Ethische Fragen am Ende des Lebens. 

Fundamentale medizinethische Fragen am Lebensende. 

Die Aufklärung lässt sich auch als ein Projekt des Lebensschutzes und der Lebensverlängerung begreifen.


Vor der Aufklärung waren Leben und damit auch Tod nach Ansicht der Menschen in der Verfügungsgewalt göttlicher / transzendenter Mächte. Der Mensch hatte darauf keinen Einfluss.


Mit der Aufklärung entsteht auch die Idee, der Mensch könne und müsse mithilfe seiner Vernunft wissenschaftliche Erkenntnisse produzieren, die ihn Sterben und Tod als natürliche Prozesse begreifen und verstehen lassen. Und wenn der Mensch Sterben und die (natürlichen) Ursachen für Sterben versteht, kann er in diesen Prozess - mithilfe medizinischer Verfahren - auch aktiv eingreifen. Er kann Sterben in vielen Fällen verhindern oder zumindest hinauszögern. (Ins Extrem gedacht, wäre der Mensch vielleicht eines Tages in der Lage, Sterben und Tod völlig zu durchschauen und so medizintechnisch zu überwinden. Der Mensch wäre unsterblich geworden. Zumindest die Menschen, die sich in den USA angeblich einfrieren lassen in der Hoffnung, dass die Medizin Sterben eines Tages rückgängig machen wird können, scheinen an diese Möglichkeit zu glauben.)


Mit den modernen medizinischen Möglichkeiten, Sterben und Tod in vielen Fällen zu verhindern oder hinauszuzögern, stellen sich aber auch neue und wichtige medizinethische Fragen. Es geht dabei nicht nur um den Grundwert des menschlichen Lebens, sondern auch um die fundamentalen Prinzipien der Menschenwürde und der Autonomie (Selbstbestimmung). Aber auch Fragen nach Gleichheit und Gerechtigkeit tauchen hier (z. B. wenn es um knappe Ressourcen wie Spenderorgane geht) auf. 


Ein paar fundamentale (medizin)ethische Fragen, mit denen wir heute konfrontiert sind:


  • Ist es in jedem Fall richtig und ethisch geboten, menschliches Leben zu retten, wenn das möglich ist (z. B. Notfall-Medizin // Intensivmedizin: Dürfen wir "die Maschinen abschalten" oder lebensrettende Maßnahmen (Beatmung, ...) einstellen? Sollten wir das in bestimmten Fällen vielleicht sogar tun? Wer entscheidet, wann und ob Ärzte auf weitere Therapien verzichten sollten?

  • Dürfen Menschen medizinische Therapien verweigern? Wenn ja: für wen (für sich selbst, für ihre Kinder, für sterbende Angehörige, als Ärzte für PatientInnen?)

  • Wie können und sollen wir mit der Tatsache umgehen, dass nicht für jeden Menschen die beste medizinische Therapie verfügbar ist? Wer bekommt z. B. ein Spenderorgan?

  • Ist es richtig / gut / geboten, Menschen im Endstadium ihres Lebens weiter medizinisch zu therapieren? Oder ist eine Therapie u. U. nur ein Hinauszögern von Leben und die Zufügung von weiterem Leid? 

  • Kann es Situationen geben, in denen es besser ist, einen Menschen sterben zu lassen? Darf man Wach-Koma-Patienten sterben lassen? (Wachkoma)


  • Haben Menschen das Recht, sich selbst das Leben zu nehmen, wenn sie es als nicht mehr lebenswert empfinden (z. B. Hannelore Kohl, Gunter Sachs)

  • Was ist ein menschenwürdiges Leben? Wer bestimmt, wann und ob und wielange ein Leben menschenwürdig ist?


Mit ethischen Fragen verbunden sind teilweise auch ontologische oder anthropologische Fragen. Zum Beispiel

  • Wo ist die Grenze zwischen Leben und Tod? Ist das Hirntod-Kriterium ein angemessenes Kriterium, um den Tod festzustellen?
  • ....



Fundamentale medizinethische Prinzipien

Ärzte orientieren sich in ihrem ärztlichen Handeln heute v.a. an einigen fundamentalen medizinetischen Prinzipien, die u.a. in der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes festgeschrieben sind. 

 

Prinzip des Patientenwohl

Schadensverminderung: ärztliches Handeln darf keine körperliche oder psychische Schädigung des Patienten bewirken

Nutzenvermehrung: ärztliches Handeln muss immer eine Wiederherstellung, eine Verbesserung oder zumindest eine Stabilisierung eines positiven gesundheitlichen Zustandes zum Ziel haben.

Bei einem Konfliktfall: Abwägung der negativen Nebenwirkungen, wie hoch darf das Risiko bei einer ärztlichen Intervention sein?

 

Prinzip des Patientenwillens (Autonomiprinzip, Selbstbestimmungsprinzip)

Der Patient hat das Recht auf umfassende Aufklärung. Der Arzt darf prinzipiell nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung eines Patienten handeln, wenn doch macht sich der Arzt strafbar.

Ausnahmen: Notfallmedizin(Arzt kann dem Patientenwillen nicht nachkommen, weil er helfen muss), nicht-zurechnungsfähige Patienten(Koma, Demenz, Behinderung) und bei Kindern(hier entscheiden Eltern).

