Was ist Ethik? - Grundlegendes

Normative Aussagen: Dürfen, sollen und müssen als kernbegriffe der Ethik

Ethische Fragen begegnen uns immer dann, wenn wir uns Gedanken darüber machen müssen, ob wir (eine Person, eine Personengruppe, eine Gesellschaft…) etwas DÜRFEN, SOLLEN oder MÜSSEN. Die Philosophie sagt zu Aussagen mit diesen Prädikaten "normative Aussagen" (von Norm = Ideal / Zielpunkt) oder präskriptive Aussagen (von präscribere = vorschreiben).

 

Im Unterschied dazu fragt die Wissenschaft nach den Gesetzmäßigkeiten, die natürlichen Phänomenen zugrunde liegen.  Der Anspruch ist, die Welt nach Möglichkeit so zu beschreiben, wie sie ist. Ihre Aussagen sind deskriptiv (von: describere = beschreiben) und wertfrei. Es geht um die Frage, was wir WISSEN. 

 

Dazwischen steht die Technik. Sie versucht, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Es geht dabei im Kern um den Anspruch, mit Hilfe der wissenschaftlichen Erkenntnisse verändernd in die Welt einzugreifen. Die zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist, wie sich etwas (meist als fehlerhaft oder defizitär Definiertes) manipulieren und verändern lässt. Es geht um die Frage, was wir KÖNNEN. 

 

 

Die Technik macht vieles möglich. Wir können Atombomben bauen, Atomkraftwerke für die Energiegewinnung nutzen, Gene manipulieren, Embryonen auf genetische Defekte untersuchen, Menschen mithilfe von Maschinen am Leben erhalten, mit Raketen auf den Mond fliegen, ... Doch eine ganz andere Diskussion ist die Frage, ob wir das alles auch tun dürfen oder sollen oder sogar müssen. Die philosophische Ethik hat keine endgültigen Antworten auf alle diese Fragen. Aber sie hat "Handwerkszeug", die uns helfen, diese Fragen zu diskutieren und im Idealfall gute (= gut begründete und reflektierte) Antworten zu finden. 

 

Wissenschaftliche (deskriptive) und ethische (NORMATIVE) Aussagen. Vergleich

Ethische Aussagen und wissenschaftliche Aussagen unterscheiden sich im Hinblick auf ihren "Wirklichkeitsbezug" ganz fundamental. Ein wissenschaftlicher Satz gibt Auskunft über einen Sachverhalt, der "der Fall ist". Er sagt es über Wirklichkeit aus, wie sie ist. Ein ethischer Satz definiert, was jemand tun soll oder wie die Welt (idealerweise) sein sollte. Er sagt aber zumindest nicht direkt etwas über die Welt aus, wie sie ist.

 

Doch Ethik und Wissenschaft sind vielfach aufeinander bezogen. Ethische Normen sollten eine faktenorientierte (wissenschaftliche) Grundlage haben. Sonst machen sie keinen Sinn, sie funktionieren nicht, oder sie richten mehr Schaden an als sie nutzen.

 

Und umgekehrt müssen WissenschaftlerInnen ich natürlich auch mit ethischen Fragen auseinandersetzen und ihr eigenes Tun ethisch hinterfragen. Das gilt zum Beispiel für die Methoden, mit denen sie die Wirklichkeit untersuchen (z. B. Tiere als Versuchsobjekte). Es gilt für die Ressourcen, die sie für ihre Forschungen (meistens aus Steuermitteln) erhalten (z. B. mehr Geld für Grundlagenforschung oder mehr Geld für angewandte Forschung). Und es gilt besonders für die technische Anwendung und die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse. Das hat die Atomphysik und ihre Anwendung (Atombombe, zivile Atomkraft) im 20. Jahrhundert klar gemacht. Die Erkenntnisse aus der Genforschung machen das nochmals sehr, sehr deutlich.

 

Spätestens seit dem berühmten Klonschaf Dolly wissen wir,dass wir (genauer: bestimmte WissenschaftlerInnen, die ExpertInnen im Bereich der Gentechnik sind) in der Lage sind, Lebewesen zu klonen. Also die Erbanlagen (DNA) eines Lebewesens, die sich in jeder Körperzelle befinden, in eine entkernte befruchtete Eizelle einzupflanzen und so eine identische Kopie zu erzeugen.

