Was ist Persönlichkeit? (W)

zentrale Fragen / Aspekte
  • Was verstehen wir unter Persönlichkeit?
  • Welche unterschiedlichen Faktoren beeinflussen / prägen Persönlichkeit? (Gene, Umwelt, autonome Faktoren)
  • Dynamik (Entwcklung, Situationsabhängigkeit des Erlebens und Verhaltens, Veränderungen im Erleben und Verhalten) und Statik (Gleichbleibende Persönlichkeit, Persönlichkeitstypologien)
  • Persönlichkeitsveränderungen (z. B. durch psychische Erkrankungen oder durch neurologische Erkrankungen wie z. B. Alzheimer)
  • Persönlichkeitsstörungen (als Krankheitsbild, z. B. Boderline-Störung) 

Was ist und will Persönlichkeitspsychologie?

Bisher haben wir einzelne psychische Phänomene (z. B. Wahrnehmung, Emotionen) betrachtet und versucht, ein paar grundlegende Theorien zu ihrer Bedeutung zu erfassen.

 

In der Wirklichkeit existieren aber alle diese Faktoren nicht für sich. Vielmehr wirken sie zusammen, verstärken oder blockieren oder überlagern sich gegenseitig. Und dieses Zusammenspiel, das bei jedem Menschen anders (also: individuell) ist, ist ein wichtiger Aspekt der menschlichen Persönlichkeit. 

 

Außerdem verändern Lebewesen sich im Laufe des Lebens. Als Kinder haben wir (zumindest teilweise) anders gedacht, gefühlt, wahrgenommen, ... als als Teenager oder als erwachsene. Auch verhalten wir uns in unterschiedlichen sozialen Situationen (zuhause, in der Schule, in der Beziehung) teilweise sehr unterschiedlich. Und selbst in ähnlichen Situationen können wir uns sehr unterschiedlich verhalten oder unterschiedlich erleben. Trotzdem gehen wir davon aus, dass es - unabhängig von allen diesen Veränderungen und Unterschieden - eine konstante Persönlichkeit ist, die den Kern all unserers Verhalten und Erlebens quasi von der Geburt (oder eigentlich wahrscheinlich schon eine Zeit davor) bis zum Tod bildet. 

 

Wenn wir nach der Persönlichkeit fragen, fragen wir also immer nach dem ganzen Menschen (also nach dem Zusammenspiel unterschiedlicher psychischer Faktoren wie Gedächtnis, Wahrnehmungsmuster, Denkmuster, Motivation, Emotionalität, Intelligenz, …) in einer ganz bestimmten Person. Und wir fragen nach der menschlichen Individualität (Einzigartigkeit).

  

Wir fragen auch nach der Entwicklung dieser Gesamtpersönlichkeit und nach den Faktoren, die auf diese Entwicklung Einfluss genommen haben. Dabei stoßen wir zunächst einmal grob auf ein Wechselspiel zwischen

·         biologischen Faktoren („Gene“)

und

·         Umweltfaktoren („biologische Umwelt“ zuerst im Körper der Mutter, dann in der sozialen Umgebung, in die wir hineingeboren worden sind; das Familienmilieu; die Sozialisation im Kindergarten, in der Schule, im Freundeskreis, in der Berufswelt, Freizeiterfahrungen, …; die Kultur, in der wir aufwachsen)

und schließlich nach

·         „autonome Faktoren“, also nach den Möglichkeiten, selbst die eigene Persönlichkeit zu gestalten.  Ob und inwieweit es solche autonome Faktoren überhaupt gibt, ist umstritten. Gemeint ist, dass Individuen (offenbar schon vor der Geburt) auf ähnliche Situationen durchaus unterschiedlich reagieren. [Manche Babys reagieren z. B. auf Frustration mit nach außen gerichteten Aktivitäten (Schreien), während andere sich zurückziehen und passiv reagieren. Das kann sich in der Folge dazu führen, dass ein Kind unter ungünstigen Entwicklungsbedingungen aggressive Verhaltensmuster entwickeln, während ein anderes passiv, still und mit Rückzug und Isolation reagiert. Dies wiederum beeinflusst, welche Erfahrungen es zukünftig in seinem sozialen Umfeld jeweils machen wird.)

Und wir gehen davon aus, dass wir als Menschen etwas „Kontinuierliches“ sind, und das, obwohl wir uns im Laufe unseres Lebens in unserem Erleben und Verhalten zum Teil sehr massiv verändern können[1].

 

Ob und inwieweit es eine „feste Persönlichkeit“ („Charakter“) im strengen Sinn überhaupt gibt – oder ob es sich dabei um eine Art „Konstrukt“ handelt – ist in der Psychologie umstritten. Unbestritten ist aber, dass wir uns selbst und andere Menschen als solche individuelle Persönlichkeiten wahrnehmen und erleben; unabhängig davon, dass wir uns im Laufe des Lebens verändern und weiterentwickeln; unabhängig davon, dass wir unsere Persönlichkeit zumindest in Teilbereichen (z. B. als Folge einer neurologischen oder psychischen Erkrankung) ganz massiv verändern können und unabhängig davon, dass wir uns in unterschiedlichen sozialen Situationen auch sehr unterschiedlich verhalten und sehr unterschiedliche Erlebensweisen an den Tag legen können.

