Datenschutz und Schutz der Privatsphäre als Menschenrecht

Historisches zum Datenschutz und zum Schutz des Privaten

Die folgenden historischen Ausführungen sind "holzschnittartig" und überzeichnet. Ich will nicht historische Entwicklungen im Detail beschreiben. Es geht nur darum, "Bruchstellen" und Übergänge (Paradigmen-Wechsel) sichtbar machen. 

 

"Paradigmenwechsel" zwischen Mittelalter und Neuzeit: 


Die Menschen im Mittelalter begreifen ihr Leben als von Gott gegebenes Schicksal. Es macht deshalb keinen Sinn, das eigene Leben gestalten oder kontrollieren oder beeinflussen zu wollen. Erst der Mensch der Neuzeit denkt der Mensch wie in der Antike wieder diesseitsorientierter. Der Mensch geht davon aus, dass er selbst Einfluss auf sein Leben hat und sein Leben (zumindest in Grenzen) frei gestalten kann (Autonomie-Gedanke). Damit stellt sich auch die Frage nach der Verantwortung für das eigene Leben. Und aus ihr ergibt sich wiederum der Wunsch, die eigene Zukunft zu kennen (Wunsch nach Wissen über die Zukunft) und nach Möglichkeit kontrollieren (Kontrollwunsch)zu können. In diesen Zusammenhang passt auch die berühmte Aussage "Wissen ist Macht" (Francis Bacon)

 

Im 20. Jahrhundert zeigen totalitäre Staaten, dass sie vielfach gerade durch das Wissen, das sie über ihre Bürger haben, auch Macht über diese Bürger ausüben können. Besonders brutale Beispiele sind der NS-Terror, der stalinistische Terror in der Sowjetunion nach 1945, das DDR-Spitzelsystem (Stasi) ...

 

Im 20. Jahrhundert zeigen auch Demokratien (z. B. die USA unter McCarthy), dass sie in der Lage sind, Bürgerrechte auszuhöhlen, wenn es um eine (tatsächliche oder konstruierte oder gefühlte) Angst um die eigene Sicherheit geht. Die Angst kann teilweise paranoide Züge annehmen, wie man der Verfolgung angeblicher Kommunisten in der McCarthy-Ära zeigen kann.

Freiheit oder Sicherheit?

1989: Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in der Sowjetunion und deren Satelliten-Staaten verbunden ist auch das Ende einer konkreten und sichtbaren Bedrohung ("Kalter Krieg", Kommunismus, Atomkriegs-Gefahr). Das neue Bedrohungsbild, das entsteht, ist das eines "unsichtbaren Feindes", der sich nicht identifizieren lässt, der sich versteckt, der sich überall aufhalten kann ("Schläfer"). Das führt dazu, dass Risikoabschätzung und Risikobekämpfung in einem völlig anderen Rahmen stattfinden. Es entsteht eine Grundhaltung, wonach man  Risiken muss vorbeugend bekämpfen müsse, damit sie nicht zum Schadensfall werden können.

 

Diese Tendenz verstärkt sich mit dem 11. Sept. 2001: Die Terroranschläge von 9/11 bewirken einen Wechsel in der "Sicherheitsdoktrin": aus Repression (= Reaktion bei konkretem Verdacht // Reaktion auf eine begangene Straftat) wird Prävention (vorbeugende Erfassung von Daten; vorbeugende Inhaftierungen von Terrorverdächtigen; …)

Elemente der Überwachung von Menschen durch den Staat

 Beobachten (Wahrnehmen, Sehen)

 

  •  Überblick von oben (wörtlich oder metaphorisch vom Feldherren-Hügel oder vom Wachturm aus)
  • Assymetrie zwischen dem mächtigen Beobachter und dem ohnmächtigen Beobachteten (der in vielen Fällen nicht einmal weiß, dass er beobachtet wird und was jd. beobachtet)
  • 18. Jh: Jeremy Bentham: Panoptikum: Erfindung des unsichtbaren Beobachters, der alles  im Blick hat --> Grundmodell für Gefängnisse und Fabriken (weil effizient und kostengünstig): Die Beobachteten (z. B. Arbeiter, Gefangene) wissen, dass sie beobachtet werden können. Sie wissen aber nicht, ob und wann und wie. --> Sie passen sich in vorauseilendem Gehorsam daran an, dass sie eventuell beobachtet werden könnten. Es gibt kein Entkommen vor der Beobachtung.  (Im protestantischen Pietismus und in anderen religiösen Spielarten übernimmt praktischerweise Gott die Rolle des unsichtbaren Beobachters, der dann auch das sieht, was man/frau im Geheimen macht. Für Autoritäten wie Eltern oder Lehrer oder Priester ist das sehr praktisch.) 

