Friedrich Nietzsche und die Umwertung der Werte 

Biographisches

Friedrich Nietzsche wird 1844 in Röcken bei Lützen als Sohn des Dorfpastors geboren. Der Vater stirbt, als er fünf Jahre alt ist.  F. Nietzsche wird in der Folge von seiner Mutter, seiner Großmutter, zwei Tanten und seiner jüngeren Schwester "erzogen" beziehungsweise (über)betreut.

 

Maßgeblich für die Entwicklung der Persönlichkeit und des Denkens Nietzsches sind die vom pietistisch-protestantischen Geist geprägte Erziehung  in einem reinen Frauenhaushalt (gestörte Beziehung zur Religion und zu Frauen).

 

Während der Schulzeit (Internat Schulpforta; streng autoritäre Erziehung im Geist protestantischer Frömmigkeit) kommt Nietzsche in Berührung mit dem Gedankengut der Antike, das ihn in der Folge entscheidend beeinflusst. In Leipzig und Bonn studiert Nietzsche Klassische Philologie und Theologie.

 

Während des Studiums in Leipzig macht Nietzsche Bekanntschaft mit dem Werk Richard Wagners, das ihn in der Folge ebenfalls stark beeinflusst ("Von dem Augenblick an, wo es einen Klavierauszug des Tristan gab, war ich Wagnerianer") Mit R. Wagner kommt es allerdings später zum offenen Bruch. Nietzsche wirft Wagner unter anderem vor, dass dieser mit dem "Parsifal" vor den lebensverneinenden Idealen des Christen­tums zu Kreuze gekrochen sei.

 

Mit 23 Jahren erhält Nietzsche eine Professur in Basel; seine Publikationen bleiben allerdings ohne Resonanz oder stoßen auf heftige Ablehnung; die Folgen sind Verbitterung, Enttäuschung und Isolation.

 

Mit 33 Jahren hat Nietzsche einen ersten körperlichen Zusammenbruch  als Folge einer Syphilis-Infektion, die er sich vermutlich im Umgang mit einer Prostituierten geholt hat. Er gibt seine Lehrtätigkeit auf und führt ein Wanderleben, das ihn u. a. nach Italien führt. Die meisten seiner Werke, die aber ohne Resonanz bleiben, entstehen in dieser Zeit.

Mit 43 Jahren beginnt das Endstadium der Syphilis-Infektion, also der endgültige körperliche und geistige Zusammenbruch. In Turin umarmt Nietzsche schluchzend ein vom Kutscher misshandeltes Pferd und wird unter wilden Reden ins Hotel zurückgebracht. Nietzsche lebt noch 11 Jahre im Haus seiner Mutter, betreut von ihr und seiner jüngeren Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche "in geistiger Umnachtung", wo er 1900 stirbt.

 

Dass Nietzsches Philosophie ab 1900 bekannt wird, ist auf das Wirken der Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche zurückzuführen. Dass Nietzsches Philosophie in den Ruf gerät, der NS-Ideologie nahe zu stehen, ist u.a. auch ihr Verdienst. Eine zentrale Rolle spielt dabei "Der Wille zur Macht", den E. Förster-Nietzsche als angebliches Hauptwerk Nietzsches herausgibt. Dieser Text gilt heute als aus unterschiedlichen Fragmenten zusammengeschustertes Machwerk Elisabeth Försters am Rande der Fälschung. E. Förster ist bekennende Faschistin und empfängt Adolph Hitler mehrfach im von ihr gegründeten Nietzsche-Archiv. 


Nach 1945 gilt Nietzsche vielfach als "reaktionärer" Philosoph. Er wird kaum rezensiert. Erst in den letzten Jahren gibt es wieder Ansätze zu einer neuen, differenzierteren Auseinandersetzung mit seiner Philosophie.  

