Standardisierte Tests am Beispiel der Intelligenztests

Was sind standardisierte Tests

Verhalten lässt sich direkt beobachten, Erleben nicht. Deshalb ist die Psychologie darauf angewiesen, das Erleben indirekt zu messen, das heißt: vom Verhalten auf das Erleben zu schließen.

 

Dazu werden vor allem Tests entwickelt. Davon gibt es zwei grundlegend unterschiedliche Sorten: standardisierte Tests und nicht-standardisierte (oder offene oder projektive) Tests.

 

Standardisierte Tests werden in der Forschung, aber auch in der Diagnostik zur Bestimmung von Erleben eingesetzt. Die zwei Hauptformen sind Persönlichkeitstests (Sie messen Persönlichkeitsmerkmale, z. B. Extravertiertheit) und Leistungstests (z. B. Intelligenztests).

 

Die Konstruktion eines standardisierten Tests ist sehr aufwändig. Sie erfolgt in mehreren Schritten.

 

Am wichtigsten ist die Eichung: Anhand einer repräsentativen Stichprobe werden Test-Items (Fragen auf der Ebene ja / nein; richtig / falsch) so ausgewählt, dass das Ergebnis bei einer repräsentativen Stichprobe einer Normalverteilung (Gaußsche Glockenkurve) entspricht. Das individuelle Testergebnis, das eine quantitative Größe, also eine Zahl ist, kann dann von dieser Vergleichskurve her interpretiert werden.

Was ist ein Intelligenztest? Und was misst er?

Was ist überhaupt Intelligenz? Und wie kann man sie messen?


Intelligenztests haben eine lange Geschichte und im Laufe dieser Geschichte wohl einige Höhen und Tiefen miterlebt. Die ersten Intelligenztests wurden von Alfred Binet zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt. Er setzt ein so genanntes "Intelligenzalter" in Beziehung zum biologischen Alter. Weil sich diese Form der Intelligenzmessung aber allenfalls für Kinder eignet, hat man nach Alternativen dazu gesucht. Entstanden sind vor allem Intelligenztests, die sich auf eine normalverteilte Intelligenz-Kurve beziehen.

 

Der bekannteste heute verwendete Intelligenztest ist der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest, der nach dem Konzept eines US-amerikanischen Psychologen namens Wechsler in den 50er-Jahren in Hamburg für den deutschen Sprachraum entwickelt und in der Folge mehrfach überarbeitet worden ist. Heute wird der HAWI-R, eine Version aus den späten 80er-Jahren eingesetzt. Er liegt in drei Varianten vor, als Test für Kinder, als Test für Jugendliche von 10 bis 16 und als Test für Erwachsene von 16 bis 74. Er besteht jeweils aus 10 Untertests.

 

Zugrunde liegt diesen Intelligenztests die ursprüngliche Intelligenzdefinition von David Wechsler: "Intelligenz ist ein hypothetisches Konstrukt, ist die zusammengesetzte oder globale Fähigkeit des Individuums zielgerichtet zu handeln, rational zu denken und sich wirkungsvoll mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen. Sie ist zusammengesetzt oder global, weil sie aus Elementen oder Fähigkeiten besteht, die, obwohl nicht völlig unabhängig, qualitativ unterscheidbar sind".

 

Die Konstruktion des Tests ist sehr, sehr aufwändig. Zunächst einmal muss eine repräsentative Stichprobe von Menschen gesucht werden, die in demographischer Hinsicht eine Miniaturabbildung der Bevölkerung, für die der Test geeicht werden soll, ist. Wie groß diese Stichprobe sein muss, ist nicht ganz geklärt, aber es werden in Summe schon über tausend Personen sein müssen. Sie müssen, wie gesagt, im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Bildung, Beruf, ... genau die Gesamtbevölkerung abbilden.

 

Die eigentliche Konstruktion des Tests, also die eigentliche Eichung, erfolgt so, dass aus einem Pool von vielen tausend Fragen genau die 250 oder 300 ausgewählt werden, die für die repräsentative Stichprobe eine Gaußsche Normalverteilung (Glockenkurve) ergeben. Das heißt, dass sowohl Fragen ausgewählt werden, die praktisch von allen beantwortet werden können, als auch Fragen, die so schwer sind, dass kaum jemand die richtige Antwort herausfinden kann. Es sei denn, er wäre ein wahres Genie. Um den Einfluss von Zufallstreffern zu minimieren, muss der Fragenkatalog eine entsprechende Größe haben.

 

Die eigentliche Testung erfolgt dann unter strengen Rahmenregeln, was die Durchführungssituation, die Zeitdauer, die Instruktionen, ... anbelangt. Denn nur so ist gewährleistet, dass alle Testpersonen den Test unter vergleichbaren Bedingungen absolvieren.

 

Objektivität soll u. a. dadurch gewährleistet werden, dass die Instruktoren genaue Anweisungen erhalten, was sie zu sagen haben, wie sie auf Fragen reagieren müssen, wie sie sich kleiden, körpersprachlich agieren, ...

