Anfang? Ursprung?

Auch ein Ursprung ...
Auch ein Ursprung ...

Wer beginnt, sich mit einer bestimmten Disziplin zu beschäftigen, fragt früher oder später nach den Wurzeln dieses Gegenstandsbereichs. Das gilt natürlich auch für die Philosophie. Nicht, dass es unmöglich wäre, Philosophie ohne dieses Wissen zu lernen oder zu begreifen. Aber es hilft natürlich, wenn wir die Traditionen kennen, auf denen beispielsweise modernere philosophische Theorien basieren.


Und nicht zuletzt ist ja unser ganzes Denken und unsere gesamte Kultur in der Philosophie verwurzelt. Aber warum müssen wir Anfang und Ursprung unterscheiden? Ist das nicht ein-und-dasselbe? 


Nun, es kommt natürlich darauf an, wie wir diese Begriffe definieren. Ich schlage vor, die Begriffe "Anfang" und "Ursprung" unterschiedlich zu verwenden.

Der Begriff Anfang ...

Den Begriff "Anfang" verwenden wir als historischen Begriff. Das heißt: wenn wir nach den Anfängen der Philosophie suchen, suchen wir nach einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte, in dem zum ersten Mal etwas sichtbar wird, das wir als Philosophie bezeichnen können. Ich gebe zu, dass dieser historische Punkt - wo immer wir ihn finden werden - bis zu einem gewissen Grad auch willkürlich ist:

 

Dies hängt davon ab, was wir überhaupt unter Philosophie verstehen. Je nachdem, wie wir Philosophie definieren, könnten wir beispielsweise im griechischen Dichter Homer einen sehr frühen Philosophen sehen. Oder wir können im Gegensatz dazu die These vertreten, Homer sei zwar ein genialer Dichter, aber kein Philosoph. In seinen Werken gehe es zwar um philosophische Fragen. Aber er entwickle keine argumentative Theorie, sondern bleibe auf der Ebene des mythischen Erzählens. Daher fehle seinen Schriften etwas genuin Philosophisches.

 

Dies hängt aber natürlich auch von den Quellen ab, die uns zur Verfügung stehen. Nur wo wir zumindest fragmentarische (bruchstückhafte) Wurzeln philosophischen Denkens (einzelne Aussagen, Hinweise auf das Leben einer bestimmten Person) finden, können wir auch einen solchen Zeitpunkt definieren. Und wie wir alle wissen, sind gerade Schriften aus früheren Zeiten nur in wenigen Fällen, durch viele Zufälle, oft auch  nur indirekt durch Zitate in späteren Werken überliefert. Vieles ist - z. B. durch Bibliotheksbrände oder durch willentliche Zerstörung - schlicht und einfach verloren gegangen. Manches, beispielsweise ob der Philosoph X überhaupt gelebt hat oder ob er nur eine Phantasiegestalt ist, ist unter Forschern auch umstritten.

 

Dazu kommt, dass das, was wir heute als Philosophie bezeichnen, natürlich nicht von heute auf morgen vom Himmel gefallen ist und seit dem Zeitpunkt die Welt bestimmt. Ganz im Gegenteil: Philosophie existiert lange Zeit, ja sogar bis heute, neben anderen Denktraditionen. Und viele Philosophen sind teilweise im vorphilosophischen oder nicht-philosophischen Denken verhaftet.

 

Dazu kommt, dass wir im Rahmen des PuP-Unterrichts in der 8. Klasse - schon allein aus zeitlichen Gründen - Philosophie in erster Linie als europäische Philosophie begreifen. Allenfalls erlauben wir uns an dem einen oder anderen Punkt einen kurzen Ausflug z. B. in asiatische Denktraditionen. Das hat natürlich Auswirkungen auf das, was wir unter Philosophie verstehen, und auf den Zeitpunkt, an dem wir die Philosophie beginnen lassen.

 

Wir wollen also einfach dem folgen, was die meisten europäischen Philosophie-Historiker als Anfang der Philosophie definieren. Wir wollen aber auch nicht vergessen, dass das nicht die einzig mögliche Sichtweise ist.

 

Wo die historischen Wurzeln des europäischen philosophischen Denkens liegen, fragen wir uns also, wenn wir die Frage nach den Anfängen der Philosophie stellen. Und ihr werdet wohl nicht allzu erstaunt sein, wenn ihr erfahrt, dass diese Wurzeln bei den "good old greeks" zu finden sein sollen.

 

Der Begriff Ursprung ...

Den Begriff "Ursprung" verwenden wir nicht als historischen Begriff. Er verweist nicht auf einen bestimmten raumzeitlichen historischen Punkt, obwohl auch er etwas mit den Wurzeln zu tun hat.


Der Begriff "Ursprung", so wie wir ihn verwenden, verweist auf das, was den einzelnen Menschen zum Philosophieren bringt. Das sind persönliche Erlebnisse, persönliche Interessen, allgemeine menschliche Entwicklungsschritte.

 

Dieser Definition zufolge ist jeder Mensch per definitionem auch dadurch gekennzeichnet, dass er ein "homo philosophicus", ein philosophierendes Lebewesen ist. Voraussetzung für dieses Philosophieren ist Selbst-Bewusstsein, über das - nach der Meinung zumindest der meisten Psychologen, Biologen und anderer gescheiter Leute - nur der Mensch verfüge.


Wir Menschen philosophieren unabhängig davon, ob wir mit dem Begriff "Philosophie" überhaupt etwas anfangen können, unabhängig davon, ob wir schon einmal in unserem Leben etwas von einem Sokrates oder Platon oder Nietzsche oder Sartre gehört haben und unabhängig davon, ob wir wissen, dass wir philosophieren. Wir philosophieren einfach, weil es zum Menschen gehört, immer wieder auch einmal philosophischen Fragen nachzuhängen.

 

Zumindest Kinder sind geradezu "Weltmeister" im Philosophieren, auf jeden Fall solange, bis die Erwachsenen es ihnen ausgetrieben haben :-)

 

Was den einzelnen Menschen dazu bringt, sich mit philosophischen Fragen auseinanderzusetzen, und welche Bedeutung dieses persönliche Philosophieren für das Leben von Menschen hat, werden wir untersuchen, wenn wir uns mit der Frage nach den Ursprüngen des Philosophierens beschäftigen.

 

Für die Suche nach den Anfängen und den Wurzeln wünsche ich euch auf jeden Fall viel Spaß und viele interessante "AHA-Erlebnisse".


Arbeitsaufgaben

A1: Inwiefern ist die Frage, die Berta im Cartoon stellt, eine philosophische Frage. Warum und inwiefern ist die Antwort, die ihr Vater gibt, zumindest aus philosophischer Sicht eher unbefriedigend? Wie leben Menschen, die - ähnlich wie Berta - einen Hang zur Philosophie haben? Wie leben Menschen, die - ähnlich mit Bertas Vater - mit der philosophischen Hinterfragerei eher nichts anfangen können? 

 A2: Was sind Lebenssituationen, in denen Menschen philosophische Fragen stellen oder über philosophische Fragen und Themen nach-denken? Welche Fragen / Themen sind das beispielsweise? 

A3: Ist es aus deiner Sicht wichtig, etwas über die Geschichte der abendländischen Philosophie (über ihre Anfänge, erste PhilosophInnen, Höhepunkte, wichtige philosophische DenkerInnen / Denkansätze) zu wissen? Warum (nicht)? Formuliere ein kurzes Statement.