Suizid und Suizidalität

Begriffe

  • „Selbstmord“ è der Begriff wird in Fachkreisen vermieden, weil „Mord“ ein schwerer Straftatbestand ist. Der Begriff verweist auf die historisch negative Bewertung der Selbsttötung durch Staat und Religion


  • „Freitod“ è Begriff wird in Fachkreisen vermieden, weil er suggeriert, dass es sich bei einer Selbsttötung um einen freien Entschluss handle. Dies ist nur in ganz wenigen Fällen so. Meistens passiert ein Selbsttötungsversuch oder eine Selbsttötung in einer Phase persönlicher gedanklicher und emotionaler Einengung. „Ein Mensch, der sich das Leben nimmt, möchte meistens nicht nicht-mehr-leben. Er möchte meistens nur so, wie er sein Leben erfährt, nicht mehr leben und sieht im Moment keinen anderen Ausweg.“

 

  • „Selbsttötung“ oder „Suizid“ als „neutrale Begriffe werden daher heute meistens vorgezogen

 

Daten

Die WHO schätzt, dass sich jedes Jahr ungefähr eine Million Menschen weltweit selbst das Leben nehmen

 

In Österreich haben sich 2005 nach offiziellen Zahlen 1392 Menschen das Leben genommen. In Vorarlberg weist die Suizidstatistik für das Jahr 2005 69 Suizide auf, für das Jahr 2008 sind es ungefähr 50. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass es in Österreich im Durchschnitt doppelt so viele Suizidtote wie Verkehrstote gibt.

 

Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, die sich selbst das Leben nehmen, beträgt 3 zu 1. Das heißt, dass auf eine Frau, die sich selbst tötet, drei Männer kommen.

 

Selbsttötungen unter 15 sind sehr selten. Mit steigendem Alter nimmt auch das Suizidrisiko zu. Eine besondere Gefährdung besteht für alte Männer. Diese haben ein bis zu 9-fach höheres Risiko an Suizid zu versterben als Frauen gleichen Alters. Das Risiko bei Männern steigt ca. ab dem 75. Lebensjahr an.

 

Seit den 70er-Jahren gehen die Suizidzahlen langsam, aber stetig zurück

 

Verlässliche Zahlen über Suizidversuche gibt es nicht. Die WHO schätzt, dass auf jeden vollendeten Suizid 20 bis 30 Suizidversuche, die nicht tödlich enden, kommen. Das würde für Österreich bedeuten, dass jedes Jahr 35 000 Menschen einen Suizidversuch machen. Oder das würde bedeuten, dass in Vorarlberg jedes Jahr zirka 1200 Menschen versuchen, sich das Leben zu nehmen.

 

80 Prozent der Menschen, die einen Suizidversuch machen und gerettet werden können, machen keinen zweiten Suizidversuch mehr. Andererseits hat ein Großteil der Menschen, die sich das Leben nehmen, bereits mehrere Suizidversuche hinter sich.

 

Suizidversuche finden vor allem bei jüngeren Menschen statt. Auch sind hier wesentlich mehr Frauen als Männer (2 zu 1) betroffen.

 

Die Suizidrate ist regional und international stark unterschiedlich. Auch steigt die Suizidrate in Zeiten fundamentaler sozialer und wirtschaftlicher Umbrüche und Unsicherheiten teilweise an. Es gibt unterschiedliche Theorien, die dies zu erklären versuchen. Eine Theorie besagt, dass eine gute Suizidprävention(Prävention = Vorbeugung) zu einem Rückgang von Suizidversuchen und Suiziden wesentlich beitragen. Eine andere Theorie besagt, dass z. B. sehr liberal (protestantisch) geprägteGesellschaften (CH, skandinavische Staaten, NL, …) dem Suizid gegenüber offener und toleranter eingestellt sind, was auch zu höheren Suizidraten (und zu niedrigeren „Verschleierungen“) führen kann.

 

Gesellschaftliche Bewertung

"Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Die Entscheidung, ob das Leben sich lohne oder nicht, beantwortet die Grundfrage der Philosophie." (Albert Camus)

 

Die Bewertung von Selbsttötung in den Religionen ist unterschiedlich. Sowohl im Islam als auch im jüdischen Talmud gibt es ein Selbsttötungsverbot. Die katholische Kirche hat den Suizid seit dem Konzil von Nimes (1184) bis ins 20 Jahrhundert hinein als Todsünde bewertet. Die protestantische Kirche ist demgegenüber eher bereits, eine Selbsttötung als extremsten und im Einzelfall verständlichen Akt menschlicher Entscheidungsfreiheit zu sehen. Im Buddhismus und im Hinduismus gibt es keine verbindliche Lehrmeinung und kein explizites Selbsttötungsverbot.

