Völkerrecht. Gibt es einen gerecht(fertigt)en Krieg?

Was ist das Völkerrecht? Welche Bedeutung hat es für das Thema?

Grundsätzlich beinhaltet das Völkerrecht alle zwischenstaatlichen vertraglichen Vereinbarungen, also Verträge zwischen zwei (oder mehr) unabhängigen, souveränen Staaten.


Das traditionelle Recht ist Nationales Recht, also Recht, das innerhalb eines souveränen Staates gilt und von diesem gesetzt und durchgesetzt wird. Dieses Recht hat - beginnend mit dem Römischen Recht - eine über 2000 Jahre alte Tradition. Zwischen souveränen Staaten hat - im Gegensatz dazu - sehr lange Zeit hauptsächlich das "Recht des Stärkeren" gegolten. Insbesondere galt das im Konfliktfall: Wer militärisch  "Oberwasser" hatte, hat sich bei den Nachbarn geholt, was er kriegen konnte. Nach zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert war klar, dass es auch im internationalen Bereich bindendes Recht braucht. Die UNO sollte auf globaler Ebene dieses Recht schaffen und durchsetzen. (In Europa erhielt der Europarat diese Aufgabe) 


Das Völkerrecht hat also erst eine sehr kurze, etwas über 100 Jahre dauernde Geschichte. Das erklärt zumindest teilweise, warum es im Vergleich zu 

 

Ob es legitim ist, einen Konflikt kriegerisch zu lösen, oder welche Methoden in einem Krieg erlaubt sind, war lange Zeit nicht geregelt. Krieg war sozusagen ein rechtsfreier Raum. Im Krieg galten keine (oder andere) Gesetze. 

 

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gibt es erstmals breitere Bemühungen, rechtlich zu regeln, wie Krieg geführt werden darf (und wie nicht) und damit Krieg zu "zivilisieren". Meistens sieht man den Beginn des so genannten Humanitären Völkerrechts in den Bemühungen des Schweizers Henri Dunant, der Zeuge der Schlacht von Soferino (1859) wird und die schweren Verletzungen der Soldaten sieht. Sein Engagement führt zur Gründung des Roten Kreuzes, das sich dem Auftrag verpflichtet fühlt, die im Krieg verwundeten und gefangenen Soldaten humanitär und medizinisch zu betreuen. Voraussetzung dafür ist, dass die Rot-Kreuz-HelferInnen in ihrer Arbeit geschützt werden. Das geht nur, wenn sich alle Kriegsparteien dazu verpflichten. Erste Ansätze in diese Richtung gibt es bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Der Durchbruch gelingt aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg, genauer: 1949, mit den Genfer Verträgen. Diese gelten als der Beginn des modernen humanitären Völkerrechts

 

Inzwischen gibt es eine Reihe von völkerrechtlichen Verträgen, die meistens in zwei große Gruppen unterteilt werden: 

  • das Jus ad bellum regelt, wann und unter welchen Umständen ein Kriegseintritt / eine Kriegserklärung gerechtfertigt / legitimiert ist. 
  • das Jus in bello regelt, welche Regeln im Krieg zu gelten haben, welche Waffenformen geächtet sind, wie mit Zivilisten umgegangen werden muss etc.  
  • das Jus post bellum ist noch sehr neu und erst in Entstehung begriffen. Es regelt, wie ein Krieg führender Staat sich nach dem Ende des Krieges zu verhalten hat. Dazu gehört z. B. die Frage, welche Wiederaufbau-Hilfe er zu leisten hat. Oder die Frage, wie er mit Kriegsgefangenen umzugehen hat. 

Gibt es einen gerecht(fertigt)en Krieg?

Es steht heute in der zivilisierten Welt außer Frage, dass Krieg ein politisches Instrument neben anderen ist. Krieg ist schlecht. Darüber sind sich alle einig. 


Die entscheidende Frage ist aber, ob Krieg in bestimmten Fällen das kleinere Übel ist oder sein kann. Dann wäre Krieg zwar nicht "gerecht" oder "richtig", aber immerhin gerechtfertigt oder legitim. Pazifisten (von pax = Frieden) stellen das prinzipiell in Frage. Ihrer Meinung nach kann Krieg nie "der bessere oder wenigstens weniger schlechte Weg" sein. Sie lehnen Krieg als Mittel, Konflikte zu regeln, ab. Alle anderen glauben, dass es Extremsituationen geben kann, in denen militärische Einsätze gerechtfertigt sind. Ein Beispiel, das sehr oft genannt wird, ist der Nationalsozialmus: Ein strenger Pazifist müsste darauf bestehen, dass man sich auch gegen einen militärischen Aggressor wie Nazi-Deutschland während der Hitler-Diktatur nicht militärisch verteidigen darf. Das ist absurd, sagen viele. 


