Wer ist Jude?

Das Judentum ist die älteste der drei monotheistischen Religionen Judentum, Islam und Christentum. Christentum und teilweise auch der Islam bauen auf dem Judentum auf

 

Wer Jude ist, ist alles andere als einfach zu definieren. Der Begriff kann religiös, ethnisch/historisch oder politisch verwendet werden:

 

religiöse Bedeutung:

Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren worden ist oder Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren worden ist und die 613 Gebote der Halacha einhält oder wer an den jüdischen Gott glaubt oder wer konvertiert (was allerdings von strenggläubigen Juden nicht akzeptiert wird). 

 

ethnische / kulturelle Bedeutung:

Jude ist, wer aus einer jüdischen Familie stammt // jüdische Vorfahren hat // mit der jüdischen Tradition // Geschichte verbunden ist (auch wenn er nicht mehr nach den religiösen Regeln des Judentums leben und vielleicht sogar gar nicht mehr an Gott glaubt). Diese Bedeutung von Judentum als "Kulturjudentum" ist für viele Menschen wichtig, die sich selbst nicht als streng religiös betrachtet, ihre jüdische Herkunft aber als wichtigen Teil ihrer eigenen Identität betrachten.

 

politische Bedeutung: Jude ist, wer im Staat Israel ganz bestimmte politische Rechte hat (z. B. das Recht, sich dort niederzulassen und Anspruch auf die israelische Staatsbürgerschaft hat)

 

Gerade einmal zirka 20 Millionen Menschen (das sind 0,003 Prozent der Weltbevölkerung!!!)  bekennen sich zum Judentum.  44 % leben in Nordamerika, 21% in Südasien, 17% in den GUS-Staaten und (nur) 18 % in Israel. 

 

Die – im Vergleich zum Christentum und zum Islam - geringe Zahl von Menschen, die sich zum Judentum bekennen, hat damit zu tun, dass der jüdischen Religion die Missionierung fremd ist. Das Judentum versteht sich vor allem als Religion für ein Volk, eben das Volk der Juden. 

 

Das Judentum ist nicht wie die katholische Kirche hierarchisch durchstrukturiert. Es gibt keine der katholischen Kirche analoge Hierarchie. Die zentrale organisatorische Instanz ist die Gemeinde. In ihr sind die einzelnen Personen Mitglied. Welche konkreten Glaubens- und Lebensregeln in einer Gemeinde bindend sind, wie eine Gemeinde ihre Rituale abhält (z. B. ob Männer oder Frauen in der Synagoge getrennt sind, ob Frauen als Rabbinerinnen akzeptiert werden uam.) und wie eine Gemeinde mit dem Spannungsfeld zwischen Moderne und alter religiöser Tradition umgeht, ist ihr selbst überlassen.      

Das ultraorthodoxe (strenggläubige) Judentum

Mea Shearim in Jerusalem (Wikipedia)
Mea Shearim in Jerusalem (Wikipedia)

Sehr strenge (ultraorthodoxe) jüdische Gemeinden gehen auf religiöse Bewegungen in Osteuropa im 16./17. Jh. zurück. Ihre Lebens- und Religionsauffassung steht oft in einem starken Spannungsverhältnis zur Moderne. Die 613 Halacha-Gebote strikt einzuhalten, ist für sie absolute religiöse Pflicht, die nicht "verhandelbar" ist. Dabei stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Regeln nicht. Es geht ausschließlich darum, dass Gott die Einhaltung dieser Regeln ihrer Meinung nach verlangt. Die Gedanken der Aufklärung mit einer fundamentalen Trennung zwischen Staat und Religion, der fundamentalen Gleichheit von Mann und Frau, der "Interpretierbarkeit" religiöser Normen vor dem Hintergrund der Moderne stehen sie ablehnend gegenüber. Die familiäre Ordnung ist streng patriarchal, Empfängnisverhütung wird vielfach abgelehnt, weil der zentrale Lebensinhalt die Religion und die Erfüllung der religiösen Pflichten ist, bewegen sich streng orthodoxe Juden kaum außerhalb ihrer Gemeinden und machen dort auch keine "Karriere".

 

In Israel bilden sie eine starke Minderheit von zirka 20 Prozent. Weil seit 1990 viel ultraorthodoxe Juden aus den ehemals kommunistischen Ländern in Osteuropa in Israel einwandern, nimmt ihre Zahl aber stark zu. Viele ultraorthodoxe Juden leben in eigenen Stadtvierteln v. a. in Jerusalem oder in der Nähe von Jerusalem. Das bekannteste orthodoxe Viertel ist Mea Shearim in Jerusalem. Viele Siedlungen in den besetzten Gebieten der Westbank sind ebenfalls von sehr orthodoxen Juden gegründet worden.

