ethische Grundbegriffe: Verantwortung

Der Begriff "Verantwortung"

Begriffsbedeutung

Im Begriff „Verantwortung“ steckt "Antwort" oder "antworten. Er wurde ursprünglich vor allem in der Rechtssprechung verwendet. Dort meinte die Antwort (des Angeklagten) auf eine Anklage, seine Erklärung für ein bestimmtes fehlerhaftes Handeln und für dessen Folgen.

 

 

 

Formen von Verantwortung

Es gibt rechtliche Verantwortung. Sie geht vom Staat aus. 

 

In rechtlicher Hinsicht müssen wir zunächst strafrechtliche Verantwortung und zivilrechtliche Verantwortung unterscheiden.

 

Im strafrechtlichen Sinn werden wir durch ein Gericht zur Verantwortung gezogen, weil wir als strafmündige und schuldfähige Menschen ein Gesetz gebrochen haben, obwohl wir auch anders handeln hätten können. Wenn wir schuldig sind, werden wir für unser Fehlverhalten bestraft. Bei uns gibt es nur Geldstrafen und Freiheitsstrafen. Früher hat es auch andere Strafen - die Todesstrafe, öffentliche Demütigung, körperliche Verstümmelungen, Arbeitslager, Verbannung uam. - gegeben. Diese Strafformen haben wir abgeschafft, weil wir sie für menschenrechtswidrig halten. 

 

Zivilrechtlich ist jemand durch unser Verhalten zu Schaden gekommen, zum Beispiel weil wir aus Unachtsamkeit bei Rot über die Kreuzung gefahren sind. In diesem Fall übernehmen wir Verantwortung, indem wir für den Schaden, den wir verursacht haben, nach Möglichkeit aufkommen und Wiedergutmachung leisten. Ob wir absichtlich gehandelt haben, zurechnungsfähig oder schuldfähig gewesen sind uam., spielt hier keine Rolle.

 

Auch andere Aspekte des Rechts, zum Beispiel das Familienrecht, regeln Verantwortlichkeiten. Beispielsweise übernehmen Eltern für ihre Kinder auch im rechtlichen Sinn Verantwortung. Oder als StaatsbürgerInnen oder EU-BürgerInnen oder Menschen, die mit einem anderen Rechtstitel in Österreich leben, haben wir Verantwortung für Staat und Gesellschaft. Wir müssen die Gesetze beachten, Steuern abführen, sollten an Wahlen teilnehmen, ... 

 

Es gibt soziale Verantwortung. Sie geht von Mitmenschen aus. 

Als Menschen leben wir in sozialen Gemeinschaften. Wir sind Teil einer Familie, SchülerIn in einer Schulklasse oder einer Schule, Mitglied in einem Verein, MitarbeiterIn in einem Unternehmen. Sobald wir mit anderen Menschen zusammen sind. logisch denken und frei handeln können, haben wir ihnen gegenüber auch Verantwortung. Worin diese Verantwortung besteht, hängt natürlich von der konkreten Situation ab. Wie weit sie geht, hängt von den Handlungsmöglichkeiten ab. Generell können wir sagen: Je mächtiger eine Person ist, desto mehr Verantwortung hat sie auch. Und je mehr Freiheit wir Menschen in bestimmten sozialen Situationen geben, desto größer ist auch die Verantwortung, die sie haben. 

 

Es gibt eine Gewissens-Verantwortung. Sie geht von mir selbst aus. 

 

Fast alle Menschen haben im Laufe ihres Lebens Normen und Werte verinnerlicht (Fachbegriff: internalisiert). Das heißt, sie sind für sich selbst davon überzeugt, dass gewisse Werte zu verteidigen sind, dass gewisse Regeln einzuhalten sind, dass gewissen Normen gelten. Dagegen zu verstoßen, hätte ein schlechtes Gewissen zur Folge. Das heißt, es gibt auch eine Verantwortung, die wir mit uns selbst ausmachen müssen. 

 

Für religiöse Menschen gibt es auch eine transzendente Verantwortung

 

 

Menschen, die religiös sind, spüren vermutlich auch eine Verantwortung der göttlichen Instanz gegenüber, an die sie glauben. Es geht dabei darum, die Werte und Normen, die diese Instanz setzt, zu beachten. 

Ebenen von verantwortung

Ebene 1: Träger der Verantwortung

Verantwortung braucht einen Verantwortungsträger, also ein Verantwortungssubjekt, jemanden, der die Verantwortung hat. 

Nach heutiger Auffassung kann nur jemand Verantwortungsträger sein, der in seiner Entscheidung frei ist. Diese Freiheit setzt eine vorhandene Alternative, auch anders handeln zu können, voraus. (Problem ist allerdings: Was ist Freiheit? Wann handelt jemand frei?). 

 

Grundsätzlich gilt: 

  • Je mehr Freiheit wir haben, desto größer ist unsere Verantwortung.
  • Je mehr Macht wir haben, desto größer ist unsere Verantwortung.
  • Je mehr wir wissen, desto größer ist unsere Verantwortung. 

Eine weitere Voraussetzung für Verantwortung im strengeren (strafrechtlichen) Sinn ist Einsichtsfähigkeit und Zurechnungsfähigkeit. Unter Einfluss von psychischen Erkrankungen, von Drogen oder Medikamenten, von geistiger Behinderung, ... kann diese Einsichtsfähigkeit herabgesetzt oder aufgehoben sein. Auch Kindern wird heute diese Einsichtsfähigkeit strafrechtlich nicht zugesprochen. Das war nicht immer so. So gibt es in der Geschichte Beispiele dafür, dass geistig behinderte Menschen, Kinder, ja sogar Tiere strafrechtlich in genau derselben Weise zur Verantwortung gezogen wurden wie voll einsichtsfähige Erwachsene. Verantwortung wurde nur von der Tat, nicht aber vom Verantwortungsträger abhängig gemacht. Es gibt auch heute noch Gesellschaften, die Kinder strafrechtlich sanktionieren; aus europäischer Sicht ist das eine Menschenrechtsverletzung. Und NGOs kritisieren z. B., dass in manchen US-Staaten auch Menschen, die offenbar geistig beeinträchtigt sind oder die zum Tatzeitpunkt noch minderjährig waren, zum Tod verurteilt werden können. 

 

Das Problem der Mitverantwortung oder der kollektiven Verantwortung. 
Ein bis heute ungelöstes, aber immer wichtigeres Problem ist die Frage nach der Mitverantwortung und damit die Frage nach den Grenzen der Verantwortlichkeit. Die Frage nach der Mitverantwortung stellt sich zum Beispiel, wenn es in Gruppen und unter gruppendynamischen Einflüssen zu Gewalt oder Ausschreitungen kommt (z. B. bei Demonstrationen oder im Rahmen von Sportveranstaltungen oder bei Mobbing). Oder sie stellt sich in Zusammenhang mit politischer Radikalisierung oder mit politischen Diktaturen.  Sie stellt sich in hierarchischen Organisationen wie z. B. beim Militär (Mitverantwortung einfacher Soldaten für Fehlverhalten im Krieg) oder in Unternehmen (Mitverantwortung einfacher Mitarbeiter für Miss-Stände). Sie stellt sich, wenn es um Konsumverantwortung und Umweltschutz geht. 

Ebene 2: Adressat von Verantwortung 

Es gibt immer jemandem, dem gegenüber wir Verantwortung haben, also ein Verantwortungsobjekt oder einen Adressaten unserer Verantwortung


Wir haben Verantwortung gegenüber anderen Menschen. Philosophen haben lange Zeit dafür argumentiert, dass Verantwortung etwas Reziprokes sei. Damit war gemeint, dass man nur jemandem gegenüber Verantwortung hat, der auch selbst Verantwortungsträger ist oder zumindest sein kann. Das war ziemlich bequem. Denn so konnte man ganze Personengruppen (z. B. Sklaven oder Kinder) als Adressaten von Verantwortung ausklammern. Man musste sich für Fehlverhalten ihnen gegenüber nicht rechtfertigen. Und man musste dafür kein schlechtes Gewissen haben. Dass das auch  heutiger Sicht nicht geht, ist Ergebnis einer viele Jahrzehnte langen Diskussion um Menschenrechte. Wir haben prinzipiell allen Menschen gegenüber Verantwortung, auch dann, wenn sie - z. B. als Kleinkinder oder als demente Menschen - selbst keine Verantwortung übernehmen können. 

 

Wir haben Verantwortung gegenüber Tieren. Lange Zeit hat man bei uns in der Tradition von Aufklärungs-Philosophen wie Rene Descartes gedacht, Tiere hätten - im Unterschied zu Menschen - keine Seele und keinen Verstand. Im Extremfall sah man in ihnen nichts anderes als "bewegte Maschinen" und verglich z. B. ihr Schreien bei Misshandlung mit quitschenden Zahnrädern einer Maschine. Philosophen, die das bestritten, wie die englischen Empiristen John Berkley oder David Hume galten als Außenseiter. Dementsprechend leugneten viele bis weit ins  20. Jahrhundert hinein, dass Menschen eine Verantwortung gegenüber Tieren hätten. Tiere galten einfach als "Sachen". Das ändert sich inzwischen. Es ist unumstritten, dass Menschen Tieren gegenüber eine Verantwortung haben, wenn sie diese Tiere (als Nutztiere) nutzen oder als Haustiere von sich abhängig machen. Unumstritten ist heute (im Unterschied zu früher) aber auch, dass wir auch Wildtieren gegenüber eine Verantwortung haben; sie besteht ua. darin, dass wir diesen Tieren einen Raum zum Leben überlassen oder dass wir Wildtiere nicht einfach gefangen nehmen dürfen. Eine spannende Frage ist auch, ob und inwiefern man in der Verantwortung gegenüber Tieren Abstufungen machen soll und darf. Da geht es z. B. über die Frage ob und warum wir weniger Verantwortung gegenüber einer Maus oder einem Fisch haben als gegenüber einem Menschenaffen. Über die Frage, wie weit die Verantwortung gegenüber Nutztieren, Haustieren und Wildtieren geht, gibt es immer wieder spannende Diskussionen. Tendenziell stärken wir jedoch die Tiere als Verantwortungs-Adressaten.

 

Wir haben Verantwortung gegenüber der nicht-tierischen Umwelt 

Ob und inwiefern wir eine Verantwortung gegenüber Pflanzen oder der nicht-belebten Natur haben (oder ob es sich dabei nur indirekt um eine Verantwortung gegenüber Menschen handelt), ist umstritten. Die Frage stellt sich z. B. in Zusammenhang mit der pflanzlichen Artenvielfalt. Oder sie stellt sich, wenn es um die Frage geht, ob man Landschaften (z. B. hochalpine Gebiete oder arktische Gebiete oder Wüsten, in denen kaum Tiere leben) für den Menschen nutzbar machen darf, wenn man sie dabei "zerstört" oder stark verändert. 

 

Wir haben Verantwortung gegenüber uns selbst

Dass Menschen auch gegenüber sich selbst eine Verantwortung haben, wird breit akzeptiert. Diese Verantwortung bei Kleinkindern noch sehr gering ist, bei größeren Kindern oder Jugendlichen schon wesentliche stärker ist, aber noch nicht ganz so stark wie bei Erwachsenen. In bestimmten Lebenssituationen - z. B bei einer Demenz - kann sie vermindert oder nicht mehr vorhanden sein.

 

Umstritten ist, wie sehr "der Staat" Menschen in ihrer Verantwortung gegenüber sich selbst  beeinflussen darf und wie weit "der Staat" den Menschen Eigenverantwortung abnehmen soll. Dabei geht es z. B. um "Erziehung" zu einem gesunden Lebensstil (Essen, Rauchen, Bewegung, Drogen, ...). Oder es geht um die Frage, ob  "der Staat" für eine Pensionsvorsorge sorgen soll oder ob jeder einzelne selbst für sich und seine Altersvorsorge verantwortlich ist. Oder es geht um die Frage, ob der Staat Menschen das Recht zugesteht, im Extremfall (z. B. bei einer zum Tod führenden Krankheit) das eigene Leben zu beenden und sich eventuell dabei helfen zu lassen. Sehr liberal geprägte Gesellschaften geben den BürgerInnen viel Freiheit und viel Verantwortung. In patriarchal geprägten Gesellschaften grenzt der Gesetzgeber die Eigenverantwortung eher ein. 


Ebene 3: Wer fordert Verantwortung ein? Die Frage nach der Legitimationsinstanz

 

Schließlich gibt es eine Legitimations-Instanz, die Verantwortung einfordert und vor der wir uns verantworten müssen. Im Sinn einer juristischen Verantwortung ist dies der Staat, aber auch die Mitmenschen, das eigene ethische Gewissen, für religiöse Menschen auch Gott sind Instanzen, vor denen wir uns verantworten müssen. 