Wünschenswert wäre eine Welt, in der es keine Kriege mehr gibt. Aber bisher haben wir es nicht geschafft, eine solche Welt zu verwirklichen. Vor diesem Hintergrund versucht das Völkerrecht zu klären, unter welchen Umständen Krieg (im Sinne eines kleineren Übels) völkerrechtlich legitim ist / sein kann. Dabei geht es nicht um den gesamten Krieg, sondern um die Frage, ob mindestens eine der Kriegsparteien einen gerechtfertigten Krieg führt. Außerdem geht es darum, dem Krieg seine grauslichsten Seiten nach Möglichkeit zu nehmen. Deshalb versucht das Völkerrecht u.a., besonders grausliche Waffen-Formen zu verbieten, die Zivilbevölkerung zu schützen u.a.m.

 

Aus heutiger Sicht gibt es völkerrechtlich darüber Konsens, dass es zwei grundlegende Situationen gibt, in denen ein Staat legitimerweise Krieg führen kann: 

 

Situation 1 = Verteidigung: Ein Krieg ist legitim, wenn sich jemand gegen einen militärischen Angreifer zur Wehr setzt, sich also verteidigt. In diesem Zusammenhang ist es auch legitim, einem Staat, mit dem ein Militärbündnis besteht, militärisch zu helfen. In diesem Sinne wäre Krieg, den die Alliierten gegen Nazi-Deutschland führen, in jedem Fall auch aus heutiger Sicht völkerrechtlich gerechtfertigt. Denn am Anfang dieses Kriegs steht der Überfall der deutschen Truppen auf den souveränen Staat Polen Anfang September 1939. Ein jüngeres Beispiel wäre der  Irak-Krieg von 1989. Nato-Staaten greifen den Irak an, nachdem dieser den souveränen Kleinstaat Kuweit militärisch angegriffen und besetzt hat. Ziel in diesem Krieg war die militärische Befreiung Kuweits, also die Wiederherstellung der ursprünglichen politischen Ordnung. Das war wohl auch der Grund, weshalb Nato-Truppen Beirut nicht besetzt und den Diktator Saddam Hussein nicht abgesetzt haben. Denn das wäre völkerrechtlich nicht legitimiert gewesen. 

 

Situation 2 = Krieg auf der Grundlage eines UN-Weltsicherheitsrats-Beschlusses. Der UN-Weltsicherheitsrat kann einen Krieg letitimieren, wenn er der Meinung ist, dass der Weltfrieden gefährdet sei und dass es keine alternativen Möglichkeiten (mehr) gebe. Das war bisher erst einmal der Fall, nämlich im Jahr 2001 nach den Terroranschlägen von 9/11. Die Mitglieder im Weltsicherheitsrat waren der Meinung, dass das Taliban-Regime in Afghanistan das Fundament für den den Al Kaida-Terror bilde, indem es Trainings-Camps unterstütze und Al Kaida Rückzugsräume biete. Der auf dieser Grundlage geführte Afghanistan-Krieg ist auch heute noch nicht militärisch beendet. Ein militärischer Rückzug ist aber beschlossen. Ein wirklicher Sieg ist den kriegführenden Staaten unter der Führung der USA offenbar nicht gelungen. Ob zentrale Kriegsziele erreicht wurden, wird man vermutlich erst in einiger Zeit sehen. 

 

Kein völkerrechtlich legitimer Kriegsgrund: Schwere Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Völkerrechtlich nicht legitim sind Kriege, die mit dem Argument geführt werden, dass die kriegsführende Partei schwere Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten habe. Das ist deshalb der Fall, weil es darüber keine völkerrechtlichen Verträge gibt. Ob es unter Umständen dennoch legitim sein kann, gegen eine mit brutalsten Mitteln Krieg führende Partei militärisch vorzugehen, ist immer wieder Diskussionspunkt. Beispielsweise war das beim Kosovo-Krieg, bei dem Nato-Staaten die serbische Armee militärisch bekämpft haben, der Fall. Das Hauptargument für den Krieg war, dass die serbische Armee im Kosovo ethnische Säuberungen und einen Völkermord an den Kosovo-Albanern zu verantworten habe. 2012 war die Diskussion, ob es legitim ist, die militärischen Truppen zu bekämpfen, deren Ziel es war, das Gaddhafi-Regime in Libyen zu stürzen. Derzeit (Sommer 2014) läuft die Diskussion, ob es legitim oder sogar notwendig ist, die ISS-Kämpfer, die im Syrischen Bürgerkrieg aktiv sind und die Teile des Irak überrollen und denen schwerste Verbrechen vorgeworfen werden, militärisch zu bekämpfen.   

