Was ist soziale Wahrnehmung?

A1R: Wie schätzst du die abgebildeten Personen im Hinblick auf folgende Attribute ein: 
Gesundheit, beruflicher Status, Hobbys, Einkommen, Beziehungsleben

Kommentar zu den Bildern - einige Überlegungen

 

Unsere Alltagserfahrung lehrt uns, dass bestimmte Attribute häufig zusammen auftreten, obwohl sie logisch nicht in einer (unmittelbaren) Beziehung zueinander stehen. Wir machen dann häufig den Fehler, dass wir Personen, an denen wir eine dieser Eigenschaften wahrnehmen, auch die anderen Merkmale zuschreiben, obwohl wir uns diesbezüglich eigentlich gar kein Urteil erlauben können.

 

Ein trauriges Beispiel aus der Schulgeschichte ist, dass LehrerInnen Kindern, die eine legasthene Schwäche haben, in der Vergangenheit oft mangelnde Intelligenz oder sogar Dummheit zugeschrieben haben. Sie haben offensichtlich fälschlicherweise angenommen, dass die Kenntnisse der Orthographie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Klugheit oder Intelligenz stehen.

 

Ein anderes Beispiel ist, dass wir Menschen mit einem athletischen Körperbau oft als "körperlich fit", "gesund", "aktiv" oder "sportlich" einschätzen. Auf der anderen Seite schätzen wir Menschen, die etwas fülliger sind, gerne als "weniger gesund", "unsportlich" oder "träge" ein. Dass dieser Eindruck täuschen kann, zeigt sich beispielsweise daran, dass Body-Bilder-Körper mit Muskelpaketen manchmal durch stereoyde Hormone zustande kommen, die die Nieren und die Leber schädigen, impotent machen und das Krebsrisiko erhöhen. Wir haben es also vielleicht mit einem kranken Menschen in einem scheinbar vor Gesundheit strotzenden Körper zu tun. Und wer sagt, dass jemand, der ein paar Kilo mehr hat, nicht dennoch ein sportlicher Mensch sei kann.

 

Die Tendenz zu logischen Fehlschlüssen lassen sich auch gezielt zur Beeinflussung von Menschen einsetzen. Der dunkle / schwarze Anzug und die dezente Golduhr, in der sich der Versicherungsvertreter oder der Bankbeamte präsentieren, sollen Vertrauen in die Solidität und Seriosität der Person wecken. Einem schrillen Punker mit zerschliessener Kleidung und dem Gesicht voller Piercings würden wir unser Geld möglicherweise nicht anvertrauen wollen.

 

Grundlegendes zur Sozialen Wahrnehmung: Ebenen

Ein Beispiel: Anna ist Verkäuferin in einer Bäckerei. Jeden Tag steht sie hinter der Ladentheke und kommuniziert mit einer Vielzahl von Menschen, die das Geschäft betreten. Einige von ihnen kennt sie genauer. Sie weiß etwas über ihre Geschichte und ihr privates Leben. Einige kennt sie flüchtig. Sie weiß nichts über ihr privates Leben. Aber sie kennt ihre Vorlieben. Sie weiß z. B., dass sie gerne Semmel essen und kein Schwarzbrot mögen. Andere Menschen kennt sie überhaupt nicht. Sie sieht sie zum ersten Mal in dem Moment, in dem sie das Geschäft betreten. Trotzdem kann und muss Anna auch  mit ihnen "professionell" kommunizieren. Wie schafft sie das???

 

Menschen sind "soziale Lebewesen", die den Großteil ihres Lebens (privat und beruflich) mit anderen Menschen in Kontakt sind. Früher war der Personenkreis, mit dem Menschen regelmäßig zu tun hatten, eher überschaubar. In der modernen Welt begegnen wir fast jeden Tag anderen Menschen, die wir nicht oder fast nicht kennen. Wir sind darauf angewiesen, uns möglichst schnell ein "erstes grobes Bild" von dieser Person zu machen, um einschätzen zu können, was sie von uns will und wie wir uns am besten verhalten sollten. 