 

Was zeigt das Ergebnis bei einem Intelligenztest, z. B. die Zahl IQ = 100 oder IQ = 92 oder IQ = 124?


Jemand, der einen Intelligenztest macht, wird naturgemäß einen Teil der Fragen richtig beantworten, einen Teil wird er falsch beantworten und einen Teil wird er wahrscheinlich überhaupt nicht beantworten, weil ihm die Zeit vorher ausgeht. In jedem Fall ist das Ergebnis am Ende eine Punktezahl, die beim klassischen Intelligenztest irgendwo zwischen 75 Punkten und 135 Punkten liegen sollte. Ergebnisse, die darüber oder darunter liegen, sind extrem selten. Die interessante Messzahl in der Mitte ist 100. Denn ein gemessener IQ von 100 besagt, dass beim entsprechenden Test genau 50 Prozent der Stichprobe (und damit der Gesamtpopulation) ein schlechteres Ergebnis und genau 50 Prozent ein besseres Ergebnis erreichen. Jemand mit einem IQ von 100 wäre als genau "im Mittelwert". Insgesamt ca. 70 Prozent der Bevölkerung erreichen einen IQ-Wert zwischen 85 und 115. Dieser Bereich bildet also die große Breite. Nur sehr wenige Menschen (ca 15 Prozent) bleiben unter 85. Das sind meistens Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen wie z. B. hirnorganischen Schädigungen. Ebenfalls nur verhältnismäßig wenig Menschen (ca 13 Prozent) erreichen einen IQ zwischen115 und 130. Sie würde man gemeinhin zu den intellektuell überdurchschnittlich begabten Menschen zählen. Und nur ungefähr 2 Prozent aller Menschen erreicht einen IQ von über 130.


Wenn von Einstein oder anderen angeblich klugen Menschen behauptet wird, sie hätten einen IQ von 180, dann gibt es dafür zwei mögliche Erklärungen:

b) Intelligenz wurde mit einem anderen Verfahren gemessen. Dann weiß man aber auch nicht, was ein IQ von 180 bedeuten soll, solange man den Test nicht kennt.

c) Derjenige, der die Behauptung aufstellt, hat von Intelligenztests keine Ahnung. Denn klassische Intelligenztests wie der HAWIE messen gar keinen Wert jenseits von 145.

 

Die Testkonstruktion bringt es übrigens gemeinerweise mit sich, dass Individuen in unserer Gesellschaft (USA, Westeuropa) seit dem 2. Weltkrieg (also seit man Intelligenz mehr oder weniger flächendeckend misst) in Intelligenztests immer besser abschneiden und daher wohl auch irgendwie intelligenter werden. Durch die Testkonstruktion und regelmäßige Überarbeitungen bedingt wirkt sich das aber blöderweise auf den gemessenen IQ-Wert, der sich ja am Schnitt orientiert, überhaupt nicht aus!

 

Unter anderem weil man in der Zwischenzeit herausgefunden hat, dass Intelligenz nur ein Faktor neben anderen ist, der für ein "erfolgreiches" Leben (was immer man darunter auch verstehen mag) wichtig ist, hat man in der Zwischenzeit versucht, das Konzept der Intelligenz auf andere Bereiche zu übertragen. So gibt es inzwischen auch Theorien zur sozialen Intelligenz, zur emotionalen Intelligenz, zur kreativen Intelligenz und zu allem möglichen anderen mehr.

 

Welche Probleme / Nachteile sind mit Intelligenztests verbunden?


Intelligenztests sollen Intelligenz messen. Das ist - naturgemäß - ihre Aufgabe und dafür werden sie auch mit großem Aufwand konstruiert. Was aber die Intelligenz, die hier gemessen werden soll und angeblich auch gemessen wird, kann bei genauerer Betrachtung niemand so genau sagen. Wir messen also mit hoher Präzision ein Phänomen, das wir - wenn überhaupt - nur sehr vage bestimmen und definieren können. Der Grund für diese etwas peinliche Tatsache ist, dass sich das Phänomen "Intelligenz" kaum unabhängig von anderen Faktoren wie Motivation, Konzentration oder auch Sprachkompetenz messen lässt. (Ein kleines Gedankenexperiment kann dies sofort klar machen: Wenn ich einen Intelligenztest, der in Russisch formuliert ist, absolvieren soll, werde ich wohl kaum glänzen können, selbst wenn ich in Wirklichkeit ein Genie wäre). Weil alle Versuche, Intelligenz wirklich schlüssig als unabhängige Größe zu definieren, bisher nicht gelungen sind, ziehen sich ForscherInnen meistens auf eine so genannte operationale Definition zurück. Sie definieren Intellligenz als das, was "der Intelligenztest X misst". Eine sehr elegante Lösung des Problems ist das aber wohl nicht.

 

Umstritten ist auch die Frage, ob es so etwas wie DIE Intelligenz überhaupt gibt oder ob das, was wir normalerweise unter Intelligen zusammenfassen, sich nicht aus mehreren unabhängigen Faktoren (logisches Denkvermögen, assoziatives Denkvermögen, begriffliches Denken, ...) zusammensetzt.

