Beispielthema Depressionen

Laut WHO haben Erkrankungen aus dem depressiven Formenkreis gute Chancen, zur Krankheit des 21. Jahrhunderts zu werden. In industrialisierten Staaten werden depressive Erkrankungen heute bis zu fünfmal häufiger diagnostiziert als noch in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts.

Was sind zentrale Merkmale (Symptome) depressiver Erkrankungen?

typische Symptome für depressive und für manische Phasen
typische Symptome für depressive und für manische Phasen

zentrale Merkmale der Depression

 

Depressionen gehören (neben Süchten) zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Wenn wir alle Depressionsformen zusammennehmen, beträgt das s. g. „life-time-risk“, d. h. das Risiko, mindestens einmal im Leben an einer klinisch relevanten Depression zu erkranken, ungefähr 10 Prozent. Anders formuliert: jeder zehnte Mensch hat im Laufe seines Lebens ziumindest einmal eine  "krankheitswertige" Depression. 

 

Die so genannte endogene Depression (endogen = von innen kommend, also ohne erkennbare äußere Ursache; wahrscheinlich gibt es einen starken biologischen Anteil) ist nur eine Teilform; ihre Verbreitung liegt – Schätzungen gehen auseinander – zwischen zwei und fünf Prozent.

 

Gekennzeichnet ist die Depression durch zwei zentrale Symptom-Achsen: negative Stimmungslage und fehlenden Antrieb.

 

Typische Leitsymptome fasst man oft als „Losigkeits-Syndrom“ (Freud-, Lust-, Antriebs-, Sinn-, Erfolgslosigkeit, .....) zusammen; Antriebslosigkeit äußert sich in der Unfähigkeit, auch die alltäglichsten Aktivitäten wie Aufstehen, Kochen, .... zu bewältigen. Depressionen sind oft mit Gewichtsschwankungen und Schlafstörungen (Einschlaf- und Durchschlafprobleme; Morgentief) verbunden. Oft sind Denken und Zeiterleben verlangsamt.

 

Viele Menschen mit Depressionen haben starke Schuldgefühle, die auch wahnhafte Züge annehmen können (Überzeugung, noch nie im Leben etwas zuwege gebracht zu haben); auch zwanghaft grüblerisches Denken ist sehr häufig; die Gedanken kreisen dabei um Vorstellungen des eigenen Versagens, der eigenen Unzulänglichkeit, der anstrengenden Seiten des Lebens.

 

Meistens ist die Stimmung am Morgen am Tiefpunkt (Morgentief); gegen Nachmittag / Abend kann sich die Stimmung bessern.

 

Depressionen sind oft mit Suizidalität verbunden; dieser Wunsch, nicht mehr zu leben, ist das Resultat der Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die das Denken eines depressiven Menschen meistens prägt; Depressionen zählen – neben Süchten – zu den psychischen Erkrankungen mmit einer besonders ausgeprägten Suizidalität.. Besonders hoch ist die Suizidgefährdung jeweils am Anfang und am Ende einer depressiven Phase.

 

Depressive Menschen sind sehr schwer zu einer Therapie zu bewegen; im Unterschied zur Manie besteht bei ihnen zwar ein Leidensdruck, was aber fehlt, ist der Glaube daran, dass man ihnen helfen könne. Sie fühlen sich oft primär nicht krank, sondern vor allem schuldig.

 

Was sind häufige Formen der Depression?

 

Es gibt unterschiedliche Formen von Depressionen; reaktive Depressionen sind oft Teil der s. g. posttraumatischen Belastungsstörung; sie sind Reaktion auf eine nicht bewältigbar erscheinende traumatische Erfahrung; z. B. den Tod eines Kindes oder die Konfrontation mit einer Naturkatastrophe.

 

Manchmal fehlen wesentliche Symptome der Depression; z. B. ist ein typisches Gefühl, „mit angezogener Handbremse auf Vollgas unterwegs zu sein“, begleitet von innerer Unruhe, Stress, Freudlosigkeit, ... Hinweis auf eine „agitierte Depression“; sie ist von außen sehr schwer zu erkennen, denn der Erkrankte scheint ja sein Leben zu bewältigen; was ihm aber fehlt, sind alle positiven Gefühle.

 

Eine Sonderform der Depression ist das s. g. „Burn out“, das es als eigenes Erkrankungsbild in den Diagnose-Schlüsseln (zumindest bisher) gar nicht gibt; die Depression stellt sich als letzte Stufe eines langen Prozesses der (meist beruflichen) Engagiertheit (vor allem in s. g. Helferberufen) ein; der Depression zuvor geht eine lange Phase des chronischen Stresses und der chronischen Überlastung.