 

Damit wir im Normalfall den Umgang mit so vielen Menschen so schnell und so gut beherrschen, helfen uns angeborene und erworbene Wahrnehmungs- und Reaktionsmuster: 

 

Biologische Ebene: Wir haben vermutlich biologisch angelegte "Verarbeitungsprogramme", die bei uns bestimmte Rekationsmuster provozieren. Dazu zählen vor allem körpersprachliche Signale, die wir in den allermeisten Fällen gar nicht bewusst registrieren, auf die wir aber reagieren. Beispielsweise provoziert ein Lächeln freundliche Gefühle. Ein weinender oder zusammengekrümmt auf dem Boden liegendes Kind provoziert Aufmerksamkeit und Zuwendung. Eine geballte Faust, die uns entgegengehalten wird, interpretieren wir als Droh-Gebärde. 

 

Kulturelle Ebene: Zusätzlich lernen wir im Laufe unserer Sozialisation Regeln, wie wir mit Menschen in bestimmten Kontexten umzugehen haben. Zum Beispiel lernen wir, dass es soziale Hierarchien gibt, in die wir uns einordnen müssen. Ältere Menschen sollten wir "siezen", jüngere dürfen wir "duzen". Wenn wir einen Menschen kennenlernen, sollten wir ihm die Hand geben. Wenn wir mit jemandem nicht vertraut sind, sollten wir "auf Abstand bleiben" und ihm / ihr "nicht zu nahe treten". ... Wir sollten uns auch bewuss sein, dass es in unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Regeln gibt / geben kann. So wäre es in einer streng in patriarchalen Kultur ein Affront, als Mann einer fremden Frau in die Augen zu schauen. Oder es gibt Kulturen mit sehr strengen hierarchischen sozialen Regeln (z. B. feudale Kulturen, heute noch Japan, Militär) und Kulturen mit sehr flachen Hierarchien (z. B. USA). 

 

Persönliche Ebene: Individuell haben wir durch unsere Lerngeschichte gelernt, uns in sozialen Situationen mehr oder weniger sicher zu bewegen. Manche Situationen sind uns fremd. Wir laufen dann Gefahr, uns "daneben zu benehmen" und andere Menschen vor den Kopf zu stoßen, weil wir die Regeln nicht kennen. Andere Situationen sind uns vertraut. In ihnen können wir uns sicher bewegen, weil wir die sozialen Codes kennen und beherrschen. Je nachdem, welche Vorerfahrungen wir gemacht haben, gehen wir vielleicht locker und offen auf andere Menschen zu. Oder wir sind eher zurückhaltend, schüchtern und warten lieber, bis ein Gegenüber mit uns in Kontakt tritt. Je nach Vorerfahrung schätzen wir Menschen in Dirndl und Trachtenlook eher als sympathisch oder eher als unsympathisch / spießig / vorgestrig ein. 

 

Aber wie auch immer: Nur wer die eigene Wirkung und die Wirkung anderer auch entsprechend differenziert wahrnehmen und reflektieren kann, kann sich in der modernen und komplexen Welt sozial halbwegs sicher bewegen. Nicht zuletzt darum geht es bei der sozialen Wahrnehmung.  

Grundlegendes zur Sozialen Wahrnehmung: Attributionen

"Attribution" heißt Ursachenzuschreibung. Damit ist gemeint, dass wir Wahrnehmungen als Oberflächenphänomene betrachten, hinter denen wir verschiedene Ursachen vermuten. Diese Ursachen sind dann unserer Vorstellung nach ziemlich stabild und unveränderlich, also zum Beispiel feste Eigenschaften oder Charaktermerkmale. 

 

So schließen wir z. B. ganz gerne vom äußeren Erscheinungsbild (Kleidung, Frisur, Styling, Accessoirs) auf bestimmte Charaktermerkmale, Weltanschauungen, Vorlieben etc. Oder wir schließen von bestimmten Verhaltensweisen (A. sieht mich nicht an. A. spricht nicht mit mir) auf bestimmte feste Haltungen (A. mag mich nicht). Attribuierungen haben neben einem Tatsachen-Anteil vor allem auch einen starken emotionalen Anteil (auf der Achse sympathisch-unsympathisch). 