 

  • Gegen Ende des 19. Jh. erscheint in einer Bostoner Postille ein ersten Schnappbild-Foto von einer Party. Das Foto ist mit einer neuen Kamera aufgenommen worden. Ein Rechtsanwalt fühlt sich in seinem Recht auf Privatsphäre verletzt (weil er gerade mit einer Schönen flirtet, die zufälligerweise nicht seine angetraute Ehefrau ist). Er fordert auch juristisch ein Recht auf Privatsphäre  (= right to be let alone)

 

  • Das 20. Jh. bringt die Perfektionierung des unsichtbaren Beobachters (technisch mithilfe neuer Technologien vom Mikrophon (Wanze) bis zur Kamera; organisatorisch mit Spitzel-Systemen wie z. B. die Blockwarte im NS oder die STASI samt IMs in DDR). Im 21. Jh. setzt sich die Perfektionierung des unsichtbaren Beobachters in rasantem Tempo fort (Kameras, ...)

 

Aufzeichnen und Festhalten (ZEIT)

 

 

  • Frühgeschichte: Eine frühe Aufzeichnungsmethode war Kerbholz; man braucht es zum Beispiel zum Aufzeichnen von Schulden etc. (vgl. etwas auf dem Kerbholz haben). Das war noch nicht perfekt. Man denke nur an das begrenzte Platzangebot (im Vergleich zu einer einfachen modernen Festplatte) und an die Tatsache, dass Holz gemeinhin früher oder später verrottet und die Daten damit verlorengehen

 

  • Antike / röm. Reich: erste Volkszählungen (Bibel!). Die antiken Machthaber hätten sich diesen Aufwand nicht geleistet, wenn sie nicht ein bestimmtes Interesse an den Daten gehabt hätten. 

 

  • Mittelalter / Neuzeit: Es entstehen die ersten Bevölkerungsregister; Damit das überhaupt funktionieren kann, braucht es die Vorschrift, dass man das ganze Leben lang denselben Namen behalten muss; einen weiteren Fortschritt bringt dann auch die Erfindung der Nach- oder Familiennamen und die Regelung, wie sie in die nächste Generation weitergeführt werden. 

 

  • 20. Jh.: NS greifen für Organisation der Shoa auf Bevölkerungsregister zurück; NS: neue Technologien (Lochkarten-Automaten) zur Organisation der Shoa

 

  • 21. Jh: digitale Datenregister // Datensysteme können Daten in praktisch unbegrenzter Zahl aufzeichnen und festhalten; Diskussion um Vorratsdaten-Speicherung

  

Verbreiten von Daten (RAUM)

 

  • Traditionellerweise mussten Daten physisch (durch Menschen / Läufer; man denke nur an die historische Schlacht bei Marathon) übertragen werden; allenfalls konnte man kleine Räume mit optischen Signalen (Feuerzeichen) oder akustischen Signalen (Posaunen) überwinden. 
  • Der Telegraph und das Telefon machen Datenübertragung und Kommunikation in Echtzeit über große Räume hinweg möglich. Es können viel mehr Daten über viel größere Distanzen verbreitet werden.
     
  • Die Computertechnologie verstärkt diesen Effekt enorm. 

 

Sortieren und Bewerten von Daten

  • Der Überwacher entscheidet, welche Daten für ihn wichtig sind. Der Überwacher entscheidet, wie er die Daten miteinander in Beziehung bringt und verknüpft. 

 

  • Verbinden von Daten und Menschen. Daten haben vielfach nur dann einen Wert, wenn sie mit einem konkreten Menschen verbunden werden können. Im Mittelalter/am Anfang der Neuzeit gibt es bereits Vorschriften, wonach ein Mensch seinen Namen nicht mehr ändern darf. Das erst macht ihn identifizierbar. Und erst dadurch können Daten aus der Vergangenheit (z. B. Steuerschulden) für die Gegenwart nutzbar gemacht werden. Jeremy Bentham macht im 18. Jahrhundert bereits den Vorschlag, jedem Menschen praktischerweise eine Nummer einzutätowieren, damit "der Staat" ihn eindeutig identifizieren kann. Am Anfang des 20. Jahrhunderts setzen sich Reisepässe immer mehr durch. Dadurch werden BürgerInnen auch im Ausland identifizierbar. Im Laufe des 20. Jahrhunderts gehen immer mehr Staaten dazu über, ihre BürgerInnen zur Staatsverwaltung (Wahlen, Steuern, Sozialversicherungen, ...) zentral zu erfassen. 