Jus ad bellum

Neben den zwei legitimierten Kriegsgründen (Verteidigung, UN-Weltsicherheitsrats-Beschluss zur Sicherung des Weltfriedens) gibt es auch noch weitere Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit ein Krieg völkerrechtlich betrachtet legitimiert ist. Keinesfalls legitimiert ist ein Präventivkrieg. 

 

Wichtig ist: der "gerechtfertigte Krieg" will die Wiederherstellung des verletzten Friedens- bzw. Rechtszustands mit dem Ziel, "ein Maximum an Recht durch ein Minimum an Gewalt zu erreichen. Es geht hier ... primär nicht um die Rechtfertigung von Kriegen, sondern um die Zähmung von Gewalt"  (Erika Schillings, deutsche Politikwissenschaftlerin). 

 

Es gibt auch noch weitere Rahmenbedingungen dafür, dass ein Krieg als legitimiert gesehen werden darf. Zum Beispiel

 

  • Der Krieg muss von einer legitimen Autorität erklärt werden. Das sind souveräne Staaten und der Weltsicherheitsrat.

  • Der Krieg muss in der rechten Absicht geführt werden. Diese Absicht muss sein, den Frieden zu fördern und wiederherzustellen. Rache, Machtsicherung, wirtschaftlicher Gewinn sind keine legitimen Ziele.

  • Der Krieg muss das letzte Mittel sein. Das heißt: alle nicht-militärischen Alternativen müssen ausgeschöpft sein (Ob und wann das der Fall ist, ist natürlich eine schwierige Frage)

  • Es muss eine vernünftige Hoffnung auf Erfolg bestehen. (Dass die militärischen Erfolgschancen oft nur schwer einzuschätzen sind, zeigen viele militärische Konflikte / Kriege in der jüngeren Vergangenheit, beispielsweise Afghanistan oder Libyen)

Jus in bello

Der zweite Teil des humanitären Völkerrechts umfasst das Recht im Krieg. Dabei geht es um die Frage, wie kriegsführende Parteien sich im Kriegsfall zu verhalten haben. Auch hier geht es also vor allem darum, die Gewalt im Krieg "zu zähmen" und bestimmte Personengruppen (vor allem Zivilisten) nach Möglichkeit zu schützen. 

 

Ein paar wichtige Bestimmungen, die das "jus in bello" definiert: 

 

  • Es muss die Unterscheidungzwischen Soldaten und Zivilisten eingehalten werden. Zivilisten und nicht-militärische Ziele dürfen nicht Kriegsziel sein und dürfen nicht angegriffen werden. (Das heißt, ein gezieltes Bombardieren von Städten mit dem Ziel, Zivilisten zu treffen, wie das im Zweiten Weltkrieg zuerst die Deutschen in England und dann später die Alliierten in deutschen Städten praktizierten, ist aus heutiger Sicht völkerrechtswidrig.)

  • Der Einsatz von ABC-Waffen (atomare, chemische, biologische Waffen) ist verboten.

  • Kriegsgefangene müssen geschützt werden; Kriegsgefangene dürfen durch humanitäre Organisationen besucht und betreut werden; nach Kriegsende müssen Kriegsgefangene entweder freigelassen werden oder – wenn der Verdacht auf Kriegsverbrechen besteht – ein faires rechtsstaatliches Gerichtsverfahren bekommen.

  • Humanitäre Organisationen (Rotes Kreuz, …) dürfen humanitäre Hilfe leisten. Sie müssen geschützt werden.
  • Rechte von politischen Flüchtlingen (Genfer Flüchtlingskonventio

Jus post bellum

Das "jus post bellum" gibt es als Völkerrechtsvertrag erst in Ansätzen. Es geht dabei um die Frage, was passiert, wenn ein Krieg führender Staat (vor allem als Sieger) einen Krieg für beendet erklärt. Das Ziel ist, dass ein vom Krieg betroffener Staat nicht im Chaos versinkt, sondern einen Weg in ein neues ziviles und rechtsstaatliches Gefüge findet. Dabei geht es vor allem um 

  • Umgang mit den besiegten Staaten, ihren Soldaten, ihrer Zivilbevölkerung (z. B. wäre die Verpflichtung von gegnerischen Soldaten zu Zwangsarbeit, wie es Russland nach dem WK2 praktizierte) aus heutiger Sicht völkerrechtswidrig. 

  • wirtschaftlichen Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Infrastruktur (Straßen, ...)