 

Der Vorteil solcher Attribuierungen ist, dass wir uns sehr schnell ein erstes Bild von einem anderen Menschen machen können, indem wir ihn nach schablonenartigen Mustern, die wir gelernt haben, einordnen. Dabei konzentrieren wir uns auf bestimmte Schlüsselsignale. Und wir berücksichtigen natürlich auch bestimmte soziale Kontexte und Situationen, die bestimmte Signale erwarten lassen. Vor allem Signale, die unserer Erwartungshaltung widersprechen, nehmen wir sehr stark wahr. Zum Beispiel erwarten wir bei der Matura durchaus ein "Updressing", und so wundert es uns nicht, wenn 18jährige in Anzug und Krawatte in der Schule erscheinen. An anderen Schultagen würden wir eher ein legereres Outfit erwarten. 

 

Der Nachteil (oder: das Problem) bei Attribuierungen ist, dass sie häufig ganz oder teilweise falsch sind. Manche Menschen beurteilen wir zu positiv. Zum Beispiel, weil sie sich bewusst so stylen und verhalten, dass wir sie als sympathisch einschätzen sollen, damit sie uns dann ausnützen können ("Heiratsschwindler", "Hochstapler") oder damit sie uns etwas verkaufen können, was wir eigentlich gar nicht brauchen. Oder weil wir Menschen aufgrund des ersten Eindrucks als unsympathisch einschätzen und ihnen aus dem Weg gehen. So lernen wir sie erst gar nicht genauer kennen. Und wir erfahren z. B. nicht, dass die Punk-Lady viel vielschichtiger und untypischer ist, als wir im ersten Moment gedacht haben. 

 

bestimmte Formen der Attribution: Primacy-Effekt, Hof-Effekt (oder: Halo-Effekt)

Der Primacy-Effekt (man könnte auch sagen: der Effekt des ersten Eindrucks) ermöglicht es uns, dass wir uns sehr schnell ein erstes Bild über einen anderen Menschen machen. Wir schließen dabei von dem, was wir in sehr kurzer Zeit wahrnehmen können (Kleidung, Outfit, Körpersprache: Mimik, Gestik, Körperhaltung, Stimme) auf seine Persönlichkeit oder seinen "Charakter". Vor allem bei Urteilen über den sozialen Status, über Intelligenz und über Sympathie oder Antipathie sind wir extrem schnell. 

 

Ähnlich wie der Primacy-Effekt ist auch der Hof-Effekt (oder: Halo-Effekt). Er besagt, dass wir bei Menschen, von denen wir eine Eigenschaft kennen, oft automatisch auf andere Eigenschaften weiterschließen. Wir tun das auch dann, wenn diese Eigenschaften logisch überhaupt nicht miteinander in Zusammenhang stehen. Wenn sich jemand mit bestimmten Statussymbolen (Uhr, Auto) ausstaffiert, schließen wir auf eine Person mit einer bestimmten weltanschaulichen Ausrichtung oder einem bestimmten ökonomischen Status. Einer jungen Frau, die konservativ gekleidet ist, trauen wir häufig nur wenig kreativität zu. Und was vielleicht besonders zu denken geben sollte: Menschen, die wir als attraktiv wahrnehmen, halten wir vielfach auch für intelligenter und leistungsfähiger. 

bestimmte Formen der Attribution: Rollen-Effekte

Daneben gibt es auch Rollen-Effekte und Effekte von Stereotypisierung.

Wenn wir beispielsweise die berufliche Positionen eines Menschen kennen (z.B. LehrerIn, PolizistIn, Arzt/Ärztin, Nonne, Priester, BankerIn, UnternehmerIn ), ordnen wir dieser Person bestimmte Merkmale, die wir als zu dieser Position passend empfinden, zu. Dabei ignorieren wir, dass Menschen in ihrem Leben ganz unterschiedliche Rollen ausfüllen und in bestimmten Lebenssituationen Verhaltensweisen zeigen, die ihrer beruflichen Rolle geradezu widersprechen. Beispielsweise kann ein sehr korrekter Polizist in seinem Privatleben locker und jovial sein. Der strenge Staatsanwalt kann in der Freizeit in der Lederkluft mit seiner Chopper durch die Gegend fahren. Und aus dem korrekten Beamten hinter dem Schreibtisch wird auf dem Fußballplatz ein ausgeflippter Fan.