 

Prinzip der Gerechtigkeit

Jedem Menschen muss ärztliches Handeln (unabhängig von ethischer Zugehörigkeit, Geschlecht, gesellschaftlichem Status,...) gleichermaßen zukommen.

Sterben und Tod aus medizinethischer Sicht. Grundlegende Dimensionen

 
I. Schmerzlindernde Maßnahmen (Palliativmedizin)

 

Schmerzbekämpfung ohne lebensverkürzende Nebenwirkungen / ohne Nebenwirkungen

In Ö. in jedem Fall erlaubt; keine Sterbehilfe

 

(Voraussetzung: aufgeklärte Zustimmung des Betroffenen)

international erlaubt; keine „Sterbehilfe“

Schmerzbekämpfung mit potentiell lebensverkürzenden oder lebensbeendenden Folgen

 

 

Morphine, Opiate, und andere Medikamente, die ein Suchtpotential aufweisen, Embolien oder Thrombosen begünstigen, … (Hintergrund: z. B. bei Aids oder Krebs im Endstadium helfen herkömmliche Schmerzmittel nicht mehr)

 

In Ö. seit einiger Zeit bei todkranken Menschen erlaubt; wird nach Meinung von Experten noch immer zu wenig eingesetzt (Unwissenheit der Ärzte oder Angst wegen Fahrlässigkeit belangt zu werden)

 

Wichtiger Teil der Palliativmedizin: bei sterbenden Menschen hat die Lebensqualität (Schmerzfreiheit) Vorrang vor der Lebensverlängerung

 

 

 

international erlaubt; keine „Sterbehilfe“

 
II. Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen

 

 

 

einen kranken Menschen medizinisch nicht betreuen, obwohl lebensverlän­gernde ärztliche Hilfe möglich / indiziert wäre; in Ö. verboten; unterlassene Hilfeleistung

 

 

international verboten

Therapiebeendigung auf Wunsch // Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen (z. B. Beatmung)

 

 

 

 

einen (tod)kranken Menschen auf dessen ausdrücklichen Wunsch medizinisch nicht betreuen, obwohl lebensverlängernde ärztliche Hilfe möglich wäre (= Einstellung lebensverlängernder Maßnahmen);

in Ö. erlaubt;  

 

ein Problem ist, dass Menschen aufgrund ihrer Erkrankung ihren Willen nicht mehr artikulieren können; hilfreich kann eine Patienten­verfügung sein; die ist für den Arzt aber nur in bestimmten Fällen bindend


derzeitige Regelung: ein Arzt entscheidet nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten --> Patientenverfügung, Äußerungen zu früherem Zeitpunkt, Angehörigen-Meinung nach Orientierung; Verantwortung bleibt beim Arzt

 

aber: Der Arzt darf keine Wünsche, die in Widerspruch zum Gesetz sind (z. B. Beihilfe zum Suizid), erfüllen

 

 

 

international erlaubt

 
III. Beihilfe um Suizid

 

Beihilfe zur Selbsttötung bei todkranken Menschen

 

Beihilfe zur Selbsttötung bei sterbenden Menschen z. B. durch Bereitstellen einer Injektion aus altruistischen Motiven (Ziel / Motivation: als unerträglich empfundenes Leid verhindern)

in Ö. verboten und strafrechtlich sanktioniert

in einigen vielen Staaten (z.B. Schweiz, Australien, Niederlande, Dänemark, ...) unter bestimmten Umständen straffrei möglich

 

IV. Töten auf Verlangen

 

Töten auf Verlangen bei sterbenden Menschen

 

aktives  Töten eines sterbenden Patienten auf dessen ausdrücklichen Wunsch durch einen Arzt;

 

Motivation: als unerträglich empfundenes Leid verhindern

 

in Ö. verboten und strafrechtlich sanktioniert

 

In den meisten Staaten verboten

 

in den Niederlanden und in Belgien unter bestimmten Umständen straffrei

Wo werden medizinethische Debatten und Diskussionen konkret?

  • Organtransplantation (Form der Zustimmung; Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit; Frage nach subtilen ökonimischen Interessen / Korrumpierbarkeit)
  • Therapiebegrenzung bei komatösen / nicht-zustimmungsfähigen Menschen (z. B. dementen Menschen, Menschen mit einer Behinderung, Menschen ohne Bewusstsein, Menschen im Koma; Früheuthanasie)
  • Fortsetzung von Therapien trotz Nebenwirkungen; Lebensverlängerung bei terminal kranken Menschen (z. B. bei KrebspatientInnen): Lebensqualität <--> Lebenszeit
  • Lebensverlängerung um eine „kurze Zeit“ mit sehr teuren / aufwändigen Therapien (z. B. bei KrebspatientInnen)
  • Fortsetzung oder Einstellung von Therapien z. B. bei zu früh geborenen Kindern, die nur minimale vitale Zeichen / Reflexe zeigen (Überlebenschancen; Überleben mit einer Behinderung; Verlängerung von Leiden)
  • Lifestyle-Medizin; medizinisch nicht-induzierte Therapien (Frage nach der Gerechtigkeit; Grenzen des Autonomie-Prinzips; medizinische Leistungen als "normale" Dienstleistungen)

Internetlinks, Quellen: