Anthropozentrische Naturethik

Im Mittelpunkt des anthropozentrischen Ansatzes steht der Mensch. Ihm wird eine Sonderstellung (wegen seiner Vernunftbegabung, wie die Aufklärung sagt, oder wegen seiner Sonderstellung als beseeltes Lebewesen oder als "Ebenbild Gottes", wie die christliche Theologie sagt, eingeräumt. Seine Interessen müssen geschützt werden. Nur der Mensch ist Adressat / Objekt ethischen Handelns. Tierische, pflanzliche und nicht-lebendige Umwelt haben kein Recht und kein Schutzinteresse aus sich heraus. Lediglich als Umwelt für den Menschen sind sie von ethischer Relevanz.

 

Entstanden ist der anthropozentrische Ansatz unter dem Einfluss monotheistischer Religionen (Judentum, Christentum, Islam) und unter der Prämisse, dass Schöpfung auf den Menschen als Ziel ausgerichtet sei (vgl. Genesis) Auch die Aufklärung mit ihrer Annahme, dass Vernunft ein Privileg des Menschen und ein ganz besonderes Attribut sei, fundiert diesen Ansatz philosophisch. Manche Menschen sagen auch, dass es in einem langen historischen Kampf gelungen sei, Menschenrechte (vor allem Menschenwürde) als etwas Grundlegendes durchzusetzen, wäre gefährdet, wenn wir die fundamentale ethische Grenze zwischen Mensch und Tier in Frage stellen würden. 

 

Grundannahme ist, dass der Mensch – egal ob als das am höchsten entwickelte und über Rationalität verfügende Lebewesen oder als von Gott eingesetzter „Herrscher über die Natur“ („Macht euch die Erde untertan“) – die Natur in seinen Dienst stellen dürfe. Kritisch gesehen wird jedoch, dass der Mensch in seinem Bestreben, die Natur zu nutzen, zu weit gegangen sei. Er ist im Begriff, die Natur so exzessiv zu nutzen, dass er sie nachhaltig schädigt und zerstört.


Der fundamentale Unterschied zwischen Mensch und Tier und die Vormachtstellung des Menschen wird mit dessen besonderen humanen Qualtitäten, zum Beispiel mit Leidensfähigkeit, Lebenswille, Bewusstsein, Ich-Bewusstsein. Vernunft, Seele, Individualität, Ich-Gefühl, Selbstreflexion, Selbstwertgefühl, Würde, Sprache begründet.


Tier- und umweltethische Fragen sind also deshalb relevant, weil der Mensch ein großes Interesse haben muss, die Natur zu schützen, wenn er nicht seine eigene Lebensgrundlage zerstören will.

 

Der Mensch darf (und soll) in die Natur eingreifen, wenn dies für den Menschen selbst keine schädlichen Folgen hat oder wenn die positiven Folgen eindeutig überwiegen. Er soll seine technischen Möglichkeiten und seine Intelligenz nutzen, um die Natur auf eine für ihn selbst nicht schädliche Art zu gebrauchen und zu nutzen. Nicht erlaubt ist es, mit Tieren und mit der Natur so umzugehen, dass einige wenige (z. B. Unternehmen, Shareholder) ihre Gewinne maximieren, während die meisten anderen Menschen (als Konsumenten oder als Menschen, die gerne in einer intakten Natur leben möchten) dafür die Nachteile in Kauf nehmen müssen. Es ist also aus dieser Perspektive ein ethisches "No-Go", Tieren aus Gründen der Gewinnmaximierung Hormone ins Futter zu mischen oder Wasser und Luft mit Emissionen zu belasten, wodurch Kinder Asthma entwickeln oder wodurch Allergien zunehmen. Kein Problem ist es hingegen aus dieser Perspektive, Tiere als Versuchstiere zu verwenden (eher im Gegenteil, es schützt ja die Menschen) oder Abfälle dort endzulagern, wo keine Menschen leben. 

 

Im Rahmen des anthropozentrischen Ansatzes ließe sich zum Beispiel argumentieren, dass der Mensch die Luftschicht der Erde nicht zerstören dürfe, weil dadurch das Krebsrisiko steige. Eine intakte, naturnahe Umwelt brauche der Mensch für seine Erholung. Die Artenvielfalt dürfe nicht zerstört werden, weil sie für den Menschen ein wichtiges Gen-Reservoir darstelle. Umweltgifte seien zu vermeiden, weil sie über die Nahrungskette in den menschlichen Körper gelangen können etc.


Die philosophischen Wurzeln der anthropozentrischen Ethik

 

Meistens führt man die anthropozentrischen ethischen Ansätze auf die philosophische Theorie des französischen Philosophen Rene Descartes (1596 bis 1650) zurück. Er gilt als zentraler Vordenker der Aufklärung. Und er erklärt, dass es einen ganz fundamentalen Unterschied zwischen Geist (für ihn: Denken) auf der einen Seite und Körperlichem auf der anderen Seite gebe. Nur der Mensch verfüge über Denken. Und eine Lebewesen, das nicht Denken könne - also das Tier - sei im Wesentlichen nichts anderes als eine etwas komplexere Maschine. Descartes Anhänger denken diese Idee dann weiter. Und sie gehen teilweise so weit, das Schreien von Tieren, denen Schmerzen zugefügt werden, mit dem Quitschen von rostigen Maschinen gleichzusetzen. Das Tier wird zum Objekt; unter anderem zum Versuchsobjekt, das - zum höheren Zweck der wissenschaftlichen Erkenntnis - beliebig untersucht, erforscht, manipuliert oder getötet werden darf. Es hat in dieser Denklogik keinen Wert an sich. Es ist einfach nur Ware, Besitz. 