 

Eine weitere Sonderform wäre die postpartale Depression (ähnlich, aber nicht identisch mit dem „Babyblues“), die sich bei einigen Prozent von Müttern unmittelbar nach der Geburt einstellt. Auslöser sind wahrscheinlich hormonelle Schwankungen während der Geburt; auch psychosoziale Faktoren (z. B. Stress in der neuen Rolle als Mutter; Versagensängste, Perfektionismus, ...) spielen eine Rolle.

 

Depressionen sind oft auch Sekundärerkrankungen bei Süchten (Alkoholsucht, Drogensucht, Medikamentensucht, Ess-Störungen; Nicht-stoffgebundene-Süchte, ...)

 

Die eigentliche endogene Depression kann zwar mit Stress als Auslöser gekoppelt sein, hat aber keine unmittelbar erkennbare exogene Ursache. Scheinbar aus heiterem Himmel fällt der Betroffene in ein tiefes Loch und hat keine Chance mehr, auch nur für kurze Zeit aus diesem Loch aufzutauchen. Neben dem „Morgentief“ ist ein schubhafter / phasenhafter Verlauf für diese Form der Depression typisch.

 

zentrale Merkmale der Manie / manischer Phasen bei bipolaren Depressionen

 

Die Manie tritt praktisch nur in Verbindung mit depressiven Phasen auf (Manisch-Depressive-Erkrankung). Sie ist der Gegenpol zur depressiven Phase. Bei einer so genannten bipolaren Depression gehen depressive Phasen in ihr Gegenteil, eine manische Phase, über. Die einzelnen Phasen können unterschiedlich lang sein und wechseln sich oft in einem bestimmten Rhythmus ab. Der Wechsel von einer depressiven zu einer manischen Phase kann sehr schnell (wenige Tage) gehen.

 

Die Manie als Gegenpol zur Depression ist gekennzeichnet durch extrem euphorische Stimmungslage (ich kann alles, ich schaffe alles) und durch extrem gesteigerten Antrieb; Antriebssteigerung und euphorische Stimmung sind allerdings zwanghaft.

 

Das Zeiterleben ist oft beschleunigt (Zeitraffer), in manischen Phasen kommen Menschen mit extrem wenig Schlaf (2 bis 3 Stunden) aus.

 

Menschen in einer manischen Phase sind immer in Bewegung, reden ununterbrochen (Logorrhoe = Sprechdurchfall), sind distanzlos und wirken daher auf den ersten Moment sehr überzeugend und kommunikativ. Sie sind aber nicht in der Lage, die Bedürfnisse und Stimmungen ihrer Umgebung zu erkennen. Dadurch geraten sie sehr schnell in Isolation.

Manische Menschen sind oft extrem krankheitsuneinsichtig ("Mir geht es ausgezeichnet"). Dadurch ist die Bereitschaft zu einer Behandlung oft nicht vorhanden. Durch die Unfähigkeit, eigene Grenzen einzuschätzen, bringen sich Menschen in einer Manie oft in wirtschaftliche Schwierigkeiten (Überschuldung) oder in Lebensgefahr (Abenteuersportarten, Autounfälle)

 

Auswirkungen auf betroffene Menschen und auf ihr soziales Umfeld

Verlauf einer bipolaren Depression (Bsp.)
Verlauf einer bipolaren Depression (Bsp.)

Auswirkungen auf die betroffenen Menschen

 

Depressionen haben oft gravierende Auswirkung auf das Leben betroffener Menschen. Zunächst einmal ist ein Problem, dass viele betroffene Menschen zwar beobachten, dass sie sich in ihrem Verhalten und in ihrem Erleben verändern. Wenn sie aber in ihrem sozialen Umfeld keine anderen betroffenen Menschen kennen, können sie diese Veränderungen manchmal nicht zuordnen. Sie versuchen, sich anzustrengen, um ihr Leben weiter zu bewältigen. Aber sie schaffen es nicht. Das wiederum erhöht die für die Depression ohnedies typischen Schuldgefühle und Tendenzen zu Selbstvorwürfen. 