Aber auch nationale, religiöse oder ethnische Gruppenzugehörigkeit wird häufig mit ganz bestimmten Attributen und Rollenerwartungen verbunden. So können sich inzwischen nur noch sehr wenige Menschen vorstellen, dass eine muslimische Frau, die das Kopftuch trägt, eine beruflich erfolgreiche Akademikerin und eine emanzipierte Frau sein kann.

Manche Personen, beispielsweise der ehemalige Kärnter Landeshauptmann J. Haider, verstehen es hervorragen, Rollen-Effekte zu nutzen, indem sie sich bestimmte symbolträchtige Attribute "umhängen".

 

In welchen Rollen inszeniert sich der ehemalige Kärnter Landeshauptmann Haider auf den Bildern? Welche Strategien benutzt er dafür? 

Welche Attribute zu einer bestimmten Rolle addiert werden, hängt auf der einen Seite von der persönlichen Haltung und Einstellung ab. Während kirchenkritische Menschen "Nonne" eher negativ attribuieren ("konservativ", "spießig", "weltfremd", "unterwürfig", ...), werden gläubige Katholiken eher positive Assoziationen haben ("fromm", "sozial eingestellt", ...).

 

Aber auch gesellschaftliche Diskurse und Medienberichterstattung beeinflussen häufige Assoziationsmuster. Soziale Stereotype und Vorurteile entstehen auf dadurch, dass über Menschen, die zu bestimmten Personengruppen gehören, oft nur sehr klischeehaft berichtet wird, dass sehr häufig auf unreflektierte Weise bestimmte begriffliche Assoziationen erzeugt werden, dass Bilder klischeehaft eingesetzt werden, dass herkömmlichen Stereotypen widersprechende Bilder ignoriert und ausgeblendet werden, ...

 

So werden die meisten ÖsterreicherInnen sich Asylwerber als arme, schlecht gebildete Menschen vorstellen. Dass unter AsylwerberInnen viele Menschen aus der Mittelschicht mit einer guten schulischen und beruflichen Bildung sind, kommt im "Medienbild" vom armen Asylwerber und Wirtschaftsflüchtling nicht vor

 

bestimmte Formen der Attribution: Fehler der Situationsbezogenheit

Die Beurteilung einer Person stützt sich oft nur auf die Wahrnehmung dieser Person in einen ganz bestimmten situativen Kontext. Dabei wird übersehen, dass Menschen sich in unterschiedlichen Situationen sehr unterschiedlich, teilweise geradezu konträr verhalten können.

 

Eine berühmt-berüchtigte Untersuchung in den USA - dem Rosenhan-Experiment - illustriert diesen Effekt: Im Rahmen eines Forschungsprojektes in den USA traten acht psychisch unauffälllige Versuchspersonen freiwillig in acht verschiedene psychiatrische Anstalten ein und erzählten, sie hörten Stimmen. Die Stimmen, so berichteten sie, sagten nur zwei Wörter: "hohl" und "dumpf". Sofort nach Aufnahme gaben sich die "Patienten" als geheilt aus. Sie sagten, sie hörten keine Stimmen mehr und sie verhielten sich ansonsten vollkommen normal. Keiner der acht Scheinpatienten wurde von den Psychiatern in den Kliniken als gesund und normal erkannt. Schließlich wurden sie dann mit der Diagnose "Schizophrenie in Remission" entlassen.

 

Die Erklärung für diese nicht gerade ermutigenden Ergebnisse dürfte u. a. darin liegen, dass das Verhalten eines Menschen, der einmal den "Stempel psychisch krank" erhalten hat, fast nur noch durch die Brille dieser Diagnose wahrgenommen wird. Abgesehen davon, dass psychiatrisches Fachpersonal in einer Psychiatrie wohl auch keine als Patienten getarnte KollegInnen erwarten würde. (In einer Fortsetzungsstudie wurde der Effekt umgedreht. Rosenhan behauptete, er schicke Scheinpatienten, ohne dies zu tun. In der Folge wurden anscheinend ziemlich einige Menschen als zu Unrecht in die Psychiatrie eingewiesen erkannt.)

