Empirismus oder das Vertrauen in die Sinne

Vertreter

John Locke (1632 - 1704) 

George Berkley (1684 - 1753)

David Hume (1711 - 1776)

Grundansatz des Empirismus

Der Rationalismus setzt in der Frage, wie wir Wirklichkeit erkennen können, auf die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft. Philosophen, die dem Rationalismus anhängen, wie v.a. Rene Descartes, glauben also, dass wir durch vernünftiges Nachdenken und mithilfe der Logik zu sicheren Erkenntnissen über Wirklichkeit gelangen könnten. Der Rationalismus ist vor allem auf dem Kontinent (Deutschland, Frankreich) verbreitet. 

 

Auf den britischen Inseln entwickelt sich eine dazu gegensätzliche Position, der Empirismus (griech. "empeira" = Erfahrung). Er geht davon aus, dass wir über Sinneseindrücke zu Wissen über die Wirklichkeit kommen. Im Mittelpunkt des Empirismus steht also nicht das Denken, sondern das (systematische) Beobachten. 

 

Das Bewusstsein des Menschen ist nach Meinung der Empiristen zunächst einmal ein "leeres, unbeschriebenes Blatt" (eine "Tabula rasa"). In ihm gibt es keine angeborenen Ideen ("no innate ideas") wie bei Descartes. Erst die Wahrnehmung hinterlässt Spuren - vergleichbar Schriftzügen - auf diesem Blatt. "Es ist nichts im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war" (Locke)

 

Ausgangspunkt für jede Form der Erkenntnis ist also für die Empiristen die sinnliche Erfahrung. Dabei unterscheidet John Locke zwischen zwei unterschiedlichen Formen, die er beide der Sinneserfahrung zuordnet: 

 

a) Sinnesempfindung (sensations): Wahrnehmung der äußeren Dinge

b) innere Selbstbeobachtung (reflection)


Wahrnehmen können wir nicht die materielle Welt. Denn Erkenntnis ist nicht wie die physikalische Welt materiell und hat z. B. keine räumliche Ausdehnung. Was wir wahrnehmen, ist etwas Geistiges, eine Idee. Aus der sinnlichen Erfahrung entstehen dem Empirismus zufolge zunächst einmal einfache Ideen (Qualitäten wie Farben, Formen, Größe, .....). Diese werden mithilfe der Erfahrung zu komplexen Ideen (konkrete Objekte) zusammengefügt. Da diese Zusammenfügung immer ein geistiger Akt ist, kann es eigentlich, so schlussfolgert G. Berkley, gar keine Objekte außerhalb der Wahrnehmung geben: "Esse est percipi" (= Sein ist Wahrgenommen-Werden). 

 

Erkenntnis ist aber noch mehr als nur die Entwicklung komplexer Ideen mithilfe von Erfahrungen. Erkenntnis hat allgemeinen Charakter und sagt etwas Grundlegendes über Welt und Wirklichkeit aus. Der Empirismus muss also erklären, wie wir zu so allgemeinen Erkenntnissen (z. B. zur Aussage: "Katzen miauen" oder "Hunde bellen" oder "Enten sind Nestflüchter" kommen).


Im Unterschied zum deduktiven Vorgehen des Rationalismus ist der Weg, auf dem die Empiristen nach allgemeiner Erkenntnis suchen, ein induktiver (inducere = hineinführen): Aus Einzelbeobachtungen (Katze1 miaut, Katze2 miaut, Katze 3 miaut, Katze 4 miaut, ...) wird irgendwann auf eine allgemeine Aussage ("Alle Katzen miauen") geschlossen.

 

So kommen wir nach der Vorstellung der Empiristen zu Wissen über die Wirklichkeit. 

 

Leistungen des Empirismus

Der Empirismus ist ein wichtiger Gegenpol zur Rationalismus und eine wichtige erkenntnistheoretische Grundposition: 


  • Die Sinneserfahrung als Grundlage für Erkenntnis ist (neben der Rationalität) das zweite Standbein, auf dem die Wissenschaften sich entwickeln konnten. Experimentelles Überprüfen von Thesen / Theorien ist im Wesentlichen die Umsetzung der empiristischen Theorien

  • Auch der Empirismus enthält in sich einen zutiefst individuellen und offenen Ansatz: Jeder kann mit seinen Sinneserfahrungen allgemeine Thesen / Theorien reflektieren;

  • Außerdem liefert der Ansatz des Empirismus ebenfalls eine der Grundlagen, die in das Wissenschaftsideal der Objektivität münden: Objektivität (d. h.: die Unabhängigkeit einer These vom Beobachter) ist dann gegeben, wenn mehrere Beobachter unter den selben Bedingungen zu den selben Ergebnissen kommen

