Biographisches

So wie wir das Wort „Philosophie“ heute verwenden, lässt es sich auf den griechischen Philosophen Sokrates zurückführen.

Lebensskizze

Mit ein paar Stichworten lässt sich das Leben von Sokrates in etwa so skizzieren: 

 

  • Sohn eines Steinmetzes und einer Hebamme (eher untere Sozialschicht)
  • durch seinen auffallenden Lebenswandel ist er in Athen bald als "bunter Hund" bekannt: er hat wenig Geld, geht keinem Beruf nach, sein liebster Zeitvertreib ist es, Freunde und Fremde in Gespräche zu verwickeln, in denen er sich einen Spaß daraus macht, sie so lange durch geschicktes Fragen in ihren Ansichten zu verunsichern, bis diesen ihre scheinbar selbstverständlichen Ansichten bezweifeln (Dialektik, Hebammenmethode = „Mäeutik“).

  • Hauptgegner des Sokrates sind die Sophisten, die in Athen als bezahlte Redner bei Gerichtsverhandlungen oder in der Regierung auftreten 

  • Sokrates ist vermutlich Analphabet; zumindest hat er nichts Schriftliches hinterlassen. Seine Ideen werden von seinem Schüler Platon in dessen Dialogen und - was weniger bekannt ist - vom Philosophen Xenophon überliefert. Der griechische Dichter Aristophanes verspottet Sokrates in seinem Theaterstück "Die Wolken"

  • Ein berühmter Satz von Sokrates lautet: "Niemand tut freiwillig unrecht." Sokrates meint also, dass ein Mensch, der die Wahrheit erkannt habe, immer auch das Richtige tue. Wissen und Ethik sind für ihn unmittelbar miteinander verbunden.

  • 399 wird Sokrates - offiziell wegen Gotteslästerung und Verführung der Jugend, in Wirklichkeit wohl aber wegen seiner engen Verbindungen zur aristokratischen Partei – von den Demokraten zum Tod durch das Trinken des Schierlingsbechers - immerhin eine ehrenvolle Form, ein Todesurteil zu exekutieren - verurteilt. Sokrates hätte fliehen können, er lehnt die Flucht aber ab, weil er der Meinung ist, dass man ein Staatsurteil auch dann akzeptieren müsse, wenn es auf einem schlechten Gesetz oder auf einer falschen Interpretation beruhe.

  • Die Verteidigungsrede des Sokrates vor Gericht ("Apologie") und die Rede des Sokrates auf seinem Sterbebett - jeweils in der Version Platons - gehören zu den wichtigsten Texten der Philosophie. 

  • Sokrates gilt neben Platon (dessen Lehrer er ist) und Aristoteles als der erste der drei großen klassischen Philosophen der griechischen Antike

Der berühmte Tod des Sokrates

Der Prozess

 

Sokrates wird also 399 vuZ. von der demokratischen Partei in Athen angeklagt. An der Anklage gegen Sokrates wirken der den Handwerkern, also dem "demos" nahe stehende Gerbereibesitzer und Politiker Anytos mit, der Redner und Politiker Lykon sowie Meletos, ein junger unbedeutender Dichter. Alle drei führen persönliche Kränkungen an, die sie durch Sokrates erfahren hätten. In einem zweistufigen Verfahren wird der 70jährige Sokrates zum Tod verurteilt.

 

Anklage und Verteidigung des Sokrates (Apologie)

 

Die Anklage gegen Sokrates lautet: Gotteslästerung und Jugendverführung. Die vermeintliche Gotteslästerung bleibt im Unklaren. Das von Sokrates eingeforderte Hören auf die innere Stimme, das daimónion, könnte als eine Art neue Gottheit und damit als Gotteslästerung verstanden worden sein. Der Vorwurf der Verführung der Jugend beinhaltet eine politische Dimension. Die ehemaligen Schüler des Sokrates - Alkibiades, Kritias und Charmides - gehören nach der Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg (431-404 v.u.Z.) zu den dreißig Tyrannen, die unter dem Schutz der siegreichen spartanischen Truppen regieren. Sie wollen Athen in Abhängigkeit von Sparta sehen und demokratische Entwicklungen rückgängig machen. 1.500 Bürger werden ermordet, 5.000 verlieren ihr Vermögen, viele müssen ins Exil. Unter ihnen ist auch der Ankläger Anytos. Sokrates darf in der Stadt bleiben und bekommt wie 3.000 weitere Athener nach strenger Prüfung das volle Bürgerrecht. Nach Wiederherstellung der Demokratie herrschen Misstrauen, Missgunst, Rachegelüste. Eine ganze Reihe von Prozessen richtet sich auch gegen diejenigen, die während der Tyrannis als genehm gegolten haben. Sokrates kommt in den Verdacht antidemokratischen Denkens, hat er doch immer wieder das Losverfahren bei Ämterbesetzungen verspottet und mit Kritias, dem Anführer der Dreißig, in Kontakt gestanden. Hinzu kommt, dass sich Sokrates im so genannten Arginusprozess als einziger Prytane, Staatsbeamter, gegen die Volksmeinung stellt. Der Grund seines Missfallens ist, dass die Volksversammlung von Athen die im Jahre 406 bei den Arginusinseln siegreichen Feldherren zum Tode verurteilt hat, weil sie die schiffbrüchigen Athener wegen eines Sturmes nicht gerettet haben.