 

In der Praxis fallen wir auf Fehler der Situationsbezogenheit meistens dann herein, wenn wir einen Menschen immer in einem ganz bestimmten sozialen Kontext erleben. Also wenn LehrerInnen sich ein Bild einer Schülerin aufgrund ihrer Unterrichtserfahrung machen, aber nicht berücksichtigen, dass dieselbe Schülerin, die sie als wenig motiviert und "faul" erleben, in der Freizeit oder im familiären Umfeld sehr engagiert und interessiert sein kann.

bestimmte Formen der Attribution: Selffulfilling Prophecies (Sich selbst erfüllende Prophezeihungen; Rosenthal-Effekt; Pygmalion-Effekt)

Wenn wir von einer Person - aufgrund eines ersten Eindrucks - z. B. eine positive oder eine negative Vorerwartung haben, stellen wir unsere Wahrnehmung und unsere Verhalten darauf ein. Durch unser Verhalten können wir gerade die von uns erwarteten Verhaltensweisen "provozieren".

 

Ein klassisches Experiment, das diesen Effekt nachzuweisen versucht, ist vom us-amerikanischen PsychologInnen Robert Rosenthal und Leonor Jacobson durchgeführt worden.

 

Der Experimentaufbau des Rosenthal-Experiments (das auch Pygmalion im Unterricht heißt) funktionierte folgendermaßen:

In Schulklassen wurde den jeweiligen Lehrern eine Gruppe von Schülern als überdurchschnittlich intelligent oder als unterdurchschnittlich intelligent beschrieben. In Wirklichkeit war die gemessene Intelligenz aller SchülerInnen genau im Durchschnitt. Nach einem Schuljahr wurde die Intelligenz der SchülerInnen erneut getestet. Dabei stellte sich heraus, dass die vermutlich interlligenten SchülerInnen tatsächlich intelligenter, die vermutlich "dummen"SchülerInnen dümmer geworden waren. Die Erklärung für dieses Phänomen war, dass dafür die Verhaltensunterschiede der LehrerInnen gegenüber den SchülerInnen ausschlaggebend war: Die vermeintlich klugen SchülerInnen erhielten viel mehr positive Zuwendung und Ermutigen, bekamen mehr Zeit und Hilfestellung für die Bewältigung von Aufgaben u.s.w. Bei den vermeintlich dummen SchülerInnen verhielten sich die LehrerInnen genau gegenteilig. Sie erhielten weniger Lob und Ermutigung. Sie bekamen weniger Hilfestellungen und weniger Zeit für eine Antwort. Und genau das beeinflusste die tatsächliche Intelligenz. (In der Zwischenzeit ist die Stärke des Rosenthal-Effekts in diesem Experiment allerdings etwas in Zweifel gezogen worden).

 

Pygmalion-Effekt heißt dieses Phänomen, weil der griechische Bildhauer Pygmalion seine Traumfrau als Steinskulptur meißelt und die Göttin Athene dann so lange bearbeitet, bis sie die Statue zum Leben erweckt und er endlich seine Traumfrau findet."Pygmalion" ist auch der Titel eines Musicals nach einem Drama von G. B. Show, in dem Professor Higgins das Blumenmädchen Eliza Doolittle nach seinem Idealbild zu einer Dame formt.

 

Self-Fulfilling-Prophecys spielen in der Praxis wohl am stärksten dort eine Rolle, wo wir einer Person aufgrund bestimmter Vorinformationen oder Erst-Erfahrungen mit einer sehr positiven oder ablehnenden Grundhaltung begegnen. Das hat dann wiederum Rückwirkungen auf die Interaktion und Beziehung.

 

Den Rosenthal-Effekt können wir selbst nutzen, wenn wir mitüberlegen, welchen Eindruck wir bei unserem Gegenüber erzielen wollen und wie wir das schaffen können. Bei einem Bewerbungsgespräch erhöhen sich die Chancen, eine Stelle zu erhalten, wenn ich signalisiere, dass ich diese Stelle unbedingt möchte. Wenn ich widerwilllig, unvorbereitet und unmotiviert zum Bewerbungsgespräch erscheine, minimiere ich genau dadurch meine Chancen selbst.