Probleme und Scheitern des Empirismus

Dennoch scheitert der Empirismus in seinem Ziel, einen zu den Autoritäten alternativen Weg zu sicherer Erkenntnis aufzuzeigen. Die fundamentalen Probleme, zu denen ein konsequenter Empirismus führt, sind im Wesentlichen folgende:

 

Kausalitätsproblem

 

Ein strenger Empirist kann immer nur beobachten, dass zwei oder mehrere Ereignisse (z. B. Ich öffne meine Finger - die Kreide fällt auf den Boden - die Kreide zerbricht) raumzeitlich aufeinander folgen, er kann aber nicht erkläre, dass ein Ereignis die kausale Bedingung (also die Ursache) für das nachfolgende Ereignis ist. Daher müsste ein konsequenter Empirist auf das Konzept der Kausalität verzichten. Nur wenige waren dazu tatsächlich bereit. Und eine Wissenschaft ohne kausale gesetzmäßige Beziehungen ist schlichtwegs unvorstellbar.

 

 

Induktionsproblem

 

Ein induktiver Schluss ist - wie wir schon gesehen haben - ein Schluss vom Einzelnen zum Allgemeinen. Aus der wiederholten Beobachtung eines weißen Schwanes ("Schwan 1 ist weiß", "Schwan 2 ist weiß", Schwan 10 ist weiß") schließen wir irgendwann, dass alle Schwäne offenbar weiß sind. 

 

Problem ist aber, dass dieser Schluss logisch nicht gültig ist und nicht zu absolut sicherer Erkenntnis führt. Es handelt sich nur um einen Wahrscheinlichkeitsschluss. Das ist sehr leicht nachvollziehbar, wenn wir uns bewusst machen, dass es irgendwo schwarze Schwäne geben könnte, die wir bis jetzt nur noch nicht gesehen haben. Da wir niemals alle Schwäne beobachten können, können wir auch niemals eine notwendig wahre Aussage wie "Alle Schwäne sind weiß" aus der Beobachtung von noch so vielen weißen Schwänen ableiten. 

 

Dazu schreibt der Philosoph Bertrand Russell: 

 

Dieses Problem entsteht dadurch, dass (...) Erkenntnis allgemein ist, während die Erfahrung nur Einzeldinge kennt. Es erscheint merkwürdig, dass wir imstande sein sollten, einige Wahrheiten im voraus über Dinge zu wissen, die uns in unserer Erfahrung noch nicht begegnet sind. Aber es ist kaum zu bezweifeln, dass Logik und Arithmetik auch auf diese Dinge anwendbar sind. Wir wissen nicht, wer London in hundert Jahren bewohnen wird, aber wir wissen, dass auch dann zwei Einwohner und noch zwei Einwohner vier Einwohner ergeben werden. (Bertrand Russel: Probleme der Philosophie, 1912)

 

 

falsche Grundidee von Erkennen

 

Auf ein anderes Problem des klassischen Empirismus weist K. R. Popper hin. Er argumentiert, der Empirismus habe ein falsches Modell von Erkennen, indem er den Prozess der Erkenntnis mit einem in der Landschaft stehenden Kübel, der sich bei Regenwetter allmählich mit Wasser fülle, vergleicht. In Wirklichkeit vollziehe Erkenntnis sich aber vollkommen anders. 

 

Wir können uns das Problem veranschaulichen, wenn wir an einen Ichtyologen (= Fischforscher) denken, der mit seinem Fischernetz tagtäglich aufs Meer hinausfährt und Fische fängt. Anschließend stellt er allgemeine Fisch-Gesetze auf, die er aufgrund seiner Einzelfänge gemacht hat:


Gesetz 1: Alle Fische haben Kiemen

Gesetz 2: Alle Fische sind größer als 5 Zentimeter.


Die beiden Sätze scheinen eine analoge logische und grammatische Struktur zu haben. Doch im Hinblick auf ihren Aussage-Wert unterscheiden sie sich fundamental. Denn der zweite ist eine Art "Mess-Fehler". Dieser kommt zustande, weil das Netz, mit dem der Fischer unterwegs ist, offensichtlich eine bestimmte Maschengröße hat. Und alle Fische, die kleiner sind, ganz einfach mit diesem Netz nicht gefangen werden können. Wenn der Fischer seinen Fehler bemerkt, kann er sein Netz wechseln oder auf eine andere Fangmethode umsteigen. Aber irgendein Fanginstrument wird er brauchen. Und er weiß nie, was ihm mit dem jeweiligen Instrument durch die Netze geht. D. h.: er kann sich nie sicher sein, dass er auch wirklich alle Fische erfasst hat. (Bsp. nach Arthur Eddington: „The Philosophy of Physical Science, 1939)

 

Popper schreibt zu diesem Problem: 

 

Ich beginne mit einer kurzen Charakterisierung der zu kritisierenden Auffassung, die ich gewöhnlich als "Kübeltheorie der Er­kenntnis" bezeichne. Diese Auffassung geht von der sehr ein­leuchtenden Feststellung aus, dass wir zunächst einmal Wahrnehmun­gen haben müssen, bevor wir über die Welt etwas wissen können und aussagen können. Daraus wird geschlossen, dass unser Wis­sen oder unsere Erfahrung entweder aus Wahrnehmungen besteht (naiver Empi­rismus, Locke) oder doch wenigstens aus verarbeiteten, geordneten und klassi­fizierten Wahrnehmungen (Bacon, I. Kant).

