Dynamik oder statisches unveränderliches Sein? Heraklit gegen Parmenides

"Alles fließt", sagt Heraklit

Wer ist Heraklit? (ca 540 bis 480)

Der weinende Heraklit (links) und der lachende Demokrit (rechts); D.Bramante; 15. Jh.; Bildquelle: Wikipedia
Der weinende Heraklit (links) und der lachende Demokrit (rechts); D.Bramante; 15. Jh.; Bildquelle: Wikipedia

Über das Leben Heraklits ist nicht viel bekannt.


Gesichert scheint, dass er aus einer vornehmen Familie aus der Stadt Ephesos (heute: türkische Westküste) stammt. Er dürfte ein asketisch lebender und ziemlich pessimistisch denkender Mensch gewesen sein. An seiner Heimatstadt lässt er kein gutes Haar, nachdem die Bürger einen gewissen Hermodorus aus der Stadt verbannt haben.


Von den antiken Geschichtsschreibern wird er - entweder wegen der schweren Verständlichkeit seiner Aussagen oder wegen seiner pessimistischen Denkweise - "der Dunkle" genannt. 


Was wir von seiner Lehre wissen, ist nicht viel. Es sind fragmentarische Einzelaussagen, auf die andere Denker sich beziehen oder die sie zitieren. Die berühmtesten: 


  • "Panta rhei" = "Alles fließt"
  • "Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen"
  • "Der Krieg ist der Vater aller Dinge"
  • "Die Weltordnung besteht ewig. Es gibt keine Götter, die sie geschaffen haben. Sie besteht aus lebendigem Feuer, das erglimmt und wieder erlöscht." 

Was behauptet Heraklit?

Heraklit sieht im Feuer den Urstoff oder das Urprinzip der Wirklichkeit.  Aus diesem Urfeuer, das selbst reine Vernunft ("logos") ist, geht durch Zwiespalt und Kampf als treibendes Element die Vielzahl der Dinge hervor, bis sie sich wieder im Ursprung vereinen.


Die Aussage "Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen" verweist auf die Tatsache, dass ein Fluss sich andauernd verändert: Das Wasser fließt weiter, die Fische schwimmen weiter, ein großer Fisch frisst einen kleinen, ein Stein wird durch die Kraft des Wassers an einen anderen Platz geschwemmt, .... Was für den Fluss gilt, gilt gleichermaßen für alles andere. Auch wir Menschen verändern uns, wir sind durch den Stoffwechsel in einem ständigen Austausch mit unserer Umwelt, wir nehmen Nahrungsmittel auf und verleiben sie uns gleichsam ein, wir scheiden Stoffe aus unserem Körper aus und geben sie so an unsere Umwelt zurück. Auch psychisch verändern wir uns durch die Erfahrungen, die wir machen. So gesehen sind wir am Abend nicht mehr dieselben wie am Morgen, als wir aufgestanden sind. Anscheinend hat ein Schüler Heraklits seine These nochmals zugespitzt: "Man kann nicht einmal in denselben Fluss steigen"


"Der Krieg ist der Vater aller Dinge." Dieser Heraklit zugeschriebene Satz zeigt wohl auf der einen Seite sein pessimistisches Weltbild. Andererseits mag ihm wohl die Überlegung zu Grunde liegen, dass es oft die Zerstörungen durch einen Krieg sind, die wieder dazu führen, dass aus den Trümmern etwas Neues entstehen kann. Insofern ist Krieg auch ein "Motor gesellschaftlicher Veränderungen". Schließlich zeigt aber diese Aussage wieder das, was für die "alten Griechen" so typisch ist: Wenn sie einmal eine Idee geboren haben, versuchen sie, diese auf alle möglichen und unmöglichen Erfahrungsbereiche auszudehnen: Was für die Natur insgesamt gilt, muss auch für die menschliche Natur oder für die menschliche Gesellschaft im besonderen gelten. Wenn die Natur durch Veränderung bedingt durch das Prinzip des Feuers bestimmt ist, muss ähnliches auch für die menschliche Gesellschaft gelten. Und als Pendent zum Feuer bietet sich der Krieg nun wahrlich an.


Mit Heraklit taucht wieder ein neues Grundprinzip, nämlich das Grundprinzip der Veränderung oder Dynamik, in einer philosophischen Theorie auf. Weder Materielles (Wasser, Erde, Luft), noch Immaterielles (wie die Zahl Eins) sind wirklich der Ursprung, sondern ein abstraktes Prinzip, nämlich eben das Prinzip, dass alles sich verändert, dass nichts bleibt, wie es ist. Das ist das einzig Unveränderliche. Das Prinzip der Veränderung oder Dynamik ist ebenfalls bis heute eine Grundidee in vielen wissenschaftlichen Theorien, denken wir beispielsweise an die Elektrodynamik in der Physik, an die Evolutionstheorie in der Biologie oder an die Veränderungen der elementaren Strukturen, wie die Chemie sie untersucht. Ebenso spielt die Auseinandersetzung mit Veränderungen in der Biologie (Entwicklung von Lebewesen, Lebenszyklus, ...), in der Medizin (krankhafte Veränderung von Organen) oder in der Psychologie (Entwicklungspsychologie) eine wesentliche Rolle. So kann auch im dunklen Heraklit eine der Wurzeln für unser modernes Denken gesehen werden.