Die Gestaltpsychologie spricht in diesem Zusammenhang von Scripts (Grundüberzeugungen), die Personen in ihrem Leben erworben haben und die sich dann immer selbst bestätigen. Wenn jemand davon überzeugt ist, dass er unsportlich ist, vermeidet er Sport. Genau dadurch wird er aber immer unsportlicher. (Beim Lesen oder bei Mathematik scheint es ähnliche Effekte zu geben).

 

Selbsterfüllende Prophezeihungen spielen übrigens auch in anderen Bereichen, z. B. in der Wirtschaft, eine wichtige Rolle. Börsenbewegungen werden beispielsweise durch die Erwartungshaltung von HändlerInnen zu einem großen Teil mitbeeinflusst: Wenn steigende Kurse erwartet werden, kaufen viele. Genau dadurch steigen die Kurse. Wenn fallende Kurse erwartet werden, verkaufen viele. Genau dadurch fallen sie. Und wenn alle einen Crash erwarten, wird er wahrscheinlich genau dadurch ausgelöst.

 

 


Arbeitsaufgaben

A1W: Erkläre, was man unter sozialer Wahrnehmung versteht und welche Ebenen die soziale Wahrnehmung beeinflussen. 

 

A2W: Erkläre, was Attribution ist. Erkläre, welche Funktion Attributionen bei der sozialen Wahrnehmung haben. Erkläre, warum Attributionen manchmal / oft fehlerhaft sind. 

 

A3W: Beschreibe wichtige Attributionsfehler, die uns häufig unterlaufen. Vor allem den Primacy-Effekt/Hof-Effekt, den Rolleneffekt, den Fehler der Situationsbezogenheit und Selflulfilling-Prophecies. Führe zu den jeweiligen Effekten ein konkretes Beispiel an. 

 

A4R/T: Nehmen wir an, du möchtest in einer sozialen Situation erfolgreich sein (ein Bewerbungsgespräch für einen attraktiven Ferienjob in einem it-Unternehmen erfolgreich führen; eine schwierige mündliche Prüfung bestehen;  bei einem Referat überzeugen; einer skeptischen Kundin etwas verkaufen; einen begehrten Frauen/Männer-Schwarm erobern; eine LehrerIn davon überzeugen, dass du eine bessere Note verdienst, ...): Wie kannst du einen positiven Halo-Effekt erzeugen? Entwirf stichwortartig ein Szenario für deinen Auftritt. 

  

A13R/T:  Wie lässt sich die Entstehung und Einzementierung von Stereotypen oder Vorurteilen bestimmten Personengruppen gegenüber sozialpsychologisch - unter Bezugnahme auf die erwähnten Effekte - erklären? (z. B. gegenüber bestimmten Berufsgruppen wie "den Politikern" oder gegenüber Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften ("die Katholiken") oder gegenüber einer bestimmten Altersgruppe ("die Jugendlichen") oder gegenüber Menschen mit einer bestimmten Neigung / mit bestimmten Hobbys ("die Skater", "die Ultras", "die Rockabillys") 

 

A15E: Auf dieser Webseite geht es um Wahrnehmung in Zusammenhang mit Personalbeurteilung. Dabei spielen Wahrnehmungsgesetze und Wahrnehmungsfehler eine wichtige Rolle. Fasse wichtige Aussagen in einer Übersicht (Tabelle, Mindmap) zusammen. 

 

A14E: In Werbespots und Werbeanzeigen wird oft eine bestimmte Zielgruppe angesprochen, indem bestimmte klischeehafte Attribute bemüht werden. Andererseits spiegeln sich in Werbeanzeigen auch Rollenklischees und Stereotype. Suche dafür drei bis vier möglichst gegensätzliche Beispiele. Analysiere eines der Beispiele genauer im Hinblick auf intendierte Rollenbilder, die die Werbung vermittelt. 

 

A15E: Erkundige dich genauer über das Rosenhan-Experiment und fasse zentrale Fakten dazu (Fragestellung, Durchführung des Experiments, Erkenntnisse aus dem Experiment; Bedeutung für die Praxis) zusammen. Informationen dazu findest du in diesem NZZ-Artikel zum Rosenhan-Experiment und auf Wikipedia