 

Menschen mit einer Depression scheitern - lwegen der für die Krankheit typischen Antriebsschwäche - oft in der Bewältigung typischer Alltags-Aufgaben. Das kann z. B. für schulische oder berufliche Anforderungen, für Haushaltsaufgaben, aber auch für soziale Aktivitäten gelten. Depressive Menschen tendieren außerdem dazu, sich sozial zu isolieren. Auch fällt ihnen die soziale Interaktion (Gespräche, sich artikulieren) schwer. Auch deshalb erfahren sie häufig erst spät Hilfe. 

 

Ein weiteres Problem ist, dass Depressionen oft mit dem Gefühl verbunden sind, das Leben habe keinen Sinn, es gebe nichts, was das Leben lebenswert mache und als betroffener Mensch sei man für andere vor allem eine Last. Diese negativen Gefühle münden oft in suizidale Vorstellungen. 

 

Menschen in einer manischen Phase wirken auf den ersten Blick oft so, als ob sie "sehr gut drauf" wären. Sie sind kontaktfreudig und offen. Sie sind aktiv. Sie haben viele Pläne. Sie blicken sehr optimistisch in die Zukunft. Und sie erklären gern, dass sie "jetzt verstehen", warum es mit ihrer Beziehung oder mit dem Job in der Vergangenheit nicht so geklappt hat, und dass sie jetzt alles besser machen. Was Menschen in einer Manie fehlt und zu einem Problem wird, wird meistens erst auf den zweiten Blick sichtbar. Dazu zählt z. B. die Unfähigkeit, zuhören und kritische Gedanken und Fragen an sich heranzulassen. Oder die Unfähigkeit, eigene Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. 

 

Auswirkungen auf das familiäre System

 

Depressionen (und Manien) sind - wie andere psychische Erkrankungen auch - Krankheiten mit massiven Auswirkungen auf das soziale Umfeld. Typische Dynamiken, die in Familien mit erkrankten Menschen entstehen sind

  • Schuldgefühle („Was habe ich falsch gemacht, dass sie jetzt ....“)
  • Überlastung des Angehörigen (oft auch von Kindern), weil sie die Rolle des erkrankten ausfüllen müssen (für jüngere Geschwister sorgen, ...)  verstärkt die Schuldgefühle des depressiv erkrankten Familienmitglieds; auch die Unfähigkeit zu kommunizieren (Verlangsamung) und die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, können für Angehörige extrem belastend sein;
  • Stress, Hilflosigkeit der Angehörigen; alle „normalen“ Konfliktlösungsmechanismen versagen; alles, was unternommen wird, macht den erkrankten Angehörigen nur noch depressiver und ist eine Bestätigung für sein negatives Selbstbild; Appelle an den Willen (Reiss dich doch ein bisschen zusammen; das muss doch gehen) gehen ins Leere und machen den depressiv Erkrankten nur noch depressiver
  • Depressionen können auch einen systemstabilisierenden Effekt haben; das heißt: sie verhindern zum Beispiel eine Trennung (Man kann sich von einem depressiven Menschen doch nicht trennen und ihn so im Stich lassen)

Um die Belastungen zu ertragen, ist meistens Hilfe von außen (Selbsthilfegruppen, begleitende therapeutische Stützung, ...) unumgänglich; wichtig ist, sich über die Krankheit zu informieren (um die Dynamik kennenzulernen, um Strategien im Umgang mit der Erkrankung zu lernen; um zu erkennen, dass man mit diesem Problem nicht allein ist, lernen mit Suizidäußerungen umzugehen, ...) und das erkrankte Familienmitglied nach Möglichkeit zu einer medizinisch-psychotherapeutischen Therapie zu bewegen

 

Ursachentheorien und Therapieansätze

Schwere Depressionen müssen meistens auch medikamentös behandelt werden. Erst sekundär ist auch eine psychotherapeutische (z. B. kognitive, kreative, verhaltenstherapeutische) Begleitung wichtig; schließlich ist es oft wichtig, auch für eine sozialarbeiterische Betreuung zu sorgen. Selbsthilfegruppen (für betroffene Menschen und Angehörige) sind heute wichtige Ergänzungsangebote zu den klassischen therapeutischen Angeboten.

Die medikamentöse Einstellung erfolgt in schweren Fällen meist stationär. Insgesamt ist das Bestreben aber, stationäre Aufenthalte zu verkürzen und durch ein ambulantes Betreuungsangebot abzulösen.

 

medizinische Therapie

Die Annahme, dass Depressionen auf einer Gehirnstoff-Wechsel-Störung (z. B. Mangel am Neurotransmitter Serotonin, der für die Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen zuständig ist und stark mit Aktivität und Zufriedenheit in Verbindung stehen dürfte) leiden, ist zentral. Medikamente stabilisieren diesen Gehirnstoffwechsel.