Wichtige Werke

Allgemeines zur Philosophie Friedrich Nietzsches

  • Nietzsche sieht sich selbst als "Philosoph mit dem Hammer". Sein Ziel ist es, die alten Theorien, die die Grundlage für das Denken der Menschen auch in der Neuzeit sind, zu zerstören und die "alten Fesseln" zu sprengen, damit "Platz für Neues" entsteht. (Man könnte dieses Ansinnen damit vergleichen, dass jemand ein altes, möglicherweise denkmalgeschütztes Haus nicht vorsichtig sanieren und modernisieren und eventuell mit einem Anbau versehen möchte. Er möchte es vielmehr komplett abreißen möchte, um neuen Ideen Raum zu geben und Platz für etwas völlig Neues zu schaffen. 


  • Nihilismus: Nietzsche kommt es in den meisten Werken vor allem auf diesen "zerstörerischen" (in modernen Worten: dekonstruktiven) Ansatz an. Es ist nicht sein Ziel, eine neue in sich geschlossene anthropologische oder ethische Theorie zu entwickeln. Deshalb bezeichent man Nietzsches Philosophie auch als "nihilistisch" (von lat. nihil = nichts)

  • Die Hauptkritik Nietzsches richtet sich gegen das Christentum und die Werte, die es vertritt (christliches Gottesbild, christliches Menschenbild, christliche Ethik). Aber auch zentrale Aspekte der griechischen Philosophie, die mit dem Denken von Sokrates und Aristoteles verbunden sind, greift Nietzsche frontal an. 

  • An die Stelle des systematischen, argumentativen, nach logischen Gesetzmäßigkeiten aufgebauten philosophischen Diskurses setzt Nietzsche auf die Provokation und auf aphoristische "Gedankensplitter". An die Stelle der auf Harmonie und Ganzheit abzielenden Ästhetik (die er nach dem griechischen Sonnengott Apoll als apollinisch bezeichnet) setzt er auf die Sinnlichkeit, auf die Gefühle, auf den dionysischen Rausch. 

  • Nietzsches Ziel ist die radikale Zerstörung dessen, was als Kern der "bürgerlichen Kultur" und der bürgerlichen Ethik gilt. Das hat eine faszinierende und eine gefährliche Seite: 

    die Chancen: Nietzsche macht bürgerliche Doppelmoral und die Fassadenhaftigkeit bürgerlicher Tugenden schonungslos sichtbar. Indem Nietzsche bürgerliche Vorstellungen von Kunst, Kultur, Philosophie etc. zerstört, schafft er Platz für Neuansätze, die von völlig neuen Ideen und Konzepten ausgehen. In der Musik ist das z. B. die atonale Musik, in der Malerei das nicht-gegenständliche, abstrakte Malen, in der Literatur das Experiment mit Erzählhaltungen und Erzählperspektiven, in der Gesellschaft die Hinterfragung alter Rollenmuster und gesellschaftlicher Strukturen.  

    die Gefahren: das Vakuum, das durch die Zerstörung der alten Traditionen entsteht,  wird mit problematischen Inhalten gefüllt; die Ethik „jenseits von Gut und Böse“ mündet z. B. in das Ideal des Nietzscheschen Übermenschen, der sich nicht an ethische Normen gebunden fühlen muss und das im NS zum Herrenmenschen weiterentwickelt wird; der Kampf gegen die christliche Mitleidsethik befördert Egoismus und Entsolidarisierung in der Gesellschaft

Die Kritik am Christentum

 

Auszug aus "Der Antichrist"