 

Was bedeutet verantwortung? und worin besteht sie?

Etwas vereinfacht gesagt, können wir sagen: 

 

 

Verantwortung bedeutet die Pflicht, die eine handelnde Person hat. Sie umfasst

  1. die möglichen Folgen des Handelns einer ethischen Beurteilung zu unterziehen. Das heißt, sie muss Fragen, welche Folgen das eigene Handeln möglicherweise hat. Dabei geht es um 
    * kurzfristige und langfristige Folgen
    * direkte und indirekte Folgen
    * Folgen für unterschiedliche Beteiligte (Problem: Abwägung: Wie stark müssen wir die Folgen für unterschiedliche Beteiligte berücksichtigen? Wen müssen wir räumlich und zeitlich mitzählen?)

    Wir können oft nicht alle Folgen vorhersehen. Wir können oft nicht alle negativen Folgen für alle Beteiligten vermeiden. Aber es geht darum, diese Folgen nicht einfach zu ignorieren. 

    Manchmal sind die Umstände so, dass wir unserer Verantwortung nicht gerecht werden (können). Manchmal benutzen wir aber auch  billige Ausreden, um uns vor unserer Verantwortung davonzustehlen. 

  2. diese Beurteilung zur Grundlage seines Handelns zu machen.
  3. Die Konsequenzen für die Folgen des eigenen Handelns zu tragen. Damit ist zunächst einmal gemeint, dass wir unsere Verantwortung überhaupt anerkennen und uns nicht vor ihr "davonstehlen", indem wir uns auf andere, die Umstände, ... ausreden oder auf eine andere Art  die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten verweigern.
    Die Konsequenzen können ganz unterschiedlicher Natur sein:

    Die Konsequenzen können darin bestehen, dass wir Schuld oder Versagen oder einen Fehler zugeben und uns mit unserer Verantwortung konfrontieren. Das ist oft leichter gesagt als getan. Denn das bedeutet auch, uns mit starken negativen Gefühlen wie Schuld, Angst, Scham, Verzweiflung, Trauer zu konfrontieren und diese Gefühle auszuhalten. Auch ist die Konfrontation mit den Menschen, denen gegenüber wir in unserer Verantwortung versagt haben, oft sehr schwer und löst starke Angst aus.   

    Die Konsequenzen können darin bestehen, dass wir und eine Strafe akzeptieren, die wir dafür bekommen. (Eine Strafe kann auch eine Art Sühne sein. Indem wir sie verantwortlich auf uns nehmen, können wir uns mit unserer Schuld "versöhnen" und vielleicht verzeihen uns auch die anderen.)

    Die Konsequenzen können darin bestehen, dass wir den Schaden, den wir verursacht haben, wieder gut machen. Das ist aber nicht immer möglich. Aber dann ist es vielleicht möglich, eine "symbolische Wiedergutmachung" zu leisten. 

    Die Konsequenzen können auch darin bestehen, dass wir versuchen, aus der Situation etwas für uns selbst und unser weiteres leben zu lernen. Das bedeutet, dass wir unser Handeln und die Folgen, die wir verursacht haben, zu einem Teil unserer Identität machen. 

Zum Weiterarbeiten

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Arbeitsblatt zum Dokumentar-Film: "Ich bin doch kein Mörder. Folgen eines Autounfalls" von Jule Sommer und Udo Klingmann (Reihe: "Gott und die Welt"; ARD)
Der Film portraitiert den 20jährigen Willi, der einen Verkehrsunfall verursacht hat. Beim Unfall ist sein Freund ums Leben gekommen. Es geht um die Frage der Schuld und die Frage der Verantwortung.
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Theorie: Verantwortung und der Umgang mit Grenzsituationen nach Karl Jaspers
In ihrem Leben kommen Menschen immer wieder an Grenzsituationen, wie der Philosoph Karl Jaspers sie beschrieben hat. Es geht dabei vor allem um die Konfrontation mit Sterben/Tod/Leid, um Scheitern und um Schuld. Die Frage nach dem "guten Umgang" mit Grenzsituationen überschneidet sich stark mit der ethischen Frage nach Verantwortung. Dabei zeigt sich: Verantwortung hat nicht nur eine strafrechtliche Seite.
Verantwortung_Umgang mit Grenzsituatione
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