  

Persönlichkeitspsychologische Theorien gehen also davon aus, dass wir einen Kern menschlicher Identität identifizieren können, der über einen langen Zeitraum hinweg unabhängig von situativen Faktoren (mehr oder weniger) konstant bleibt. Beispielsweise wenn Persönlichkeit definiert wird als „die Eigenschaften einer Person […], die ein beständiges Verhaltensmuster ausmachen“ (Pervin, S. 15). Faktorenanalytische Persönlichkeitsmodelle versuchen, solche Faktoren (Eigenschaften) zu identifizieren.

  

Ebenso offensichtlich ist aber auch, dass Persönlichkeit sich über das gesamte Leben hinweg entwickelt und verändert und dass wir „Persönlichkeit“ deshalb nicht als etwas Starres oder Statisches begreifen dürfen. Neben biologischen Faktoren („Reifung“) führen Erfahrungen, die wir in der Interaktion mit unserer sozialen Umwelt machen, dazu, dass wir uns weiterentwickeln und verändern. Psychodynamische Persönlichkeitsmodelle versuchen, diese Einflussfaktoren theoretisch zu beschreiben.



[1] Vgl. z. B. Simon 2006, S 9ff

Ein paar wichtige Begriffe und Ansätze

Persönlichkeitspsychologie entwickelt Modelle, mit deren Hilfe sie versucht, 

  • konkrete Menschen in ihrem konkreten Erleben und Verhalten zu beschreiben
  • das Erleben und das Verhalten von Menschen zu erklären und vorherzusagen (z. B. Typologie des School-Shooters --> Verhaltensmuster vorhersagen --> Prävention / Umgang / Schulung) 
  • das Erleben und Verhalten von Menschen durch Beratung, Training, Therapie zu beeinflussen oder zu verändern. 

 

Die Entwicklungspsychologie fragt nach den Veränderungen der Persönlichkeit im Laufe eines Lebens. Und sie interessiert sich für die Frage, wie frühere Entwicklungsphasen und Erfahrungen die Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen. (vgl. Versuche von Harlow)

 

Die Psychopathologie betrachtet psychische Erkrankungen unter dem Persönlichkeitsaspekt. Einerseits fragt sie, welche Faktoren (biologische Faktoren, Umweltfaktoren) zur Entstehung psychischer Erkrankungen beitragen. Andererseits fragt sie, wie sich psychische Erkrankungen auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Schlussendlich ist eine Frage, ob und inwiefern eine psychische Erkrankung etwas ist, was ein Mensch hat (was aber nicht Teil seiner Persönlichkeit ist / sein muss) oder ob eine psychische Erkrankung Teil der Kernpersönlichkeit ist. Insbesondere der Begriff der Persönlichkeitsstörung legt letzteres nahe (und ist teilweise genau deshalb umstritten). 

 

Es gibt unterschiedliche persönlichkeitspsychologische Ansätze und Modelle. Wichtig ist, dass wir uns bewusst sind, dass es sich dabei (Landkarten vergleichbar, die wir ja auch nicht mit der Wirklichkeit verwechseln) um vereinfachte und reduzierte Modelle geht, die uns helfen sollen, verschiedene Verhaltensweisen oder "Eigenarten" einzuordnen und zu verstehen. Aber keines der Modelle beschreibt Menschen in ihrer gesamten Komplexität (so wie keine Landkarte die gesamte Landschaft abbildet). 

 

Persönlichkeitstypologien sind die ältesten Versuche, Menschen bestimmten Gruppen zuzuordnen. Beliebt, aber wissenschaftlich nicht haltbar sind  Modelle, die Menschen aufgrund ihres Aussehens (Körperbau) oder bestimmter organischer Eigenschaften bestimmten Typen zuordnen. 

 

Eigenschaftstheorien gehen davon aus, dass unsere Persönlichkeit durch bestimmte konstante und unveränderliche Grundeigenschaften geprägt wird. 

 

Tiefenpsychologische Theorien gehen davon aus, dass unsere Persönlichkeit wesentlich durch uns selbst unbewusste psychische Inhalte (Triebe, frühkindliche Erfahrungen, verdrängte Inhalte in der Psychoanalyse, kollektives Unbewusstes und Archetypen in der analytischen Psychologie) beeinflusst wird. 

 

Die humanistische Psychologie betont demgegenüber vor allem die Persönlichkeitsfaktoren, die den Menschen zu einem autonomen, reflektiert handelnden und frei entscheidenden Individuum machen, also die so genannten autonomen Faktoren (Selbstbewusstsein, Reflexionsfähigkeit, Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen, Fähigkeit, Triebe / Impulse aufzuschieben, Motivationsfähigkeit, ...)