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Ich kehre zurück, ich erzähle die echte Geschichte des Christentums. - Das Wort schon „Christentum“ ist ein Missverständnis -, im Grunde gab es nur einen Christen, und der starb am Kreuz. Das „Evangelium“ starb am Kreuz. Was von diesem Augenblick an „Evangelium“ heißt, war bereits der Gegensatz dessen, was er gelebt: eine „schlimme Botschaft“, ein Dysvangelium. Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man in einem „Glauben“, etwa im Glauben an die Erlösung durch Christus, das Abzeichen des Christen sieht: bloß die christliche Praktik, ein Leben so wie der, der am Kreuze starb, es lebte, ist christlich ... Heute noch ist ein solches Leben möglich, für gewisse Menschen sogar notwendig: das echte, das ursprüngliche Christentum wird zu allen Zeiten möglich sein ... Nicht ein Glauben, sondern ein Tun, ein Vieles-nicht-Tun vor allem, ein anderes Sein .... Bewusstseins-Zustände, irgendein Glauben, ein Für-wahr-Halten zum Beispiel - jeder Psycholog weiß das - sind da vollkommen gleichgültig und fünften Ranges gegen den Wert der Instinkte: strenger geredet: der ganze Begriff geistiger Ursächlichkeit ist falsch. Das Christ-Sein, die Christlichkeit auf ein Für-wahr-Halten, auf eine bloße Bewusstseins-Phänomenalität reduzieren, heißt die Christlichkeit negieren. In der Tat gab es gar keine Christen. Der „Christ“, das was seit zwei Jahrtausenden Christ heißt, ist bloß ein psychologisches Selbst-Missverständnis. Genauer zugesehen herrschten in ihm, trotz allem „Glauben“, bloß die Instinkte - und was für Instinkte! - Der „Glaube“ war zu allen Zeiten, beispielsweise bei Luther, nur ein Mantel, nur ein Vorwand, ein Vorhang, hinter dem die Instinkte ihr Spiel spielten, - eine kluge Blindheit über die Herrschaft gewisser Instinkte.

.....

Menschen der Überzeugung kommen für alles Grundsätzliche von Wert und Unwert gar nicht in Betracht. Überzeugungen sind Gefängnisse. Das sieht nicht weit genug, das sieht nicht unter sich: aber um über Wert und Unwert mitreden zu dürfen, muss man fünfhundert Überzeugungen unter sich sehen, - hinter sich sehen ... Erwägt man, wie notwendig den allermeisten ein Regulativ ist, das sie von außen her bindet und festmacht, wie der Zwang, in einem höheren Sinn der Sklaverei, die einzige und letzte Bedingung ist, unter der der willenschschwächere Mensch, zumal das Weib, gedeiht: so versteht man auch die Überzeugung, den „Glauben“. Der Mensch der Überzeugung hat in ihr sein Rückgrat. Viele Dinge nicht sehen, in keinem Punkt unbefangen sein, Partei sein durch und durch, eine strenge und notwendige Optik in allen Werten haben - das allein bedingt es, dass eine solche Art Mensch überhaupt besteht. Aber damit ist sie der Gegensatz, der Antagonist des Wahrhaftigen, - der Wahrheit.... Dem Gläubigen steht es nicht frei, für die Frage „wahr“ und „unwahr“ überhaupt ein Gewissen zu haben: rechtschaffen sein an dieser Stelle wäre sofort sein Untergang. Die pathologische Bedingtheit seiner Optik macht aus dem Überzeugten den Fanatiker - Savonarola, Luther, Rousseau, Robbespierre, Saint-Simon -, den Gegensatztypus des starken, des freigewordenen Geistes. Aber die große Attitüde dieser kranken Geister, dieser Epileptiker des Begriffs, wirkt auf die große Masse, - die Fanatiker sind pittoresk, die Menschheit sieht Gebärden lieber, als dass sie Gründe hört.

....