  • Befriedung und Schutz der Zivilbevölkerung nach dem Krieg (ev. mithilfe von UN-Soldaten oder z. B. im Ex-Bosnien-Krieg / Ex-Kosovo-Krieg mit EUFOR-Soldaten
  • Sicherstellung der humanitären Hilfe nach dem Krieg

  • Umgang mit mutmaßlichen Kriegsverbrechern ( Ad-Hoc-Gerichtshöfe zur Ahndung von MR-Verletzungen im Krieg; Römische Verträge und Installation des ISTGH in Den Haag

Durchsetzung des Völkerrechts

Ein Problem ist, dass es fast keine Sanktionsmöglichkeiten für Verletzungen des Völkerrechts gibt.

 

Zwar legen zivilisierte Staaten heute Wert darauf, dass ihnen keine Kriegsverbrechen oder schweren Verstöße gegen Menschenrechte vorgehalten werden können. Vor allem Demokratien können sich das auch innenpolitisch nicht leisten. Aber es gibt immer wieder politische Situationen und politische Strategien, die völkerrechtswidrig oder zumindest an der Grenze dazu sind. Vorwürfe, das Völkerrecht zu missachten, müssen sich nicht nur despotische Diktaturen (z. B. Syrien unter Baschar al-Assad oder Lybien unter Gaddhafi) gefallen lassen. Auch Staaten mit totalitären Zügen (China, Russland unter Putin) verletzen immer wieder Völkerrecht. Und auch gegenüber Demokratien wie den USA (Guantanamo) gibt es diese Kritik. Es kann also durchaus ein Druckmittel sein, wenn offizielle Organisationen (UNO, Staaten) auf diplomatischem Weg Völkerrechtsverletzungen anprangern oder wenn NGOs Staaten oder politische Machthaber "an den Pranger stellen". 

 

Traditionell gibt es Wirtschaftssanktionen gegen schwere MR-Verbrechen oder gegen Verletzungen des Völkerrechts (Irak, Südafrika, …). Allerdings sind solche Sanktionen oft nicht wirklich erfolgreich. Und sie treffen oft nicht die herrschenden Eliten (die sich im Gegenteil noch auf der Grundlage der Sanktionen bereichern), sondern die zivile Bevölkerung, denen Medikamente, Nahrungsmittel etc. fehlen. 

 

Erst in jüngerer Vergangenheit ist es gelungen, Menschen, die Kriegsverbrechen begangen haben sollen, vor ein internationales Gericht zu stellen. Eine erste Stufe waren die so genannten Ad-Hoc-Gerichtshöfe, die immer in Zusammenhang mit einem bestimmten Krieg installiert worden sind. Das erste Mal war das mit dem Internationalen UN Gerichtshof in Ruanda (Völkermord in Ruanda während des Bürgerkriegs) der Fall, das zweite Mal mit dem Internationalen UN-Gerichtshof in Den Haag, der Kriegsverbrechen in Zusammenhang mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien ahnden soll. Einen weiteren Internationalen Gerichtshof gibt es zur Aufarbeitung der Verbrechen während des PolPot-Regimes in Kambodscha, allerdings erst viele Jahrzehnte nach Ende des Krieges.

 

Die zweite Stufe ist jetzt der auf der Grundlage der Römischen Verträge in Den Haag installierte ständige Gerichtshof zur Sicherung der völkerrechtlichen Verträge (ISTGH Den Haag). Allerdings kennen die Großmächte diesen Gerichtshof bis heute nicht an. 

 

Eine wichtige Funktion in der Friedensicherung kommt den UN-(„Blauhelm“)-Soldaten zu. Sie kommen aber nur dort zum Einsatz, wo es zu einem Waffenstillstand gekommen und alle Konfliktparteien einverstanden sind // die Machtverhältnisse geklärt sind. (Ehemaliges Jugoslawien: Kosovo, Bosnien; Zypern, Golan, Afghanistan, Südlibanon, ….) Die Funktion der UN-Soldaten liegt ausschließlich in Frieden sichernden Maßnahmen und humanitärer Hilfe.

 


Arbeitsaufgaben

Download
A1: Kernwissen Völkerrecht und Krieg. Arbeitsblatt: Kerninformationen zum Völkerrecht / zur Frage nach dem gerechtfertigten Krieg
140923_Arbeitsblatt zum Völkerrecht.docx
Microsoft Word Dokument 16.9 KB

A2: Ein konkretes Beispiel

Beschreibe und bewerte dein Beispielthema im Hinblick auf die Frage, wie dieser Krieg / militärische Konflikt aus völkerrechtlicher Seite zu beschreiben und zu bewerten ist. Du musst dich wahrscheinlich auf einzelne Aspekte konzentrieren.