    By the way: 
    Manchmal gibt ein Staat einem Menschen aus Schutzgründen neue Daten und damit eine neue Identität. Die alte Person verschwindet dann von der Bildfläche und ist nicht mehr "greifbar"

 

  • Verbindung und Rasterung von Daten
    Computertechnologien und Digitalisierung machen es möglich, dass der Staat Daten sehr leicht miteinander verknüpfen kann. Das ist sehr praktisch, wenn der Staat z. B. Steuerschlupflöcher schließen will (wer ist bei welcher Firma krankenversichert <--> Zahlt die Firma für diese Personen Steuern?). Das ist aber auch verführerisch, wenn es darum geht, missliebige Personen unter Druck zu setzen (Sie wollen bei uns als Lehrer arbeiten? Haben Sie nicht vor zehn Jahren an einer Demonstration gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit teilgenommen? Sind Sie überhaupt ein zuverlässiger Staatsbürger?)

 

Privatheit als Grundrecht

  • Privatheit und der Schutz des privaten Raums sind historisch junge Erfindungen (Neuzeit; in Hintergrund: Industrialisierung; Anonymität der Großstädte)

 

  • Anfang 20. Jh: Recht auf Privatheit als Recht, in bestimmten Situationen alleine zu sein (siehe oben)

 

  • Klassische Freiheitsrechte, die damit zusammenhängen: Briefgeheimnis, Schutz des privaten Lebensumfeldes (Wohnung), Recht am eigenen Bild; Bankgeheimnis, …

 

  • 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts: erste Forderungen nach Datenschutz; erste Datenschutzgesetze im engeren Sinn (persönliche Daten als Teil der Privatsphäre)

 

  • Internet // Web2.0: freiwilliges (?) Auflösen der Privatheit im WWW (bei Facebook ist bei über 50 Prozent der Account auf „öffentlich“ gestellt); Privatheit und öffentlicher Raum verschwimmen

 

  • Verenetzung und Öffnung der Privatsphäre kann schnell zu indirekten sozialen Zwang werden. Wer nicht auf Facebook und Co. ist, ist von Informationen ausgeschlossen und kann nicht mitmachen. 

 

  • Die Aufweichung des Schutzes der Privatsphäre ist in der modernen westlichen Demokratie nicht hierarchisch strukturiert; es ist kein böser Überwachungsstaat, der die Daten sammelt; es gleicht eher „Brave New World“ als „1984“. Aber: Staatspolizei und Co. lesen offenbar sehr genau, wer was in FB. veröffentlicht. Zumindest wissen sie im Sommer 2014, welche Menschen auf solchen Seiten für den islamistischen Fundamentalismus Sympathie erkennen lassen. Das freiwillige Aufheben von Privatheit ist „doppelgesichtig“ (positiv: Aufmerksamkeit bekommen, z. B. Promis / Politiker; negativ: Ausgeliefert-Sein an die Öffentlichkeit [klassisches Beispiel: Lady Diana] )

 

  • Vielleicht könnte man als vorläufiges Resümee sagen: Anstatt der klassischen Opposition „privat“ versus "öffentlich" entstehen derzeit gerade unterschiedliche "Sphären von Information" mit vielen Grauzonen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit". Wir müssen lernen, damit umzugehen.       

 

Wenn es um Datenschutz geht, ist nicht nur der Staat Adressat. Es geht auch um die Frage, welche Unternehmen oder Organisationen Zugang zu welchen Daten haben. Diese haben nicht primär ein Macht- und Kontrollinteresse, wie der Staat es hat. Sie haben ökonomische (wirtschaftliche) Interessen. Ansonsten lässt sich vieles parallel setzen.  

Wer sammelt unsere Daten?

 

Der Staat und der Datenschutz 

 

Der Staat KANN (technisch) unendlich viele Daten über seine BürgerInnen sammeln und festhalten. Das ist die technische Seite. 

 

Welche Daten DARF (oder SOLL) der Staat über seine BürgerInnen sammeln und festhalten. Was darf (oder soll) er mit diesen Daten machen? Das ist die (offene und umstrittene) ethische und rechtsstaatliche und menschenrechtliche Diskussion, die dazu gehört.  

 

Unternehmen und Datenschutz

 

Auf der anderen Seite geben wir viele Daten (mehr oder weniger) freiwillig an private Organisationen und Unternehmen weiter,

  • ..., weil diese Unternehmen uns darum ersuchen und uns dafür eine Belohnung / einen Vorteil versprechen (Kunden-Karten)
  • ..., weil wir diese Unternehmen Dienstleistungen anbieten, die wir gerne nutzen möchten (Google, Facebook, ...9
  • ..., weil wir Geschäftsbeziehungen mit Unternehmen eingehen (z. B. Lebensversicherung, Freizeit-Unfall-Versicherung)