Der christliche Gottesbegriff - Gott als Krankengott, Gott als Spinne, Gott als Geist - ist einer der korruptesten Gottesbegriffe, die auf Erden erreicht worden sind; er stellt vielleicht selbst den Pegel des Tiefstandes in der absteigenden Entwicklung des Götter-Typus dar. Gott zum Widerspruch des Lebens abgeartet, statt dessen Verklärung und ewiges Ja zu sein! In Gott dem Leben, der Natur, dem Willen zum Leben die Feindschaft angesagt! Gott die Formel für jede Verleumdung des „Diesseits“, für jede Lüge vom „Jenseits“! In Gott das Nichts vergöttlicht, der Wille zum Nichts heiliggesprochen. Dass die starken Rassen des nördlichen Europa den christlichen Gott nicht von sich gestoßen haben, macht ihrer religiösen Begabung wirklich keine Ehre, um nicht vom Geschmacke zu reden. Mit einer solchen krankhaften und altersschwachen Ausgeburt  der decadence hätten sie fertig werden müssen. Aber es liegt ein Fluch dafür auf ihnen, dass sie nicht mit ihm fertig geworden sind: sie haben die Krankheit, das Alter, den Widerspruch in alle ihre Instinkte aufgenommen, - sie hatten seitdem keinen Gott mehr geschaffen. - Zwei Jahrtausende beinahe und nicht ein einziger neuer Gott. Sondern immer noch und wie zu Recht bestehend, wie ein Ultimatum und Maximum der gottbildenden Kraft, des creator spiritus um Menschen, dieser erbarmungswürdige Gott des Christlichen Monotono-Theismus, in dem alle decadence-Instinkte, alle Feigheiten und Müdigkeiten der Seele ihre Sanktion haben!



Allgemeine Analyse 

  • „Es gab nur einen Christen, und der starb am Kreuz“ è verweist auf den Widerspruch zwischen christlichem Leben / Lebensideal (Christus) und Lehre des Christentums; Christentum wäre eigentlich nicht Glaube, sondern Tun / vieles Nicht-Tun; dem wird das Christentum in seiner Geschichte nicht gerecht

  • Christentum als Dysvangelium = schlimme Botschaft; Wortschöpfung; Gegenbegriff zum Evangelium (= Frohbotschaft)

  • Glaube als Mantel / als Vorwand, hinter dem „die Instinkte spielen“ è Glaube als Rechtfertigung für Gewalt im Namen der Wahrheit; Widerspruch zwischen Theorie und Praxis

  • Feste Glaubensinhalte, also Überzeugungen sind Gefängnisse // machen blind; damit werden Überzeugungen zum Gegenteil der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit; dem Gläubigen steht es nicht frei, für die Frage nach der Wahrheit überhaupt ein Gewissen zu haben; Überzeugungen führen leicht in den Fanatismus; der Fanatiker ist das Gegenteil des freien Geistes; Fanatiker wirken auf die Masse überzeugend; die Menschheit sieht Gebärden lieber als dass sie Gründe hört; diese Analyse gilt wohl nicht nur für das Christentum (oder die fundamentalistischen Strömungen im Christentum), sondern für jede Form des religiösen und nicht-religiösen Fundamentalismus: Wer glaubt, in Besitz der Wahrheit zu sein, legitimiert schnell Gewalt, um seine Wahrheit gegen so genannte "Ketzer" oder "Ungläubige" durchzusetzen; und er kann sich dabei auch noch gut fühlen. 

  • Kritik am christlicher Gottesbegriff: der christliche Gott als transzendenter, abstrakter, a-sinnlicher Gott als Widerspruch zu Sinnlichkeit und Lebensbejahung; Diesseitsverneinung und Jenseitsidealisierung è Widerspruch zum Leben / zur Lebensbejahung; der Wille zum Nichts sei im christlichen Gott heilig gesprochen; der christliche Gott als „Krankengott“ è Schwäche, Krankheit, Alter, Lebensverneinung als zentrale christliche Ideale

 

Menschenbild

 

explizites christliches Menschenbild:

lebensverneinend, asketisch, auf das Jenseits ausgerichtet

das Kranke, Schwache idealisierend

 

è Problematik: Was ist mit positiver Sinnlichkeit, Lebensbejahung, "gesundem" Egoismus?; Gefahr von Doppelmoral und lebensverneinender Askese

implizites Gegenbild:

Lebensbejahend, sinnlich, diesseitsorientiert

 

Das Gesunde, Triebhafte, Starke idealisierend

 

è Problematik: Was ist mit Solidarität und sozialer Verantwortung?

