Was ist Identität?

Der Begriff Identität

Die zentrale Frage: "Wer bin ich?"
Die zentrale Frage: "Wer bin ich?"

Der Begriff „Identität“ kommt aus dem Lateinischen („idem“ = derselbe, dasselbe). Wenn wir von der Identität eines Menschen sprechen, meinen wir einerseits das, was einen Menschen im Kern ausmacht (unabhängig von der Tatsache, dass wir uns immer wieder verändern; unabhängig von der Tatsache, dass wir uns in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich verhalten können und unterschiedliche soziale Rollen einnehmen können). Wir meinen aber auch das, was uns zu einer einzigartigen Persönlichkeit macht, die sich von allen anderen Menschen unterscheidet. Identität bezieht sich also auf das, was uns zu einer individuellen Persönlichkeit macht, die es – unter derzeit 7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten – genau einmal gibt. Identität ist die Voraussetzung für Individualität (lat. in-dividuum = das Unteilbare)

Identitätsentwicklung als lebenslanger Prozess

Befruchtung (Quelle: Wikipedia)
Befruchtung (Quelle: Wikipedia)

Eigentlich beginnt Identitätsentwicklung mit der biologischen Befruchtung. Denn schon zu diesem Zeitpunkt steht unsere genetische oder chromosomale Identität fest. Sie wird uns unser gesamtes Leben über begleiten und unsere Persönlichkeit mitbeeinflussen. 

 

Während der Schwangerschaft - noch bevor wir auf die Welt kommen - beeinflussen Umweltfaktoren (in diesem Fall die noch sehr begrenzte Umwelt in der Gebärmutter) die weitere Entwicklung unserer Persönlichkeit. Dazu zählt beispielsweise der körperliche oder psychische Stress, dem unsere Mutter während der Schwangerschaft ausgesetzt ist. Besonders fatal für unsere weitere Identitätsentwicklung kann es sein, wenn unsere Mutter während der Schwangerschaft eine für uns gefährliche Infektionskrankheit (z. B. Röteln) hat oder wenn unsere Entwicklung durch Alkohol- oder Suchtgifte gestört wird. ForscherInnen haben aber auch herausgefunden, dass wir schon vor unserer Geburt auf bestimmte kulturelle Codes (also z. B. bestimmte Sprachmuster oder bestimmte Geschmacksstoffe) geprägt werden. 

 

 

der Mensch ist ein extrem entwicklungsoffenes Wesen (Bildquelle: eltern.de)
der Mensch ist ein extrem entwicklungsoffenes Wesen (Bildquelle: eltern.de)

Auch die erste Lebensphase nach der Geburt ist für die Entwicklung unserer Identität zentral. Neurowissenschaftler, die Gehirn und Nervenzellen erforschen, können belegen, dass die Grundstrukturen unserers Zentralnervensystems im Wesentlichen in den ersten Lebensjahren geformt werden. Beeinflusst werden sie dabei durch die soziale Umwelt, in die wir hineingeboren worden sind und in der wir aufwachsen. Im engeren Sinn sind das unsere ersten engen Bezugspersonen - Mutter, Vater, ... -, im weiteren Sinn ist das aber auch das soziale Milieu und die Kultur, in der unsere Eltern leben und durch die wir dadurch indirekt "mitgeformt" werden. 

 

Die Psychologie, und hier vor allem die so genannte Tiefenpsychologie und die Bindungsforschung, zeigen, dass die Erfahrungen, die wir in der ersten Lebensphase machen, ganz entscheidend für Grundmuster unserer eigenen Persönlichkeit sind. Von ihnen - z. B. von der Grunderfahrung, dass wir "in dieser Welt willkommen sind", dass wir die Zuwendung anderer Menschen erfahren, das unsere Bedürfnisse erkannt und erfüllt werden usw. - hängt es ab, dass wir im Kern eine selbstsichere und bindungsoffene Persönlichkeitsstruktur entwickeln können. 

