Was ist klassische Konditionierung?

Erlernte Reflexe. Oder: die einfachste Form des Lernens

Klammer-Reflex
Klammer-Reflex beim Kleinkind

Reflexe sind angeborene Reaktionen auf einen bestimmten Reiz. der auf den Körper ausgeübt wird.

 

Ein Beispiel  dafür der Klammerreflex beim kleinen Kind: Wenn wir die Handflächen eines Neugeborenen oder einen Babys in den ersten Lebensmonaten berühren, reagiert das Baby automatisch mit dem Schließen der Finger. Wir können das Baby dann an seinen Händen hochheben und es wird dabei nicht loslassen. Der Klammer-Reflex bildet sich im Alter von etwa 6 Monaten zurück. Das ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir unsere Finger gezielt gebrauchen und feinmotorisch schulen können. Der Klammerreflex, der auch an den Zehen funktioniert, ist wahrscheinlich ein altes biologisches Erbe, das bei uns Menschen eigentlich keine Funktion mehr hat. Evolutionsgeschichtlich ist er bedeutsam. Babys konnten sich an der Mutter festhalten, wenn dies grad keine Hand frei hatte. So war sichergestellt, dass das Baby nicht verlorengeht. 

 

Andere Reflexe sind beispielsweise

  • der Kniesehnen-Reflex (Test, bei dem bei neugeborenen grundlegende neurologische Reaktionen überprüft werden)
  • der Lidschluss-Reflex
  • der Schluck-Reflex
  • das reflexhafte Erbrechen
  • der Husten-Reflex

u.a.m. 

 

Reflexe spielen bei uns Menschen eine eher untergeordnete Rolle. Aber ein paar (im Krisenfall eventuell überlebenswichtige) Reflexe haben sich erhalten. 

 

Was für uns wichtig ist: Reflexe sind Reaktionen, die durch einen Auslöser (Wahrnehmung) verursacht werden. Reflexe sind sehr schnell. Aber: Reflexe sind ungenau (unspezifisch). Beides hat damit zu tun, dass die reflexhafte Reaktion ohne das Zutun unserers Bewusstseins zustande kommt. Oder in anderen Worten: Reflexe lassen sich nicht durch Denken oder durch unseren Willen beeinflussen. Die Reaktion erfolgt, bevor uns überhaupt bewusst geworden ist, dass ein bestimmter Auslösereiz die reflexartige Reaktion in Gang gesetzt hat. 

Gibt es erlernte Reflexe?

Schon um 1900 herum - also zu einem Zeitpunkt, an dem es die Psychologie als wissenschaftliche Disziplin noch gar nicht gibt - interessieren sich Forscher für die Frage, ob Menschen (und Tiere) Reflexe auch lernen können. Und schon bald stellte sich heraus, dass das der Fall ist. 

 

Solche erlernten (oder: bedingten) Reflexe wurden z. B. vom Russischen Reflexologen Ivan Pawlow (Pawlowscher Hund) und vom us-amerikanischen Verhaltenspsychologen John Watscon ("Der kleine Albert", 1920) erforscht. 

Watson oder der kleine Albert

Der us-amerikanische Psychologe John B. Watson berichtet 1928 von folgendem Experiment, das er selbst durchführte und mit dem er beweisen wollte, dass Angstverhalten eine erlernte Reaktion ist:

 

Der zirka neun Monate alte Albert war ein völlig unauffälliges Kind, das gerne mit Tieren spielte. Mit Vorliebe beschäftigte

Albert sich mit Kaninchen. Während eines einwöchigen Experiments passierte Folgendes: Immer, wenn Albert sich einem Kaninchen näherte und mit dem Kaninchen zu spielen begann, ertönte ein lauter, schriller, extrem unangenehmer Glockenton. Der kleine Albert reagierte mit Angstreaktionen (Schreien, Wegrennen, Weinen, ...) Schon nach wenigen Versuchsanordnungen reagierte Albert allein auf die Anwesenheit des Kaninchens mit Angstreaktionen. Dieses Verhalten blieb auch über längere Zeit (bis zum Ende des Experiments) aufrecht. Kaum erblickte Albert das Kaninchen, reagierte er mit Wegrennen, Schreien und Weinen. Darüber hinaus dehnte sich die Angstreaktion Alberts auch auf andere Objekte, vor denen er vor dem Experiment keine Angst gehabt hatte, aus, z. B. auf Katzen oder Stofftiere. wichtig: Watson spricht nicht von Angst (denn das wäre ein Gefühl/dem Bereich Erleben zuzuordnen), sondern nur von Angstreaktionen wie schreien, weinen, sich abwenden ...

 

Es geht Watson auch darum, in einem detaillierten Versuchsaufbau nachzuweisen, wie bestimmte Verhaltensweisen - in der Fachsprache konditionierte Reaktionen genannt - zustande kommen und auf dieser Basis eine allgemeine Theorie - die Theorie der Klassischen Konditionierung - aufzubauen.

 

Ein Originalvideo vom Experiment findest du auf You-Tube:

 

Der Pawlowsche Hund

Experiment: Pawlowscher Hund
Experiment: Pawlowscher Hund

Eine Zeit bevor Watson sein berühmt-berüchtigtes Experiment mit dem Kleinen Albert durchführte, kommt eine Gruppe von russischen Naturwissenschaftlern - sie nennen sich Reflexologen - unter der Leitung von Iwan Pawlow zu Erkenntnissen, die sich mit den lerntheoretischen Erkenntnissen der amerikanischen Behavioristen sehr stark überschneiden. Hier wie dort geht es um einfache, quasi reflexartige Lernprozesse. Hier wir dort wird nach einem streng naturwissenschaftlichen Modell vorgegangen. Allerdings arbeitet die Forschergruppe um Pawlow mit Tieren. Und es stehen eher erlernte Körperreaktionen - in diesem Fall ein reflexartig ausgelöster Speichelfluss im Zentrum.