 

Angriff auf abendländische / christliche Werte

  • christl. Solidarität mit Schwachen // Nächstenliebe (pervertiert in lebensverneinender Demut, Selbstverleugnung)
  • christl. Ideal der Vergeistigung // Orientierung auf das Jenseits (pervertiert in einem alles Sinnliche / Sexuelle / Triebhafte als Sünde verteufelnden Christentum; Schuldkomplex)
  • philosophisches Wahrheitsstreben über Denken und logische Analyse; philosophische Bescheidenheit im Sinn des Sokrates: "Ich weiß, dass ich nicht weiß" (pervertiert in einer akademischen, weltfremden Philosophie, die sich selbst in den akademischen Elfenbeinturm eingemauert hat und deren Relevanz abgesehen von einigen Eingeweihten niemand versteht) 

Die drei Verwandlungen des Geistes ... Oder: Was es  mit dem Übermenschen auf sich hat 

Kamel, Löwe und Kind


"Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kamele wird, und zum Löwen das Kamel, und zum Kinde zuletzt der Löwe"(Zarathustra)


Die Entwicklung des Denkens vollzieht sich für Nietzsche sowohl auf der individuellen als auch auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene in drei Phasen. Nicht alle Gesellschaften und nicht alle Individuen durchlaufen alle Phasen dieser Entwicklung. Die meisten bleiben seiner Meinung nach in der ersten Phase, dem Kamelstadium, verhaftet.


Nietzsche wird oft mit dem Nihilismus (lat. nihil = nichts), also der Philosophie als der totalen Verneinung und Verweigerung, identifiziert. In dem Zusammenhang ist aber wichtig zu sehen, dass die Phase des Nihilismus bei Nietzsche nur ein Durchgangsstadium der notwendigen Befreiung ist, also dem "Löwen-Stadium" entspricht. 


(a) Kamelstadium:

Das erste Stadium ist das Stadium des Aneignens und des Glauben an überlieferte Werte (Klassische Literatur, Theologie, Musik)


(b) Löwenstadium:

In der zweiten Phase erfolgt das kraftvolle Zerbrechen und Zerstören aller überlieferten Werte und Traditionen. Es ist eine Phase des Zerbrechens des Glaubens an die Kultur überhaupt.


Es entspricht der Phase des Nihilismus: Nietzsche "philosophiert mit dem Hammer", d. h. er zerbricht sowohl die Inhalte als auch die Form der traditionellen europäisch-christlichen Denkens.


Nihilismus als Form: Nietzsche verweigert sich dem rational-argumentierenden Diskurs der europäischen Philosophie-Tradition, er schlägt sprachlich-emotional nach allen Richtungen aus.

Nihilismus als Inhalt: 

  • Zerbrechen des Glaubens an die Wahrheit: Jeder Glaube, jedes Fürwahrhalten ist notwendig falsch.
  • Zerbrechen der Moral: Die christliche Moral hat sich gegen den Menschen gewendet, sie ist zur Widernatur geworden. Eben das wird im Nihilismus deutlich. Er ist "Glaube an die absolute Wertlosigkeit", "Glaube an die absolute Sinnlosigkeit". "Der Selbstmord der Moral ist die letzte moralische Forderung." (Zaratustra)
  • Zerbrechen der Religion: absolute Ablehnung vor allem des Christentums. "Gott ist tot. Wir haben ihn getötet."