 

Die Verteidigungsrede, die Sokrates vor dem Geschworenengericht hält, ist nicht wörtlich überliefert. Wir kennen aber - u. a. - eine deren Darstellung durch Sokrates' Schüler Platon. Diese dürfte allerdings nicht ganz "objektiv" ausgefallen sein. 

 

Sokrates' Definition von Philosophie

Sokrates lebt also im 4. Jahrhundert v. u. Z. in Athen, das zu diesem Zeitpunkt eine neue politische Form - eben die Demokratie - erfunden hat. Allerdings gerät die Demokratie zu Lebzeiten des Sokrates nach der Niederlage gegen Sparta im Peloponnesischen Krieg in eine handfeste Krise. Und Sokrates ist wohl - zumindest wenn man Platon Glauben schenken möchte - kein großer Freund der Demokratie; eher im Gegenteil. 

 

Für Sokrates' Leben und Denken kennzeichnend ist seine Gegnerschaft zu den Sophisten (wörtliche Bedeutung: "die Weisen", was wohl einer Selbstdefinition entsprechen dürfte. Die Sophisten sind eine Gruppierung in Athen, deren Mitglieder über eine äußerst umfassende und ausgezeichnete Bildung besitzen, die diese Bildung aber (fast) ausschließlich als Mittel zum Zweck des Geldverdienens und Lobbyings verwenden. Da sich, wie der führende Kopf der Sophisten und Lieblingsfeind des Sokrates, Protagoras, meint, sowieso nicht mit letzter Sicherheit klären lasse, welche Ideen und Ansichten die richtigen seien: "Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, wie sie sind, der nicht-seienden, dass sie nicht sind". Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt zu einer rein pragmatischen und erfolgsorientierten Wahrheitstheorie, nämlich zur Aussage, es sei logisch und legitim, das für richtig zu halten, was einem selber am meisten „bringe“:

 

Damit hat Sokrates ein Problem. Und in seiner Gegnerschaft zu den Vorstellungen der Sophisten entwickelt er sein eigenes Konzept von Philosophie. Und dieses ist bis heute für das Selbstverständnis der Philosophie prägend: Sokrates meint, aus der Tatsache, dass man nichts mit letzter Sicherheit wissen könne, lasse sich nicht der Schluss ziehen, dass Wissen beliebig manipulierbar sei. Es komme vielmehr darauf an, sich um Wissen und Weisheit redlich zu bemühen, auch wenn diese Bemühungen in letzter Konsequenz wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt seien. Und gerade weil unsere Wissensmöglichkeiten – trotz aller Bildung – so begrenzt seien, müssten wir jede Arroganz und Überheblichkeit vermeiden und uns in Bescheidenheit üben. Für seinen Ausspruch "Ich weiß, dass ich nicht weiß" wurde Sokrates angeblich vom Orakel in Delphi als „klügster Mann Griechenlands“ bezeichnet.

 

Eine Anmerkung zu den Sophisten scheint noch angebracht: Dass die Sophisten in der traditionellen Philosophiegeschichte ziemlich negativ gezeichnet und ihre Position eher abgewertet wird, liegt vor allem daran, dass Platon lange Zeit als großes Vorbild fungiert hat. Platon ist allerdings ein sehr konservativer und traditioneller Denker. Im Prinzip ist der Relativismus, den die Sophisten vertreten, der viel modernere (und demokratischere) Ansatz. 

