Welche Bedeutung haben Glauben und Religion in der modernen Welt?

Das moderne Verständnis von Religion und ihrer Bedeutung wurzelt in der philosophischen Bewegung der Aufklärung (18. Jh). Sie erklärt den Menschen zum Verstandeswesen (animal rationalis), das religiöse Überzeugungen mithilfe des Verstandes prüfen solle und könne.

 

Damit werden das Verhältnis zu Glauben und Religion zu etwas, was jeder einzelne Mensch für sich selbst klären soll.

 

Konsequenterweise hat damit der Staat unterschiedliche Glaubensüberzeugungen (zunächst: Katholiken und Protestanten, dann bald auch Juden) zu respektieren. Er darf nicht mehr eine bestimmte Religion zur Staatsreligion machen und Menschen, die diese Religion nicht teilen,  zwangsbekehren, zum Auswandern zwingen oder sogar umbringen lassen. Damit wird das Prinzip des "cuius regio, eius religio" (Wessen Land, dessen Religion) bzw. des "un roi, une loi, une foi" (Ludwig XIV) zumindest philosophisch überwunden. Die schrittweie Umsetzung der Idee der religiösen Toleranz ist in jedem Fall ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem, was noch bis ins 18. Jh. häufige politische Praxis ist.

 

Auch ist damit klar, dass religiöse Glaubensüberzeugungen und religiöse Gebote nicht Grundlage der staatlichen Ordnung sein können (Säkularisierung; Trennung von Staat und Religion). Zwar hat der Staat den Glauben seiner Bürger zu respektieren (Prinzip der Religionsfreiheit). Seine eigenen Normen beruhen aber auf der Übereinkunft vernünftiger Bürger und auf rational begründbaren, rein diesseitigen Gesetzen.

 

Politisch mündet diese Entwicklung in Frankreich in eine bürgerliche Revolution, die das „Gottesgnadentum“ samt seinen Repräsentanten auf der Guillotine „entsorgt“, in anderen Staaten wie der Habsburgermonarchie unter Josef II oder Preußen unter Friedrich II in den aufgeklärten Absolutismus.

 

Der zeigt sich z. B. darin, dass Josef II die so genannten „Betorden“ samt und sonders enteignet und verbietet. Ebenso zeigt sich dies darin, dass er dem Staat ursprünglich kirchliche Aufgaben wie Krankenfürsorge und Beerdigungen überantwortet. Ein weiterer Aspekt ist, dass auch Protestanten und Juden das Privileg bekommen, „Untertanen“ der Habsburger sein zu dürfen. Wie revolutionär diese Gesetze sind, zeigt sich auch darin, dass sie nach dem Tod Josefs II praktisch alle wieder zurückgenommen werden. In der Folge kommt es zu einem zweihundert Jahre dauernden Hin-und-Her zwischen Liberalisierungsbestrebungen und Restaurationsbestrebungen.

 

Und zwischen 1933 und 1938 kommt es mit dem so genannten „christlich-deutschen Ständestaat“ unter Dollfuss und Schuschnigg noch einmal zu einer sehr engen Verbindung zwischen katholischer Kirche und staatlicher Macht. So stammt aus dieser Zeit das immer noch gültige Konkordat mit dem Vatikan, das z. B. die Rolle der katholischen Kirche im Rahmen des Schulwesens regelt. Auch viele Gesetze, z. B. Ehegesetze, hatten ihre Grundlage in der Lehre der katholischen Kirche.

 

Insgesamt mündet die Entwicklung in den modernen säkularen Staat, in dem zwar Religionsfreiheit garantiert ist, in dem aber Staat und Religion grundlegend zu trennen sind. Dass diese Trennung in Österreich nicht mit der Schärfe wie im säkularen Frankreich erfolgt, hat viele Gründe. 

 

Philosophisch begleitet wird diese Entwicklung von einer zunehmenden Religionskritik in der Philosophie. Sie beginnt damit, dass der Französische Mathematiker und Philosoph Rene Descartes es im 17. Jahrhundert wagt, für den Bruchteil einer Sekunde zu denken, dass Gott eventuell nicht existieren könnte. Und diese Entwicklung führt über Ludwig Feuerbach ("Gott ist eine Projektion" / eine "Erfindung" des Menschen),Karl  Marx (Gott als "Opium des Volkes") bis zu Friedrich Nietzsche („Gott ist tot. Wir haben ihn getötet.“)

 

Dass das Thema Staat-Religion immer noch Aktualität hat, zeigt sich z. B. in den Diskussionen um einen Gottesbezug in der Verfassung der EU, in immer wieder aufkeimenden „Kopftuchdiskussionen“ (F 2004), im Streit um die Mohammed-Karikaturen (Dk 2006), in der Diskussion um Minarette (Ch 2010) uam.

 

Welche Bedeutung Religion und Glaube insgesamt spielen, ist schwer einzuschätzen. Einerseits gibt es einen massiven Autoritätsverlust der Amtskirchen. Andererseits kämpfen fundamentalistisch-religiöse Gruppierungen um Einfluss und Religionen werden immer wieder für politische Ziele instrumentalisiert. Einerseits wenden sich viele Menschen von den traditionellen Kirchen ab. Andererseits sind viele (gerade auch jüngere) Menschen von asiatischen Religionen fasziniert. Und auch so genannte „Sekten“ finden immer wieder Anhänger, so abstrus ihre „Glaubenslehren“ auch sein mögen. Und auch „New-Age-Religionen“ und Esoterik füllen den durch den Autoritätsverlust der Amtskirchen frei gewordenen Raum teilweise wieder aus. Das moderne Schlagwort von der PatchWork-Religiosität spiegelt diesen Trend.

 

 


Internetlinks und Quellen

Religionsgeschichte (Österreich)

  • Geschichte des Christentums in Österreich (Wikipedia)
  • Webseite mit zahlreichen Unterseiten zum Thema Religion und Österreich
  • Webseite mit Links zu den Religionen, die in Österreich eine Rolle spielen. 

 

 

Religionskritische Webseiten

  • Freidenker (religionskritische Gruppierung, die sich um eine stärkere Trennung von Staat und Kirche bemüht)
  • Giordano-Bruno-Stiftung
  • Webseite des FSM (Österreich). Achtung: Die "Kirche des Fliegenden Spaghetti-Monsters" ist eine Religions-Parodie!

Literaturtipps

  • Anna Ehrlich: "Heiden, Christen, Juden, Moslems. Eine Religionsgeschichte Österreichs." (Webseite)