planen, Ski aus dem Keller holen, ...

   

Aufforderung, Appell

ein Gespräch beginnen


Arbeitsaufgaben

A1Versuche eine Beschreibung und eine Interpretation des Bildes "Ceci n'e pas une pipe" von René Magritte. Wie lässt sich die Aussage, dass das Bild keine Pfeife beschreibe (sei) erklären? Welche Idee von Sprache, genauer: von Begriffen wird hier deutlich? 

 

A2: Gedankenexperiment: Stell dir vor, du wachst eines Tages auf und stellst fest, dass dir die Sprache abhanden gekommen ist. Wie verläuft dieser Tag? (Oder etwas einfacher: Stell dir vor, du erwachst eines Tages in China in einer Provinzstadt, in der niemand Deutsch, Englisch, Französisch ... versteht und in der alles nur in chinesischen Schriftzeichen beschrieben ist. Wie verläuft dieser Tag?)

 

A3: Welche Bedeutung haben folgende Sätze? Welche der Sätze sind "wahr"? Welche sind falsch? Welche sind "weder wahr noch falsch"? Welche sind sinnlos? Welche sind unverständlich? Warum? Welche Sätze sind analytische Definitionen und sagen über die empirische Welt nichts aus? Welche Sätze sagen etwas über die empirische Welt aus? ...

 

  • Bäume sind Pflanzen mit Wurzeln, einem Stamm, Ästen und Blättern oder Nadeln.
  • In unserem Garten steht ein Kirschbaum.
  • Bäume haben eine Seele.
  • Wir haben vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr gesehen.
  • Bäume verbäumern die Welt.
  • Klettere auf den Baum!
  • Der verliebte Baum tanzt.
  • Koniferen sind hässlich.
  • Wir dürfen diese Bäume nicht fällen!
  • Bäume verwandeln mithilfe von Sonnenlicht und Wasser CO2 in Zellulose.  Sauerstoff bleibt dabei als „Abfall“ übrig.
  • Bäume sind Lebenssymbole.
  • Ein einsamer Baum stand am Wegrand.
  • „Baum“ ist ein Nomen.
  • „Baum“ ist ein Unterbegriff zu „Pflanze“. Und Pflanze ist ein Unterbegriff zu „Lebewesen“. Also ist ein Baum ein Lebewesen.

 

A4: Suche Beispiele für die unterschiedlichen Funktionen von Sprache (kognitiv, sozial, emotiv, appellativ). Welche Sprachform herrscht in folgenden Situationen vor: Schulunterricht, Wissenschaft, Ausgehen mit Freunden am Wochenende, der erste Kinoabend mit dem großen neuen Schwarm, Fußballtraining im Verein, ....

 

A5: Kläre für dein philosophisches Glossar den Begriff "Sprachphilosophie" und den Begriff "Sprechakttheorie".

 

A6: Stelle mithilfe eines Struktur-Baums dar, wie die Sprachphilosophie in die Philosophie einzuordnen ist.  (Philosophie --> Erkenntnistheorie --> Sprachphilosophie --> Unterformen der Sprachphilosophie. Ordne der Sprachphilosophie zentrale Fragestellungen zu. 

 

A7: Definiere mit Hilfe der Sprechakttheorie möglichst unterschiedliche illokutionäre und perlokutionäre Funktionen von Äußerungen wie "Wir haben Schularbeit", "Es ist gleich Pause", "In zwei Monaten haben wir Matura", "Mein Notebook ist kaputt", "Du spielst Gitarre", "Jugendliche spielen zu viel am Computer", "In Notebookklassen wird kaum noch von Hand geschrieben", ....


Quellen und Links