"Nichts fließt", sagt Parmenides

Leben

Parmenides stammt aus Elea (Unteritalien) und gilt als Begründer der Eleatischen Philosophenschule. Einen seiner Schüler, Zenon von Elea, werden wir gleich noch etwas näher kennen lernen.

 

Von seiner Lehre sind Fragmente eines Lehrgedichts, das meist mit dem Titel "Über die Natur" versehen wird. Erhalten geblieben ist nur ein kleiner Teil. Insgesamt dürfte es in dem Text um einen Menschen gehen, der Schritt für Schritt die Bereiche der bloßen Meinung (griech.: doxa = Lehre) hinter sich lässt und schließlich von einer Göttin (Artemis?) zur Wahrheit ("aletheia") geführt wird.

Lehre. Oder "Seiendes ist und Nicht-Seiendes ist nicht."

Auszug aus dem Lehrgedicht:

....

Wohlan, so will ich denn sagen (nimm du dich aber des Wortes an, das du hörtest),
welche Wege der Forschung allein zu denken sind:
der eine Weg, dass IST ist und dass Nichtsein nicht ist,
das ist die Bahn der Überzeugung (denn diese folgt der Wahrheit) ...

 

Die Aussage, dass "Seiendes ist und Nichtseiendes nicht ist" kann so verstanden werden, dass Parmenides Veränderung leugnet, denn Veränderung würde Nicht-Seiendes voraussetzen. Etwas vereinfacht kann man also sagen, Parmenides behauptet, es gebe keine Veränderung, es gebe nur statisches, unveränderliches Sein. Jemandem, der behauptet, jeder könne doch sehen, dass die Dinge sich verändern, würde Parmenides wahrscheinlich entgegenhalten, dies sei nur "doxa", also Meinung oder Vorurteil. Die Sinne täuschten uns laufend, wir könnten uns auf sie nicht verlassen. Mit der Vernunft könnten wir beweisen, dass Werden und Vergehen nur Sinnestäuschung sei.

 

Parmenides Schüler Zenon von Elea führt dann auch mehrere Beweise - der berühmteste ist der von Achill und der Schildkröte - an, die Skeptiker von der auf den ersten Blick wohl etwas weit hergeholten These seines Lehrers überzeugen soll (vgl. unten)

 

Parmenides fragt - ähnlich wie Heraklit - nicht mehr nach dem Urstoff der Dinge, sondern nach dem Wesen des Seins oder der Wirklichkeit überhaupt. Damit vollzieht er eine Loslösung von der Naturbeobachtung und einen wesentlichen Schritt in Richtung des abstrakten Denkens. 

 

Die Suche nach dem Ewigen und Unveränderlichen hinter der sich verändernden Oberfläche ist uns vielleicht auch gar nicht so fremd, wie das auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag. Immerhin ist uns die Idee, dass Naturgesetze ewig gültig seien und im gesamten Universum ihre Gültigkeit hätten, ziemlich vertraut. Auch gelten den Physikern Atome lange Zeit als kleinste, gleichsam unveränderliche Bausteine des gesamten Universums. Und Menschen, die in einer der abrahamitisch geprägten Kultur (Judentum, Christentum, Islam) sozialisiert worden sind, dürfte die Idee eines ewigen, unveränderlichen, außerhalb der Zeit stehenden Gottes nicht ganz fremd sein.

 

Für uns ist wichtig, dass Parmenides - neben dem stofflichen Prinzip des Thales, dem nicht-materiellen Prinzip des Pythagoras und dem dynamischen Prinzip des Heraklit - ein viertes fundamentales Prinzip in das Denken über die Natur einfügt: das Prinzip der Unveränderlichkeit, der außer der Zeit stehenden Ewigkeit, der Statik.

 


Arbeitsaufgaben

A1: Recherchiere ein paar Daten / Details zu Herklit und seinen Schülern und zu Demokrit und seinen Schülern / Anhängern. 
A2: Stelle die Theorien von Heraklit und Demokrit einander in einer Tabelle gegenüber. Kläre in diesem Zusammenhang die Begriffe "Dynamik" und "Statik". Orientiere dich an folgenden Fragen / Punkten: 
* Ausgangsfrage / Ausgangsproblem
* zentrale These / Aussage
* Grundprinzip, auf das die These hinausläuft
* moderne Deutungsmöglichkeiten // Veranschaulichungen dieser These / des Grundprinzips (Physik, andere Naturwissenschaften) 
A3: Wer hat Recht: Heraklit oder Demokrit? Beziehe Stellung und begründe deine Position. 

Literaturtipps und Internetquellen

  • Wer wissen will, wie moderne Naturwissenschaftler sich selber als Schüler alter griechischer Philosophen sehen und deren Ideen neu interpretieren, kann die Autobiographie von Erwin Chargaff: "Das Feuer des Heraklit" lesen. Erwin Chargaff ist einer der Entdecker der Doppel-Helix-Struktur der DNA. Er hat Wurzeln in Österreich (bzw. der Habsburger-Monarchie) 
  • Wikipedia über Heraklit (als "ausgezeichnet" bewerteter Artikel) 
  • Wikipedia über Parmenides