 

Im Laufe der Zeit hat sich auch immer wieder herausgestellt, dass bei der Konstruktion von Tests Fehler passiert sind, die bestimmte Personengruppen benachteiligen. Beispielsweise ist in den USA ein Teil der getesteten Personen an Aufgaben gescheitert, weil sie aufgrund ihres anderen kulturellen Hintergrunds die Aufgabenstellungen nicht oder falsch verstanden haben, und nicht, weil sie mit den Denkprozessen, die eigentlich erforscht hätten werden sollen, überfordert gewesen sind.

 

Außerdem ist ebenfalls klar, dass das Testergebnis, das in einem Intelligenztest erzielt wird, von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängig ist. Beispielsweise spielt die Motivation eine große Rolle. Jemand, der keine Lust hat, einen Intelligenztest zu machen, wird im Ergebnis naturgemäß unter den Möglichkeiten bleiben, die er prinzipiell hat. Jemand, der stark unter psychischem Druck steht oder der einen Intelligenztest macht, obwohl er sich krank oder grippig fühlt, wird kaum ein aussagekräftiges Ergebnis zustande bringen.

 

Auch hat sich im Lauf der letzten Jahre herausgestellt, dass Messergebnisse aus Intelligenztests nur eine begrenzte Vorhersagekraft haben, wenn es um schulischen Erfolg oder Erfolg auf der UNI geht. Hier scheinen Faktoren wie Motivation eine wesentlich größere Rolle zu spielen.


Was können Intelligenz-Tests - bei aller Problematik - leisten? 

 

Trotzdem sollten wir Intelligenztests nicht generell ablehnen. Sie können zum Beispiel wichtige Informationen liefern, wenn es um fundamentale Entscheidungen geht. Klassisches Beispiel für die Intelligenztestung ist z. B. folgende Situation: Ein Kind versagt in der Schule und erreicht in Tests oder Schularbeiten nur negative Leistungen. Wenn sich in einem Intelligenztest herausstellt, dass das Kind einen IQ von 85 hat, kann ich daraus relativ wenig ableiten. Der verhältnismäßig niederige IQ könnte damit zusammenhängen, dass das Kind in Teilbereichen eine kognitive Schwäche hat. Es könnte aber auch einfach keine Lust gehabt haben, die Testaufgaben auszufüllen. Wenn das Kind aber einen IQ von 110 hat, weil ich auf jedenfall, dass die Ursache für das Schulversagen nicht im kognitiven Bereich liegen kann. Von der Intelligenz her müsste das Kind die Schule locker bewältigen können.

 

Intellingenztests spielen u. a. bei der Diagnose von Teilleistungsstörungen wie Legasthenie oder Dyskalkulie eine wichtige Rolle.

 

Im Unterschied zu den USA, wo Intelligenztests fast routinemäßig in Aufnahmeverfahren eingesetzt werden, wird in Europa aber eher selten "getestet". Und das ist auch ganz gut so.



Aufgaben / Übungen

A1: Gestalte ein MindMap zum Thema standardisierte Tests (Merkmale, Aufbau, Formen, Vorteile und Nachteile)

 

A2: Gestalte ein MindMap zum Thema Intelligenz und Intelligenztests. Berücksichtige folgende Aspekte: Begriff Intelligenz, Ziele von Intelligenztests, Beispiele für Intelligenztests, Aufbau eines Intelligenztests, Ergebnisinterpretation, Vor- und Nachteile von Intelligenztests. 

 

A3:  Informiere dich mithilfe des Internets über einen bestimmten Aspekt in Zusammenhang mit dem Thema Intelligenz (z. B. künstliche Intelligenz, Intelligenz bei Tieren) und verfasse dazu einen kurzen Informationstext (oder ein kurzes Referat). Quellen findest du unten! Vergiss nicht, die Quelle anzuführen. 

 

A4: Informiere dich näher über standardisierte Persönlichkeitstests wie den FPI und verfasse dazu einen kurzen Informationstest oder ein kurzes Referat. Eine grundlegende Erklärung dazu findest du hier (interner Link). 

 

A5:  Informiere dich näher über Legasthenie und/oder Dyskalkulie und verfasse dazu einen Informationstest und / oder ein kurzes Referat.


Internetquellen / interessante Links

  • "Planet Wissen": Sendung über Intelligenz als Konstrukt, unterschiedliche Modelle von Intelligenz, Intelligenztests
  • "Mensa.de": Netzwerk für Hochbegabte. Seite mit Informationen rund um das Thema Intelligenz und einer Art Online-Intelligenz-Test (mit für Intelligenztests typischen Aufgaben) 
  • "Deutschlandfunk": Textfassung eines Interviews zum 100. Geburtstag des Intelligenz-Tests
  • "Süddeutsche Zeitung": online Intelligenztest; sehr aufwändig; den Test könnt ihr aus Zeitgründen nur zuhause machen; ein Versuch ist es wert. Interessant sind die Teilbereiche von Intelligenz, die gemessen werden; kommt an offizielle Tests (HAWI) ziemlich nahe heran;