 

Antidepressiva machen nicht abhängig, sind aber schwer einzustellen und können unangenehme Nebenwirkungen (Gewichtszunahme, Mundtrockenheit, ....) haben. Außerdem wirken sie erst zeitverzögert nach. Meistens werden sie stationär eingestellt, vor allem auch wegen der möglichen steigenden Suizidgefahr am Anfang einer medikamentösen Behandlung (Antriebssteigerung kann vor der Stimmungsaufhellung einsetzen), wegen der mangelnden Compliance (Bereitschaft zur Kooperation), wegen der schwierigen Einstellung

 

Antidepressiva heilen nicht, sondern lindern nur die Symptome

 

Medikamente sind v. a. Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRIs; z. B. Fluktine), also Antidepressiva der 3. und 4. Generation; sie haben weniger Nebenwirkungen als „alte“ Antidepressiva; Lithium (Salz) wird bei bipolaren Störungen oft verschrieben; („kappt“ die Spitzen der Phasen), auch andere Medikamente, z. B. MAO-Hemmer oder niedrigpotente Neuroleptika, können verschrieben werden.

 

In manchen Einrichtungen (auch am LKH Rankweil) wird seit einigen Jahren „als Therapie letzter Wahl“ in ganz wenigen Fällen die „Elektroheilkrampftherapie“ (Elektroschock, diesmal aber unter Vollnarkose) eingesetzt. 

 

Nicht-Medikamentöse medizinische Therapien.

 

Außerdem weiß man heute, dass hohe Lichtintensität (Sonnenlicht) und Ausdauerbewegung depressive Symptome lindern können. Jemand, der zu leichteren depressiven Verstimmungen neigt, kann diese Symptome so möglicherweise auffangen. Jemand, der an einer schweren Depression leidet, kann eine Unterstützung erfahren.

 

b) Psychologische Theorie; kognitiver Ansatz:

 

Depressive Menschen leiden an einer stark verzerrten Wahrnehmung der Außenwelt und der eigenen Person (sie überbetonen das Negative und übersehen das Positive). Ziel kognitiver Therapien ist eine Weiterentwicklung bzw. Veränderung der Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung der Umgebung, sodass betroffene Menschen besser in der Lage sind, auch eigene Potentiale und Stärken zu erkennen. 

 

c) Psychologischer Ansatz: Verhaltenspsychologischer Ansatz

depressive Menschen können mit Belastungen und Stress schlecht umgehen. Sie tendieren dazu, sich zu überfordern, und müssen deshalb lernen, mit Belastungen weniger schädlich umzugehen.

 

d) Psychologische Theorien: tiefenpsychologischer Ansatz:

Sie sehen biographische Erfahrungen unbewusste Konflikte (Schuldgefühle, Ängste, nicht zugelassene Trauer, ....) als Ursache der Depression. Durch die Bearbeitung des unbewussten Konflikts soll die Ursache der Depression aufgearbeitet werden.

 

e) systemischer Ansatz

Systemische Therapieansätze begreifen eine Erkrankung als Erkrankung nicht einer individuellen Person, sondern eines sozialen Systems, im Normalfall einer Familie; eine Depression hat Auswirkungen auf alle Mitglieder des Systems; deshalb brauchen alle Mitglieder im System Begleitung und Unterstützung und nicht nur die betroffene erkrankte Person; Systeme können Erkrankungen unbewusst Stützen (Schuldgefühle stabilisieren die Beziehung); wenn diese Dynamik nicht aufgedeckt wird, kann der Erkrankte seine Erkrankung nicht „loslassen“; wenn sich ein Teil des Systems verändert, müssen sich auch die anderen Teile verändern (d. h. Wenn z. B. der Ehepartner krankheitsstützende Verhaltensweisen aufgeben kann, kann der erkrankte Partner eher den Schritt in eine Therapie machen)

 

e) soziotherapeutische Verfahren

Bei der stationären Behandlung ist die Arbeits- und Beschäftigungstherapie ein wichtiger Bestandteil. Je nach Zustand des Patienten ist Hilfe bei der Tagesstrukturierung, Entdeckung kreativer Fähigkeiten, nicht-sprachliche Gefühlsverarbeitung oder Konzentrations- und Ausdauertraining Ziel der Behandlung. Ziel ist so, das Entstehen einer sekundären Krankheitsebene durch Arbeitsunfähigkeit, Isolierung, .... und eine Hospitalisierung zu verhindern