 

Je älter wir werden, desto stärker können wir unsere Persönlichkeitsentwicklung auch selbst mitbeeinflussen und mitgestalten. Wir tun das beispielsweise, indem wir uns für bestimmte FreundInnen entscheiden, uns für bestimmte Hobbys interessieren, eine bestimmte Schulausbildung, ein Studium und einen Beruf wählen, uns für einen bestimmten Partner / eine bestimmte PartnerIn entscheiden, uns sozial engagieren, eine bestimmte religiöse oder politische Haltung entwickeln usw, bestimmten Werten in unserem Leben besonderen Raum geben (Karriere oder Freizeit, Single-Leben oder Familie, ...). 

 

Alte Theorien (z. B. die klassische Psychoanalyse von Sigmund Freud) gehen in der Mehrzahl noch davon aus, dass die Persönlichkeitsentwicklung spätestens in der Pubertät mehr oder weniger abgeschlossen ist. Heute weiß man aber, dass das keineswegs der Fall ist. Neue Erfahrungen - oft auch krisenhafte - und neue Lebenssituationen führen dazu, dass wir die Frage nach der eigenen Identität im Laufe unseres Lebens immer wieder neu stellen und sie gegebenenfalls auch immer wieder einmal neu beantworten. 

 

 

Identität und Jugendalter

Aus psychologischer Sicht ist das Jugendalter (die ExpertInnen sprechen auch von „Adoleszenz“, von lat. adolescere = heranwachsen) die Zeit, in der ein Mensch vom Kind zum Erwachsenen wird.

Die Adoleszenz beginnt mit dem Einsetzen der Pubertät (biologisch-geschlechtliche Reifung) und endet mit dem Eintritt in eine „erwachsene Lebenssituation“ (berufliche Selbständigkeit, Loslösung von der Herkunftsfamilie). Wie lange dieser Prozess dauert, kann von Kultur zu Kultur sehr verschieden sein. Auch gibt es große individuelle Unterschiede. Unsere Kultur ist auf der einen Seite dadurch gekennzeichnet, dass die körperliche Reifung immer früher einsetzt (man nennt dieses Phänomen Akzeleration). Auf der anderen Seite dauert es immer länger – oft bis Mitte Zwanzig oder sogar bis 30 -, bis die Ausbildung (Studium) beendet ist und der Eintritt ins Berufsleben erfolgt. Im Unterschied zu früher gibt es auch keine „festen“ Vorgaben mehr, bis wann junge Erwachsene eine feste Partnerschaft eingehen oder eine Familie gründen sollten.

 

EntwicklungspsychologInnen unterteilen die Adoleszenz normalerweise in drei Phasen:

 

Die erste Phase (frühe Adoleszenz) dauert etwa vom 10. bis zum 13. Lebensjahr. Im Mittelpunkt steht die körperliche Reifung vom Mädchen zur Frau oder vom Buben zum Mann. Psychisch spielt die Auseinandersetzung mit dem eigenen Aussehen und dem eigenen Körper meistens eine größere Rolle als in der Kindheit. Sozial und rechtlich gelten junge Menschen in dieser Phase in unserer Gesellschaft aber noch als Kinder.

 

In der zweite Phase (mittlere Adoleszenz), die etwa von 13 bis 18 dauert, wird oft ein eigener jugendlicher Lebensstil (eigene Interessen, eigener Kleidungsstil, Distanzierung vom Lebensstil der Eltern, zentrale Bedeutung der Clique, jugendliches Probierverhalten, teilweise auch Risikoverhalten) kreiert. Die Auseinandersetzung mit der Frage „Wer bin ich?“ und „Wer möchte ich sein?“ ist in dieser Phase besonders wichtig. Teilweise durchlaufen Jugendliche diese Phase recht „problemfrei“. Teilweise kommt es aber auch zu Konflikten und Krisen.

 

In der mittleren Adoleszenz finden in unserer Gesellschaft meistens auch die ersten Liebesbeziehungen und die ersten sexuellen Erfahrungen statt.

 

In der dritten Phase (späte Adoleszenz, von zirka 18 bis Mitte 20) passiert der Übergang zum Erwachsenenleben. Viele Jugendliche ziehen – zumindest teilweise – von zuhause aus, beginnen ein Studium, bereiten sich auf das spätere Berufsleben vor. Sozial und rechtlich gelten junge Menschen mit 18 als erwachsen.