 

Im 18. Jahrhundert entwickelt sich im Zug der Aufklärung eine Haltung, die die Selbsttötung als einen Akt menschlicher Willensfreiheit oder aber als Ausdruck einer Krankheit begreift und deshalb vor allem für eine Entkriminalisierung von „Selbstmördern“ eintritt. Ob eine Selbsttötung ein Akt von Freiheit sein kann, ist unter Experten sehr umstritten. Manche lehnen diese Sichtweise schlichtwegs ab. Andere lassen sie zumindest für den Einzelfall gelten. Einig sind ExpertInnen sich aber, dass eine Selbsttötung oder ein Suizidversuch fast immer in Zusammenhang mit einer psychischen Krise und oft in Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung (v. a. Depression und Suchterkrankungen) stehen.

 

Suizidalität. Der Weg hinein

Wenn ein Mensch versucht, sich das Leben zu nehmen, ist dies meistens Ausdruck einer schweren Lebenskrise und einer schweren Verzweiflung. Gerade Menschen mit Depressionen oder Suchterkrankungen sind sehr gefährdet. Es gibt aber auch „spontane Suizide“, z. B. wenn jemand einen schweren Autounfall verursacht hat und „vor der Schuld fliehen möchte“. Ein Suizidversuch kann aber auch die Folge einer negativen Lebensbilanz – jemandem erscheint sein Leben, z. B. wegen einer schweren Erkrankung nicht mehr lebenswert – sein. Man spricht dann von einem Bilanzsuizid.

 

Meistens – aber nicht immer – ist ein Suizidversuch der Endpunkt einer langen Entwicklung. Dass jemand, dem es schlecht geht, manchmal die Idee hat, eine Selbsttötung könnte ein Ausweg sein, ist normal. Fast alle Menschen haben diesen Gedanken irgendwann einmal in ihrem Leben.

 

Manche Menschen erleben dann aber in einer Krisensituation, dass diese Gedanken nicht von selbst wieder vorbeigehen, sondern sich „im Kopf einnisten“ und sich „aufzudrängen beginnen“. In dieser Phase ringen meist die „gesunden Anteile“, die am Leben festhalten, mit den „kranken“, denen der Tod als Ausweg erscheint. Viele Menschen machen in dieser Phase auch Suizidankündigungen.

 

Wenn jemand sagt, er wolle sich das Leben nehmen, ist es nie ein Fehler, auf diese Frage einzugehen – auch wenn das oft schwer ist – und weiter nachzufragen. In dieser Phase wäre es auch sehr wichtig, den betroffenen Menschen zu einem Arzt oder zu einer Institution zu bringen, in der er Hilfe erfährt.

 

Menschen, die den Entschluss gefasst haben, sich das Leben zu nehmen, sprechen dann meistens nicht mehr darüber und sie werden auffallend ruhig. Die Angehörigen haben so meistens fälschlicherweise das Gefühl, dass das Schlimmste „überstanden sei“ und sind dann für sie völlig überraschend mit einem Suizidversuch oder einem Suizid konfrontiert.

 

Der österreichische Psychiater Erwin Ringel prägte für die typische psychische Entwicklung vor einem Suizidversuch oder einem Suizid den Begriff „präsuizidales Syndrom“. Er unterscheidet dabei vier Phasen:

 

Stadium 1: Erwägung

 

In diesem Stadium wird – meistens vor dem Hintergrund einer Krise – der Suizid als mögliche Lösung für die eigenen Konflikte gedanklich in Erwägung gezogen. („Im schlimmsten Fall kann ich mir immer noch das Leben nehmen …“ // „Eigentlich habe ich keine Kraft mehr zum Leben“)

Wenn Menschen in dieser Phase Unterstützung erfahren oder wenn sie wieder „Licht am Ende des Tunnels“ sehen, verschwinden diese Suizidphantasien wieder.