Die Versuchsanordnung ist einfach: Hunde reagieren auf den Geruch von Futterfleisch normalerweise mit einer mehr oder weniger natürlichen Reaktion, die ohne willentlichen Einfluss reflexartig zustande kommt, nämlich mit einer erhöhten Speichelprodukution (was angesichts der wahrscheinlich bevorstehenden Fütterung durchaus Sinn macht).

Die Frage, die Pawlow sich stellt, ist jetzt, ob auch andere, eigentlich neutrale Reize (wie zum Beispiel ein Glockenton oder ein Lichtsignal) zu einer erhöhten Speichelproduktion führen können, wenn ein entsprechender Lernprozess (man spricht von Konditionierung) vorausgegangen ist.

 

Im Experiment soll ein solcher Konditionierungsprozess nachgewiesen werden.

 

Der Experimentaufbau ist denkbar einfach:

 

Im ersten Schritt wird nachgewiesen, dass der Hund immer dann vermehrt Speichel produziert, wenn er Futter riecht. Man nennt das eine unkonditionierte Reaktion [UR]und das Futter einen unkonditionierten Stimulus (=Reiz) [US]

Im zweiten Schritt wird nachgewiesen, dass ein Glockenton keinen erhöhten Speichelfluss auslöst. Es handelt sich um einen neutralen Reiz [NS]

 

Im dritten Schritt werden US (Futterduft) und NS (Glocke) raumzeitlich miteinander gekoppelt. Etwas weniger geschraubt formuliert: Immer, wenn dem Pawlowschen Hund Futter unter die Nase gehalten wird, ertönt der Klang einer Glocke.

Im vierten Schritt wird gemessen, ob jetzt auch der ursprünglich neutrale Reiz Glocke Speichelfluss provoziert. Dies ist der Fall. Daher ist die Glocke jetzt zu einem Conditionierten Reiz [CS] geworden. Oder mit anderen Worten: Pawlows Hund hat gelernt, auf einen ursprünglich neutralen Glockenton mit Speichelfluss zu reagieren.

 

Welche Bedeutung hat der Lernprozess der Klassischen Konditionierung?

Wir könnten darüber streiten, ob es sich bei solchen Konditionierungsprozessen tatsächlich um Lernen handelt. Die Psychologie würde aber in jedem Fall sagen, dass das der Fall ist. Denn sie definiert Lernen als erworbenes (also nicht angeborenes) Verhalten, das mehr oder weniger dauerhaft ist und das auf Erfahrung beruht.  

 

Klassische Konditionierungsvorgänge kann man als erlernte reflexartige Reaktionen verstehen. Es sind sehr einfache Reaktionen. Sie laufen sehr schnell ab. Und sie laufen ohne Einfluss unseres Willens und ohne Einfluss des rationalen Denkens ab.

 

Klassische Konditionierungen spielen in vielen Alltagssituationen eine Rolle, etwa wenn es um emotionale Reaktionen - beispielsweise Angst -  geht. Sie spielen bei Suchtverhalten eine wichtige Rolle. Und die Werbung setzt gezielt auf klassische Konditionierung. 

 

Klassische Konditionierungen können sich sehr schnell aufbauen, im Extremfall genügt eine einmalige Verbindung von zwei Variablen. (weißer Mantel – Schmerzempfinden)

 

 


Arbeitsaufaben

Arbeitsaufgaben zum Experiment vom Kleinen Albert: 

 

A1W: Fasse den Inhalt des YouTube-Films über das Experiment vom Kleinen Albert in Kurzform zusammen. Was sind zentrale Aussagen über die Durchführung und im Hinblick auf die Interpretation?

A2R: Inwiefern kann man sagen, dass der kleine Albert in diesem Experiment etwas gelernt hat? Wie ließe sich der Lernprozess mithilfe des Black-Box-Modells beschreiben?

A3T: Welche Verhaltensweisen im alltäglichen Leben könnten auf ähnliche Weise entstanden sein?

A4R: Wie ist das Experiment Watsons aus heutiger Sicht ethisch zu bewerten?

 

Arbeitsaufgaben zur Bedeutung der Klassischen Konditionierung: 

 

A2R/T:  Wir können davon ausgehen, dass viele Ängste über Klassische Konditionierungen erlernt sind. Erkläre, wie sich mithilfe dieser Lerntheorie (in Analogie zum Experiment vom Kleinen Albert und zum Experiment mit dem Pawlowschen Hund) z. B. die Entstehung von Angst vor dem Zahnazrt, von Angst vor Hunden oder von Angst vor Prüfungssituationen erklären ließe. (ergänzend dazu: Wo hat die Theorie der Klassischen Konditionierung dann aber auch Grenzen?)

 

A3R/T: Zeige an einem Beispiel, inwiefern bei Süchten (z. B. Rauchen, Alkohol) Klassische Konditionierungen eine Rolle spielen. Was passiert beim Lernen einer Sucht? Was passiert, wenn ein Mensch, der eine Suchtreaktion gelernt hat, mit einem bestimmten Auslösereiz konfrontiert wird? Kann man Sucht aus eurer Sicht "verlernen"?

 

A4R/T: Zeige an einem konkreten Beispiel, wie Werbung auf Klassische Konditionierung setzt. Wie wird die Konditionierung aufgebaut (also: der Lernprozess in Gang gesetzt)? Was passiert, wenn der Konditionierungsprozess erfolgreich gewesen ist? (Beispiel: "lila" - Milka-Schokolade)

Internetlinks