 

Es kommt immer wieder zu Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen ultraorthodoxen und liberalen oder säkularen Juden, z. B. weil ultraorthodoxe Juden militant gegen Menschen vorgehen, die ihrer Meinung nach religiöse Gebote wie das Shabbes-Gebot oder Verhaltensvorschriften für Frauen in der Öffentlichkeit oder Kleidungsvorschriften missachten. Ein Teil von ihnen betrachtet die besetzten Gebiet als Land, "das Gott den Juden verprochen habe", weshalb sie es ablehnen, ihre Siedlungen an die palästinensiche Bevölkerung abzutreten, was die Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern auch nicht gerade einfacher macht. Viele ultraorthodoxe Juden lehnen den Staat Israel als nicht von Gott vorgesehen überhaupt ab (nur der Messias kann nach ihrer Meinung das neue Israel gründen), sie weigern sich Militärdienst zu leisten oder sich sonst gesellschaftlich zu engagieren. Allerdings gibt es mit der Schas-Partei auch eine ultraorthodoxe Partei im israelischen Parlament, der Knesset, die - weil sie oft das "Zünglein an der Waage" zwischen den zwei großen Parteien Likud und Kadima bildet - verhältnismäßig einflussreich ist. Ihr politisches Ziel ist es, die staatlichen Gesetze in Israel religiös zu fundieren, was dem modernen Prinzip der Trennung von Staat und Religion widerspricht. Zu einem heftigen Konflikt gekommen ist es z. B., als die Schas-Partei versucht hat, die Ehegesetze nach den Grundlagen ihres Religionsverständnisses zu verändern, was zu einer rechtlichen Benachteiligung von Frauen geführt hätte.

Das liberale Judentum (Reformjudentum)

Moses Mendelssohn gilt als Vordenker des liberalen Judentums
Moses Mendelssohn gilt als Vordenker des liberalen Judentums

Liberale jüdische Gemeinden bemühen sich um eine Synthese zwischen Moderne und Religion.

 

Grundlage dafür ist die Philosophie der Aufklärung im 18. Jahrhundert, die im wesentlichen Religion als persönliche Angelegenheit definiert und davon ausgeht, dass der einzelne Mensch mittels seines Verstandes selbst in der Lage ist, seine Beziehung zu Gott und seine religiöse Überzeugung zu definieren. Damit verlieren traditionelle religiöse Autoritäten ihr "Deutungsprivileg" in Religionsfragen.  Ein wichtiger Vordenker eines aufgeklärten Judentums ist der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn. 

 

Das Aufklärung geht davon aus, dass die traditionellen jüdischen Gesetze angesichts der Modernisierung der Welt neu gedeutet und neu interpretiert werden dürfen. Sie müssen nicht wortwörtlich befolgt, sondern dürfen sinngemäß gedeutet werden. Insbesondere darf auch jeder einzelne Menschen für sich entscheiden, inwiefern die traditionellen Verhaltensvorschriften für ihn selbst verbindlich sind. Dadurch kommt es zu einer "Aufweichung" der oft sehr strikten Verhaltensregeln, die die Halacha vorschreibt. Diese Entwicklung ist Voraussetzung für die so genannte Emanzipation des Judentums, die im 19. Jahrhundert vor allem in Westeuropa einsetzt. 

 

Typische Merkmale des heutigen liberalen Judentums sind, dass die Trennung von Staat und Religion akzeptiert und Religion als Teil der privaten Lebensgestaltung gesehen wird. Ein starker (und symbolträchtiger) Bruch mit der sehr patriarchalen Tradition ist, dass Frauen und Männer als gleichberechtigt betrachtet werden. Frauen werden im Rabinner-Amt akzeptiert, Mädchen erhalten die Bat Mizwa (im orthodoxen Judentum gibt es nur die Bar Mizwa für Jungen), Frauen und Männer sind in der Synagoge gleichberechtigt sind beten nicht voneinander getrennt. Außerdem darf in der Synagoge auch in der Landessprache gebetet werden und Musik ist im liturgischen Rahmen erlaubt. Die traditionellen jüdischen Verhaltensgebote (z. B. die Speisevorschriften, Shabbat-Vorschriften) werden nicht mehr oder nur in einem "übertragenen Sinn" beachtet. 

orthodoxe Juden, konservative Juden

Konservative Juden und die im Vergleich dazu strengeren orthodoxen Juden stehen zwischen diesen beiden Polen. Sie lehnen die Rückständigkeit der ultraorthodoxen Juden, vor allem was das Leben in einer modernen Welt anbelangt, ab, bleiben in religiösen Fragen aber eher konservativ. Die 613 Halacha-Gebote haben für sie eine größere Verbindlichkeit als für die liberalen Juden. Viele Erneuerungen des liberalen Judentums, z. B. Frauen als Rabinnerinnen, lehnen sie ab. 

Säkulare Juden

Säkulare Juden sind Juden, die im religiösen Sinn gar keine sind. Sie fühlen sich den religiösen Glaubensinhalten und Verhaltensnormen nicht verpflichtet und glauben teilweise auch nicht an einen Gott. Dennoch bekennen sie sich - aus kulturellen und historischen Gründen - zu ihrer jüdischen Identität und zu ihrer jüdischen Herkunft. In den Familien werden die wichtigen jüdischen Festtage begangen, die Kinder lernen die jüdischen Traditionen kennen, allerdings ohne dass sie im Alltag unbedingt praktiziert würden. 

 

Auf den Punkt gebracht hat diese Haltung Sigmund Freud mit seiner Aussage: "Ich bin ein gottloser Jude."


Internetlinks

Wikipedia über das ultrorthodoxe Judentum

Wikipedia über das ultraorthodoxe Stadtvierte Mea Shearim in Jerusalem

FAZ: Artikel über den "Kulturkampf" zwischen ultraorthodoxen Juden und säkularen Juden im Israel

TAZ: Artikel über den "Kulturkampf" zwischen ultraorthodoxen Juden und säkularen Juden in Israel

Hagalil.com über den Unterschied zwischen orthodoxen und ultraorthodoxen Juden

Wikipedia über das liberale Judentum

Webseite der Union Progressiver Juden im Deutschland (liberales Judentum)

Webseite Jung und Jüdisch (liberales Judentum)

Webseite des Abraham-Geiger-Kollegs (Rabbinerausbildung, liberales Judentum)