Wenn sich die Krise zuspitzt, kann ein Übergang zur zweiten Phase erfolgen

 

Stadium 2: Ambivalenz

 

In der zweiten Phase stehen „lebenserhaltende“ und „lebensverneinende“ Kräfte miteinander in Konflikt. Ein Teil der psychischen Kräfte „hängt am Leben“, ein anderer Teil möchte aus dem Leben fliehen und bewertet den Suizid als Erlösung oder als Ausweg.

In dieser Phase sind Suizidankündigungen sehr häufig. Diese kann man als „Hilferuf“ verstehen.

Mit jemandem, der Suizidgedanken äußert, zu reden, kann nie falsch sein, obwohl es schwer ist. Das Reden führt in vielen Fällen dazu, dass ein Betroffener durch das Gespräch Entlastung erfährt und dass er bereit ist, auf Hilfsangebote einzugehen.

Manche Menschen meinen, dass jemand, der von Suizid spricht, sich nicht das Leben nehmen wird. Das ist in vielen Fällen ein verhängnisvoller Irrtum: Fast alle Menschen, die sich das Leben zu nehmen versuchen, haben dies vorher angekündigt.

 

Stadium 3: Entschluss

 

In der dritten Phase entschließt sich eine suizidale Person entweder für die „Rückkehr ins Leben“ oder für den Schritt zum Suizid(versuch)

Spätestens in dieser Phase beginnen die Menschen, die vorhaben, aus dem Leben zu scheiden, mit konkreten Überlegungen über die Art des Suizid(versuchs)

Viele der Menschen, die sich zum Suizid(versuch) entschieden haben, wirken auf ihre Umgebung so, als ob sie sich „beruhigt“ hätten. Diese Ruhe nach außen kann aber sehr trügerisch sein. Die Menschen sind ruhig, weil sie ihren Kampf zwischen Leben-Wollen und Sterben-Wollen für sich abgeschlossen haben, auch und gerade dann, wenn sie sich innerlich für das Nicht-mehr-leben-Wollen entschieden haben.

 

Stadium 4: Suizidversuch oder Suizid

 

 

Suizidalität. Der Weg heraus

80 Prozent der Menschen, die einen Suizidversuch machen und gerettet werden, machen in ihrem weiteren Leben keinen zweiten Suizidversuch mehr. Das heißt, sie lernen nach ihrem Suizidversuch, mit sich selbst und mit ihrem Leben besser klar zu kommen.

 

Nach einem Suizidversuch ist eine gute medizinische und psychologische Betreuung ganz wichtig. Und es braucht viel Zeit, bis ein Mensch, der sich das Leben nehmen wollte, wieder stabil ist und gelernt hat, wieder Vertrauen ins Leben zu finden.

 

Hilfreich ist es, wenn andere Menschen (also z. B. Mitschüler und Lehrer) das Thema nicht tabuisieren, sondern offen darüber sprechen und Fragen stellen, wenn die Situation passt. Es sollte aber nicht so sein, dass ein Mensch, der einmal einen Suizidversuch gemacht hat, anders behandelt wird als andere Menschen. Besonders wichtig ist, dass man solchen Menschen signalisiert, dass man sie schätzt oder dass man froh ist, dass sie wieder da sind. Das gibt ihnen viel Kraft und Vertrauen ins Leben.


Wenn jemand Hilfe braucht ...

Wenn jemand das Gefühl hat, dass ihm alles über den Kopf wächst, oder wenn er / sie sich Sorgen um jemand anderen – z. B. einen Freund / eine Freundin – macht, ist es immer hilfreich, sich an jemanden zu wenden, der gelernt hat, mit solchen Situationen umzugehen. In Vorarlberg gibt es zum Beispiel …

 

 

… die Telefonseelsorge

 

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr über Telefon (Tel.Nr. 142) oder Internet (http://www.142online.at/) erreichbar. Geschulte ehrenamtliche HelferInnen hören zu und können oft weiterhelfen. Es gibt auch eine Internetberatung.

 

 

… das IfS (Institut für Sozialdienste)

 

Das Institut für Sozialdienste hat ein breit gefächertes Angebot für Menschen, die in einer Notlage sind. In Dornbirn-Oberdorf gibt es eine Beratungsstelle, die zu den normalen „Bürozeiten“ einen Journaldienst hat. So kann man in Krisensituationen schnell und sogar ohne Voranmeldung ein Beratungsgespräch bekommen.

 


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