 

Die griechischen Atomisten stellten sich diesen Vorgang ganz pri­mitiv vor. Sie nahmen an, dass sich Atome von den zu erkennenden Gegenständen loslösen und in unsere Sinnesorgane eindringen, wo sie zu unseren Wahrnehmungen werden. Aus diesen Wahrnehmungen setzt sich dann im Lauf der Zeit unser Wissen von der Außenwelt zusammen. (...) Unser Geist gleicht sozusagen einem Behälter mit Öffnungen, einer Art Kübel, in dem sich die Wahrnehmungen und das Wissen ansammeln. (Bacon spricht von den Wahrnehmungen als von reifen Trauben, die wir geduldig einsammeln müssen, und aus denen der reine Wein der Erkenntnis ausgepresst wird.) (...) Ich glaube, dass alle diese Ansichten dem tatsächlichen Verfahren der Forschung in keiner Weise gerecht werden. (...)

 

In der Wissenschaft spielt nicht so sehr die Wahrnehmung, wohl aber die Beobachtung eine große Rolle. Eine Beobachtung aber ist ein Vorgang, in dem wir uns äußerst aktiv verhalten. In der Beobachtung haben wir es mit einer Wahr­nehmung zu tun, die planmäßig vorbereitet ist, die wir nicht "haben", sondern machen, wie die deutsche Sprache ganz richtig sagt. Der Beobachtung geht ein In­teresse voraus, eine Frage, ein Problem, kurz: etwas Theoretisches. (..) Ich bezeichne diese Ansicht als "Scheinwerfertheorie", im Gegensatz zur "Kübeltheorie". (K. R. Popper: Objektive Erkenntnis, 1972)

 


Arbeitsaufgabe: 

A1: "Es ist nichts im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen gewesen ist." "Der Mensch ist bei seiner Geburt eine Tabula Rasa, ein leeres, weißes, unbeschriebenes Blatt." "Es gibt keine angeborenen Ideen." Erkläre, was radikale Empiristen mit diesen Aussagen meinen. Suche nach Beispielen, mit denen sie ihre Position begründen würden. 

 A2: Von George Berkley stammen die folgenden radikalen Aussagen:
* Esse est percipi (= Zu exisistieren bedeutet, wahrgenommen zu werden)
* "Esse est percipere" (= Zu existieren bedeutet, wahrzunehmen.)
Wie könnte Berkley diese Aussagen (die man als radikal subjektiv bezeichnen kann) erklären? Wie könnte er sie begründen? Lass ihn ein fiktives Statement formulieren.

A3: Ein Einwand gegen den Empirismus ist, dass er die Existenz von Kausalität nicht erklären könne. David Hume kennt diesen Einwand gegen den radikalen Empirismus. Er meint, man müsse halt auf die Idee der Kausalität verzichten und sich damit begnügen, raumzeitliche Nähe festzustellen. Warum hat der Empirismus das Kausalitätsproblem. Warum ist Humes radikale Aufgabe der Idee der Kausalität für viele nicht gangbar. Wie wäre eine Welt ohne Kausalität? Welches Problem hätten wir damit?

A4: Ein Einwand gegen den Empirismus ist, dass induktive Schlussfolgerungen vom Einzelnen zum Allgemeinen und vom Vergangenen in die Zukunft Wahrscheinlichkeits-Schlüsse, aber keine logisch gültigen Schlüsse sind. Die Schlussfolgerung kann falsch sein. Zeige das am berühmten Beispiel vom schwarzen Schwans. Suche weitere konkrete Beispiele (Wirtschaft, ...).

A5: Zeige die unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Modelle der Kübeltheorie der Erkenntnis und der Scheinwerfer-Theorie der Erkenntnis mithilfe von Skizzen. Was sind die Scheinwerfer (oder Netze), die wir auf der Suche nach Erkenntnis einsetzen? Welche Bedeutung spielen Messinstrumente? Welche Bedeutung spielen die Fragen, die wir stellen? Welche Bedeutung haben unsere Sinnesorgane? Welche Bedeutung haben möglicherweise die Grenzen dessen, was wir uns mithilfe unseres Verstandes vorstellen können?


Internetlinks, Quellen