Lachen gefährdet den Fundamentalismus

Umberto Eco und "Der Name der Rose" und Jorge von Burgos als fundamentalistischer Prototyp

Der Roman "Name der Rose" (1980) spielt im Mittelalter in einem italienischen Kloster. Der Mönch William von Baskerville hat dort einen diplomatischen Auftrag. Kurz nach seiner Ankunft wird ein Mönch ermordert aufgefunden. Ihm folgen weitere tote Mönche. William versucht den Mörder zu finden und er stößt schließlich auf Jorge von Burgos, den Mönch, der die Kosterbibliothek leitet. Im Kern eines Labyrinths hat er ein vergiftetes Buch versteckt, in dem es um das Lachen geht: "Die Komödie" des griechischen Philosophen Aristoteles. Man weiß, dass es sie gibt. Aber niemand kennt sie. Jorge hat das Buch vergiftet. Als er entdeckt wird, steckt er die Bibliothek in Brand. 


Jorge von Burgos und William von Baskerville sind Gegenfiguren. William ist der weltoffene Mönch, der sich die Freiheit nimmt, selbst zu denken. Jorge ist der Fanatiker, für den es nur die eine göttliche Wahrheit gibt. Sie zu verteidigen, ist jedes Mittel - Mord eingeschlossen - recht. 


Dass das Buch, das Jorge "hütet", das Buch ist, in dem Aristoteles die Komödie beschreibt und damit das Lachen "adelt", ist kein Zufall. Denn das Lachen nimmt den Menschen die Angst vor der Autorität, vor allem vor Gott. Und Menschen, die keine Angst vor der Autorität mehr haben, unterwerfen sich dieser Autorität nicht mehr bedingungslos. Eine Autorität, über die man lachen darf, ist keine absolute Autorität mehr. 

Menschenbild Williams und Jorges im Vergleich

Jorge von Burgos über das Lachen: 


Unser Herr Jesus Christus bedurfte nicht solcher Narreteien, um uns den rechten Weg zu zeigen. Nichts in seinen Gleichnissen reizt uns zum Lachen ... (S113)

 

"... wäre jedoch dieses Buch zum Gegenstand offener Ausdeutung ... geworden, wäre auch diese letzte Grenze [Tabu des Bildes Gottes] noch überschritten (627)

 

Das Lachen befreit den Bauern von seiner Angst vor dem Teufel ... Der lachende Bauer ... fühlt sich als Herr, denn er hat die Herrschaftsverhältnisse umgestürzt. (628)

 

"Dieses Buch könnte lehren, dass die Befreiung von der Angst vor dem Teufel eine Wissenschaft ist..." (628)

 

"... und dann würde das Lachen zu einer neuen Kunst, die selbst dem Prometheus noch unbekannt war: zur Kunst der Vernichtung von Angst" (628)

 

"Doch das Gesetz verschafft sich Geltung mit Hilfe der Angst, deren Name Gottesfurcht ist." (628)

 

"Dieses Buch hätte den Gedanken rechtfertigen können, die Sprache der einfachen Leute sei Trägerin der Wahrheit. Das musste verhindert werden." (633)


Williams Welt- und Menschenbild (Moderne)


Rechtfertigung des Lachens: 


Ein lachender Mensch ist ein denkender und hinterfragender Mensch. Er glaubt nicht bedingungslos. Er lässt unverrückbare Wahrheiten nicht gelten. Er nimmt sich das Recht, Autoritäten mit einer gewissen Frechheit und Respektlosigkeit entgegenzutreten. 


Dadurch / deshalb ist der lachende Mensch ein gegenüber (angemaßter) Autorität respektloser / furchtloser Mensch. Er kann nicht durch Angst zum Schweigen gebracht werden. 


Dadurch / deshalb ist der lachende Mensch ein freier Mensch.


Ein Buch, das das Lachen verteidigt, ist ein Kampfmittel gegen Unterdrückung und Bevormundung und Terror. 


Jorges Welt- und Menschenbild (Fundamentalismus)

Verdammung des Lachens: 


Das Lachen gefährdet die göttliche / ewige Ordnung. Ein Buch, das das Lachen verteidigt, muss deshalb geheim bleiben und im Notfall vernichtet werden.