 

Die Genforschung hat heute - z. B. mit CrisprCas9, einer "Genschere" - die Möglichkeit, spezielle Gene aus den Erbanlagen zu entfernen und durch andere Gene zu ersetzen. Dadurch kann das Erbgut von Lebewesen manipuliert werden.  Oder es können Lebewesen mit neuen Eigenschaften, die man von anderen Lebewesen übernimmt, ausgestattet werden. So können genetisch bedingte Krankheiten verhindert werden. Oder man kann "bessere" (= ertragreichere oder gesündere oder resistentere) Lebewesen züchten.

 

Das geht mit Schafen. Das geht mit anderen Tieren. Das geht mit Pflanzen. Das geht theoretisch auch mit Menschen.

 

Die Wissenschaft - also in diesem Fall die Gentechnik - fragt, wie Klonen und Gentransfer technisch funktionieren. Dazu muss sie vieles wissen. Sie muss z. B. wissen, wie Vererbung funktioniert, wie Fortpflanzung funktioniert, welche technischen Fehler beim Klonen eventuell auftreten könnten, ...

 

Die Wissenschaft weiß, wie es funktioniert. Sie sagt uns, was wir tun können.

 

Die Ethik fragt, ob wir das, was wir tun können, auch tun sollen oder tun dürfen. Sie will herausfinden oder zumindest diskutieren:
  • Dürfen wir Lebewesen genetisch verändern?
  • Welche Lebewesen (Bakterien --> Pflanzen --> Tiere --> Menschen)?
  • Mit welcher Absicht und welcher Zielsetzung dürfen wir das tun?
  • Unter welchen Bedingungen dürfen wir das tun?
  • ...

Dabei geht es beispielsweise um die Frage, welchen Nutzen das Klonen von Lebewesen oder das Verändern des Erbguts

überhaupt haben soll. Es geht aber auch um die Frage, welche Risiken wir eingehen, wenn wir beginnen, Lebewesen zu klonen oder genetisch zu verändern und welche unerwünschten Folgen möglicherweise auftreten. Es geht um die Frage, welche Kosten eine Technologie verursacht und wer für diese Kosten aufkommen muss. Es geht um die Frage, wer von diesen Technologien schlussendlich profitiert, ob das einfach nur ein paar ehrgeizige WissenschaftlerInnen sind, die auf den

Nobelpreis scharf sind, ob Konzerne ihre Gewinne maximieren wollen oder ob schlussendlich alle (die ja diese Projekte mit ihren Steuern auch bezahlen) profitieren. Es geht um die Frage, ob und wie sich dadurch die Vorstellung von Tier-Sein oder Mensch-Sein überhaupt ändern wird; also z. B. ob durch das Klonen von Menschen eine Art "Mensch zweiter

Klasse", im Extremfall eine Art "Gensklave" oder "Ersatzteillager" entstünde.

 

Kurz gesagt: Die ethische Frage lautet: Dürfen / sollen / müssen wir das, was wir technisch können, auch tun?

 

Ethischer Werkzeugkoffer

Ethische Fragen lassen sich nicht „objektiv“ beantworten. Auf sie gibt es keine Antwort im Sinne von wahr und falsch in einem wissenschaftlichen Sinn. Anders als deskriptive Aussagen können wir sie durch Zählen, Messen oder eine andere wissenschaftliche Methode nicht als wahr nachweisen oder als falsch widerlegen. 

 

Über ethische Fragen können wir aber diskutieren. Wir können (mehr oder weniger gute und plausible) Argumente für oder gegen eine bestimmte ethische Position vorbringen. Die Antwort, die jemand auf eine ethische Frage gibt, ist also argumentativ begründbar. Sie kann und muss begründet werden. Und auch wenn es in vielen Fällen keine absolut gültigen oder von allen akzeptierten Begründungen gibt: es gibt bessere und schlechtere Begründungen. 

 

Die ethischen Werttheorien definieren und erklären, was mit Wertbegriffen (wie z. B. Freiheit oder Gleichheit) gemeint sein kann. Nur so lassen sich vernünftige Diskussionen z. B. über Freiheitsrechte oder Grenzen der Freiheit führen. 

 

Die ethischen Handlungstheorien sagen, nach welchen Kriterien wir Handlungsmöglichkeiten beurteilen können. Ein wichtiger Ansatz ist, Handlungen nach ihren (sicheren, wahrscheinlichen, möglichen) Folgen zu beurteilen. Diese Ansätze zählt man zu den teleologischen (griech.: telos = Ziel/Zweck) Theorien. Eine andere Möglichkeit ist, nach den betroffenen Werten zu fragen, um die es in ethischen Diskussionen geht. Diese Ansätze nennt man deontologische (griech.: to deon = Pflicht) Theorien.