(c) Kindstadium:

In diesem Stadium erfolgt der Versuch, allem Nihilismus zum Trotz das Leben zu bejahen und eine neue Moral zu finden:

die Übermenschenmoral. Diese wendet sich gegen die bürgerliche Spießigkeit und Doppelmoral; sie bereitet andererseits aber auch der Theorie des Faschismus den ideologischen Boden


Das Kindstadium mündet in eine neue Wertordnung jenseits von Gut und Böse (ethischer Egoismus)

 

Zum Menschenbild bei F. Nietzsche


Christentum und Menschenbild:

Nietzsche vollzieht die radikalste Kritik am Christentum, die man sich vorstellen kann, und geht dabei über andere Kritiker weit hinaus; seine Kritik umfasst alle Ebenen:

  • Ebene des Denkens/Glaubens: Glaubensinhalte sind Gefängnisse, die die Menschen hindern, unvoreingenommen nach der Wahrheit zu suchen. Sie münden in geistige Sklaverei

  • Ebene des Handelns: Glaubensinhalte, die nicht hinterfragt werden (dürfen), münden in fanatische Überzeugungen, in dessen Folge alles Widersprüchliche vernichtet werden darf.

  • Ebene der Geschichte: die Selbstdarstellung des Christentums als humanistisch-soziale Religion ist eine Lüge: In Wahrheit zieht das Christentum eine einzige Blutspur durch zweitausend Jahre Geschichte.

  • Ebene der Werte/der Ethik: Das Christentum hat wesentliche Anteile an der Verweichlichung des Menschen, in dem es Werte wie Mitleid mit den Kranken, Armen, Schwachen, ...  sozialisiert und das Gesunde, Starke, Kämpferische abwertet; daneben vertröstet es auf ein Jenseits, anstatt sich dem Diesseits zu stellen; Verneinung des Instinktiv-Sinnlichen im Christentum zugunsten des Spirituell-Geistigen; alle diese Züge im Christentum stehen in radikalem Gegensatz vor allem zu den Göttern der Antike (Dionysos als Gott der Sinnlichkeit, des Rausches, des Instinktiv-Triebhaften)

 

Das Konzept Herdenmensch - Übermensch: die (zyklischen) Stadien der Entwicklung des menschlichen Geistes 

  • Kamelstadium: Stadium des Herdenmenschen
  • Löwenstadium: Stadium des Nihilismus, der Verneinung, in dem alle traditionellen Werte zerbrochen werden
  • Kindstadium: Stadium des Übermensche, der nicht mehr an traditionelle Werte gebunden ist und der deshalb frei sein kann

Gegenüberstellung: Herdenmenschen (Masse) und Übermensch (Individuum)

Herdenmenschen

  •  beugen sich dem Diktat eines (erdachten, über die Tradition vermittelten) Gottes und bleiben Gefangene dieser Ideologie
  • sind nicht fähig frei zu denken und zu handeln

  • bleiben an eine Moral der Schwäche und des Mitleids gekettet
  • Überhöhung von Geist, Vernunft, Aufklärung, 
    Mäßigung; Leugnung des Instinktiven, Irrationalen, Triebhaften

Übermensch

  • entsteht auf den Trümmern des traditionellen Denkens, nachdem "Gott getötet wurde"
  • Freiheit gegenüber allen traditionellen Werten
  • gekennzeichnet durch den "Willen zur Macht"
  • steht "Jenseits von Gut und Böse", also außerhalb der traditionellen kulturellen und christlichen Werte
  • ist vital, tapfer, tüchtig, mächtig, frei und rücksichtslos

Versuch einer Bewertung ...

Nietzsches Werke beeinflussen kulturelle und soziale Entwicklungen im 20. Jahrhundert auf eine sehr radikale Weise. Aber diese Bedeutung ambivalent. 


Einerseits beschleunigen und beeinflussen die Ideen Nietzsches eine Loslösung von alten Denktraditionen, die zunehmend als Einengung und Korsett empfunden werden. Insofern hat sie emanzipatorischen und befreienden Charakter.


Andererseits lassen sich die Ideen Nietzsches relativ nahtlos in das Ideengebäude des Nationalsozialismus integrieren, wenn man auch heute weiß, dass das Hauptverdienst an der tatsächlichen Vereinnahmung durch die NS Ideologien maßgeblich auf das Betreiben von Nietzsches Schwester Elisabeth Nietzsche-Förster, die seinen Nachlass verwaltet hat, zurückzuführen ist.


Internetlinks und Quellen