Vergleich Sophisten und Sokrates

Sophisten

z. B. Gorgias, Protagoras (480 - 410)

  • "Der Mensch ist das Maß aller Dinge ..." (Homo Mensura-Satz) --> anthropozentrische Wende von der Natur (Vorsokratiker) zum Menschen; Selbst-Reflexion als neue Ebene der Philosophie  

  • "Wissen ist relativ. Es gibt keine absolute Wahrheit. Und wenn es sie gäbe, könnten wir sie nicht erkennen." Begründung: Kluge Männer halten gänzlich Unterschiedliches für wahr,Thales hält das Wasser für den Ursprung, Pythagoras die Zahl 1, Heraklit sagt, es gebe nur Veränderung, Parmenides, es gebe überhaupt keine Veränderung, ... Wer von ihnen wirklich recht hat, lässt sich nicht entscheiden. Daher kann ich das für wahr erachten, was mir am meisten nützt. (Relativistische Wahrheitstheorie)

 

  • Vorwurf des Sokrates: Die Sophisten glauben, dass sie Wissen erlangt haben. Sie hinterfragen ihre Überzeugungen nicht mehr. So werden sie zu Dogmatikern. 

 

  • Vorwurf des Sokrates: Die Sophisten machen aus ihrem Wissen ein Geschäftsmodell. Sie setzen ihr Wissen als Mittel zum Geld-Verdienen (bezahlte Reden bei Bürgerversammlungen, Verteidigungsreden bei Gericht, ...) ein. Dabei verbiegen sie ihre eigene Meinung und reden denjenigen, die sie bezahlen nach dem Mund. 

 

Sokrates

Sokrates (469 - 399) meint: 

  • Ein Philosoph ist jemand, der die Wahrheit liebt und sucht. Aber er weiß nicht, ob er sie auch tatsächlich findet. Aber er weiß, dass er nicht(s) weiß. Genau aus diesem Grund bleibt er bescheiden. Er weiß, dass er bereit sein muss, seine Überzeugungen und Ansichten immer wieder zu hinterfragen und gegebenenfalls zu revidieren. 

  • Argument: Wahrheit ist etwas Absolutes. Es kann nicht sein, dass gleichzeitig A und das Gegenteil von A wahr ist. Allenfalls ist es uns nicht oder nur begrenzt möglich, diese Wahrheit zu erkennen. Das entbindet uns aber nicht von der Verpflichtung, uns zumindest mit aller Kraft und Ehrlichkeit um Erkenntnis der Wahrheit zu bemühen. Daher gilt: "Fragen sind wichtiger als Antworten." (ehrliches Bemühen und gegebenenfalls ehrenvolles Scheitern als zentrale philosophische Tugend)

  • "Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß": Bescheidenheit als zentrale philosophische Tugend. Verpflichtung, die Wahrheit zu suchen, auch wenn man sie schlussendlich nicht findet. Der Weg ist das Ziel. Der Versuch 

 

 

 



Arbeitsaufgaben

A1: Verfasse einen kurzen biographischen Steckbrief (Tabelle oder Mindmap) zu Sokrates. Umfang: eine Seite

A2: Erkläre, worum es im Konflikt zwischen den Sophisten und Sokrates geht. Wo zeigen sich in der Gegenwart ähnliche Probleme oder ähnliche Konflikte? Wer verhält sich wie ein moderner Sophist? Wer verhält sich wie ein moderner Sokrates? Auf welche Seite würdest du dich persönlich stellen? Warum? Mit welchen Argumenten? Formuliere ein kurzes Statement! 

A3: Stell dir vor, du berichtest als Zeitzeuge vom Prozess gegen Sokrates und von seiner Verurteilung zum Tod und seiner Hinrichtung. Wie bewertest und wie deutest du persönlich diesen Prozess? Was sind nach deiner Meinung die Ursachen dafür, dass Sokrates vor Gericht gestellt und verurteilt wird? Was sind die Gründe dafür, dass er es ablehnt zu fliehen und lieber den Tod in Kauf nimmt? 

A4: Sokrates war wohl vor allem auch für die meisten Menschen in Athen ein unbequemer Mensch. Welche Funktion haben solche Menschen in einer Gesellschaft? Hättest du Beispiele für andere Menschen, die ähnlich unbequeme Fragen gestellt haben wie Sokrates oder sich ähnlich unangepasst verhalten haben?

A5: Eine Aussage, die Sokrates zugeschrieben wird, lautet: "Fragen sind wichtiger als Antworten". Welche Bedeutung hat das Stellen von (richtigen, neuen) Fragen? Findest du Beispiele in der älteren oder jüngeren Geschichte, dass etwas scheinbar Selbstverständliches in Bewegung geraten ist, nachdem ein Mensch oder eine kleine Gruppe von Menschen dieses in Frage gestellt haben?

A6: Würdest du Sokrates Aussage "Niemand tut freiwillig Unrecht" zustimmen? Inwiefern (nicht)? Welche Beispiele würdest du anführen? Formuliere ein kurzes Statement!

Quellen und Internettipps