Eine Autorität, über die gelacht wird / gelacht werden darf, wird nicht mehr bedingungslos respektiert. Sie wird zur Witzfigur.


Der Lachende ordnet sich der Autorität nicht mehr bedingungslos unter. Er hat keine "heilige" Furcht vor der Autorität. Er stellt die Autorität und ihren Machtanspruch in Frage. Und damit rebelliert er gegen die göttliche Ordnung. 


Der Lachende stellt sich auf die selbe Stufe wie die Autorität / wie Gott. 


Ein Gott, über den gelacht werden darf, ist kein Gott mehr. 


Deshalb muss das Lachen über Gott streng verboten sein und verboten werden.


Satire und Totalitarismus

"Spiegel" Titelbild nach dem Attentat vom 7. 1. 2014
"Spiegel" Titelbild nach dem Attentat vom 7. 1. 2014
"Charlie Hebdo"-Titelblatt der ersten Ausgabe nach den Anschlägen vom 7. 1. 2014
"Charlie Hebdo"-Titelblatt der ersten Ausgabe nach den Anschlägen vom 7. 1. 2014

Totalitäre Ideologien bestehen darauf, das Denken der Menschen zu bestimmen. Sie setzen der Denkfreiheit und der Meinungsfreiheit Grenzen. Diese Grenzen zu überschreiten gilt als Blasphemie, als sündhaftes und unerlaubtes Verspotten einer quasi heiligen Autorität. 


In diktatorischen Systemen wurde und wird die freie Meinungsäußerung mit Hilfe der Zensur und mithilfe von Strafandrohungen bekämpft. Und zwar mit aller Schärfe und mit aller Härte. Wer im Nationalsozialismus seine Meinung äußerte, riskierte zum Tod verurteilt zu werden. Die Geschwister Scholl ("Weiße Rose") sind nur ein Beispiel dafür. Im Stalinismus war es ähnlich. In China unter Mao wurden Kritiker zumindest zur "Umerziehung" aufs Land zu Sklavenarbeit verdonnert. In Argentinien verschwanden während der Militär-Regierung tausende Regimekritiker spurlos. Wie man heute weiß, wurden viele von ihnen umgebracht, z. B. aus Flugzeugen aus einfach ins Meer geworfen. In Saudi Arabien werden Menschen wie der Blogger Saif Badawi zu langjährigen Gefängnisstrafen und zu hunderten Peitschenschlägen verurteilt (die sie wahrscheinlich nicht überleben), weil sie religiöse Dogmen hinterfragen. 


Ironisch-spöttische Kritik an den Mächtigen weckt deren Zorn und Wut in besonderer Weise. Denn er überschreitet Grenzen und bricht Tabus. Er bricht Denk-Monopole auf. Er verletzt bewusst und gewollt, ohne dass es dafür Geld oder Waffen oder Macht bräuchte. So ist in diktatorischen Zeiten und in Zeiten der Angst ist der Humor oft eine starke Waffe der Schwachen. "Wir ordnen uns nicht unter. Wir geben nicht nach. Wir zeigen keinen Respekt und keine Furcht", ist die provokante Botschaft. In Demokratien haben die Machthaber lernen müssen, sich kritisieren, karikieren und verspotten zu lassen. Es ist der Preis, den sie für ihre Macht bezahlen müssen. 


In demokratischen Systemen ist Meinungsfreiheit ein wichtiger Grundwert. Er umfasst ausdrücklich nicht nur das Recht zur Kritik mithilfe rationaler Argumente, sondern auch mithilfe der Stilmittel der Karikatur und der Satire.


Fudamentalisten lachen nicht. 


Allerdings: Bei der Satire ist die Richtung wichtig. Denn Machthaber und Privilegierte stellen die satirische Karikatur oft in den Dienst ihrer Interessen. Der politische Gegner oder zum Außenseiter erklärte Bevölkerungsgruppen wie die Juden im NS werden mit bösen Karikaturen der Lächerlichkeit Preis gegeben. Das Lachen wird dann in den Dienst der Machtsicherung und der Unterdrückung gestellt. 


Fundamentalisten lachen nicht. Zumindest nicht über sich selbst.