 

Bedeutung sozialer Beziehungen im Jugendalter

EntwicklungspsychologInnen meinen, dass gerade im Jugendalter die Beziehung zu Gleichaltrigen eine besonders wichtige Rolle spiele (obwohl auch die Eltern oder andere Erwachsene für viele Jugendliche wichtige Bezugspersonen bleiben.) Gleichaltrige Freunde übernehmen beispielsweise folgende wichtige Aufgaben:

  • Sie geben – beispielsweise bei familiären Konflikten oder bei persönlichen Problemen – emotionalen Rückhalt
  • Sie geben Entscheidungshilfen
  • Jugendliche vergleichen ihre Gefühle, Verhaltensweisen, ihre Einstellungen vor allem mit Gleichaltrigen
  • Indem Gruppenmitglieder oder FreundInnen unterstützt werden, entwickelt sich eine pro-soziale Motivation und Verantwortungsgefühl für andere.
  • Jugendliche erfahren: Freunde sind nicht austauschbar. Freundschaften entstehen, wenn sich ein Gefühl von Nähe, persönliche Bestätigung, Bindung, Wertschätzung, Vertrauen entwickeln können. Im Durchschnitt sind Freundschaften für Mädchen wichtiger als für Jungen.

Konflikte im Jugendalter

Konflikte häufen sich im Jugendalter, auch wenn nicht alle Jugendlichen ihre Adoleszenz als konfliktbehaftet sehen.

 

Jugendliches Risiko- und Neugierverhalten kann auf der einen Seite wichtige Lernerfahrungen ermöglichen. Jugendliche lernen ihre eigenen Grenzen kennen, indem sie diese ausloten und manchmal auch überschreiten.

 

Andererseits können Jugendliche teilweise auch „abrutschen“. Es kann sich ein Suchtverhalten (z. B. in Form von Ess-Störungen, die bei jungen Mädchen sehr häufig sind) entwickeln. Jugendliches Protestverhalten, jugendliche Neugierde oder Gruppendruck sind auch Ursachen dafür, dass das Jugendalter die Lebensphase mit der höchsten Delinquenz (Kriminalität) ist. Manche Jugendliche schaffen auch wichtige schulische oder berufliche Ziele nicht, weil ihnen die entsprechende Orientierung fehlt.

Entwicklungsaufgaben im Jugendalter

ExpertInnen – zum Beispiel der Psychologe Robert L. Havighurst – definieren vor allem folgende Entwicklungsaufgaben für Jugendliche:

 

  • Den Körper bewohnen lernen: Übernahme der weiblichen oder männlichen Geschlechtsrolle
  • Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung und positive Beziehung zum eigenen Körper
  • Emotionale Unabhängigkeit von Eltern und anderen Erwachsenen
  • Aufbau und Entwicklung von Sexualität
  • Vorbereitung auf das spätere Berufsleben
  • Vorbereitung auf ein erwachsenes Beziehungsleben (Partnerschaft, Elternrolle)
  • Entwicklung von Werthaltungen und ethischen Prinzipien als Leitfaden für das eigene Leben, die eigenen Lebensziele, das eigene Verhalten
  • Entwicklung eines Gefühls für soziale Verantwortung; Übernahme sozialer Verantwortung

In anderen Worten könnten wir sagen, Jugendliche sollten vor allem auf folgende Fragen Antworten finden:

  • Wer bin ich?
  • Was will ich mit meinem Leben anfangen?
  • Welche Werte sollen mein Leben bestimmten ?
  • Woran glaube ich?

 

 


Arbeitsaufgaben zum Thema

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Arbeitsaufgaben Identität
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Merlin auf Entdeckungsreise
Merlin auf Entdeckungsreise

übrigens: Merlin muss sich vermutlich nicht mit der Frage nach seiner Identität herumschlagen. Also hat er Zeit, die Welt zu erkunden und auf Käferjagd zu gehen. Ein Individuum ist er trotzdem, finde ich.