Auch Immanuel Kant (1724 – 1804) argumentiert anthropologisch. Immerhin meint er, dass Tiere nicht grausam behandelt werden dürfen. Aber er begründet seine Position anthropozentrich, wenn er sagt, dass sonst die Moralität des Menschen geschwächt bzw. zerstört werde. Ein Mensch, der gegen Tiere grausam sei, werde auch gegen Menschen grausam handeln.


Die anthropozentrische Sichtweise kommt der sich entwickelnden Wissenschaft (Medizin, Chemie, Biologie, Psychologie, Technik) sehr entgegen. Denn so hat man billige Versuchs- und Forschungsobjekte in praktisch unbegrenzter Zahl zur Verfügung. Die anthropozentrische Sichtweise kommt auch der Industrialisierung entgegen. Denn auch dort hat man ein großes Interesse daran, das Tier unter der Perspektive des Produktionsmittels oder als Ware zu behandeln. So dauert es dann bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, bis die anthropozentrische Ethik stärker in die Defensive gerät. 


beute berufen sich Verteidiger des anthropozentrischen Ansatzes  auf die Notwendigkeit, zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Interessen zu differenzieren, weil sonst eine Abwertung des Menschen drohe; – wie beispielsweise im Nationalsozialismus, wo der Mensch / menschliches Leben nach Nützlichkeitsüberlegungen bewertet worden ist.

 

Auch argumentieren Verteidiger dieses Ansatzes, dass ein anthropozentrischer umweltethischer Ansatz politisch am leichtesten durchzusetzen sei. Andere Ansätze seien zwar "ehrenwert", aber politisch nicht mehrheitsfähig. 

 


Die Kritik am anthropozentrischen Ansatz

 

Ein zentraler Kritikpunkt am anthropozentrischen Ansatz ist, dass gerade die moderne Biologie  - Evolutionstheorie, Genforschung, Verhaltensforchung - zeigt, dass die Unterschiede zwischen Mensch und Tier wesentlich kleiner sind als die jüdisch-christiliche Tradition und die Aufklärung behaupten. Hominiden (also Menschenaffen: Gorillas, Orang Utangs, Schimpansen) haben 98 Prozent des genetischen Pools mit den Menschen gemeinsam. Schimpansen können eine intellektuelle und sprachliche Entwicklung erfahren, die in etwa dem Entwicklungsstand eines zweijährigen Kindes entspricht. Höhere Säugetiere sind zu Kulturleistungen auf einfachem Niveau (also z. B. zu kulturellem Lernen) fähig. 


Umgekehrt ist auch klar, dass dem Menschen zugeschriebene Fähigkeiten wie Intelligenz, Selbst-Bewusstsein, Reflexionsfähigkeit, … auch bei Menschen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist oder sein kann. Embryonen im Frühstadium haben diese Fähigkeiten nicht.  Menschen mit schweren geistigen Behinderungen oder Demenzerkrankungen oder Menschen, die im Koma sind, haben sie nur eingeschränkt oder nur teilweise. 

 

Auch wird betont, dass die meisten Menschen in Tieren intuitiv mehr als ein Objekt / eine seelenlose Sache sehen. Nur durch den modernen industrialisierten und entfremdeten Umgang mit Tieren (z. B. in der Massentierhaltung) sei diese Empathie verloren gegangen.

 

Auch betone die christlich-jüdische Tradition die Mitgeschöpflichkeit der Umwelt, insbesondere der Tiere.

Manche Biologen und Ethiker vertreten deshalb die Meinung, dem Menschen eine absolute ethische Sonderstellung einzuräumen, sei argumentativ unhaltbar. Es handle sich beim anthropozentrischen Ansatz um eine Art ethischen Rassismus, der Ausbeutung von Natur und Tieren rechtfertigen solle. Den Ansatz selbst bezeichnen sie als Spzezismus. Der bekannteste (und umstrittenste) Vertreter dieser Kritiker einer anthropozentrischen Ethik ist der australische Philosoph Peter Singer

 

Entwicklungen 


Auch wenn die verschiedenen Positionen heute nebeneinander existieren, sind inzwischen v. a. Standards im Umgang mit Primaten und Walen / Delphinen definiert worden, die international weitgehend eingehalten werden:

 

  • Menschenaffen, Walen und Delphinen wird ein Überlebensinteresse und ein Interesse, den Tod nicht fürchten zu müssen, zugeschrieben. Das ist die Grundlage für Tierschutz-Abkommen (die dann aber auch wieder nicht von allen eingehalten / mitgetragen werden)
  • Es besteht ein relativ großer Konsens, dass Tieren kein Leid zugefügt werden darf, wenn sie in ähnlicher Weise wie der Mensch über Zukunfts- und Selbstbewusstsein verfügen. Ausnahme kann evenutell sein, dass ein extremer Interessenskonflikt zwischen menschlichen Interessen und tierischen Interessen in der Erforschung von Medikamenten besteht. Nur wenn keine Alternativen existieren, dürfen wissenschaftliche Versuche mit M.affen unter bestimmten Bedingungen durchgeführt werden. Allerdings dürfen keine wilden Tiere eingefangen werden, es ist auf artgerechte Haltung zu achten und die Tiere dürfen, wenn die Versuchsreihe beendet ist, nicht getötet werden. 
  • Manche Staaten sprechen Menschenaffen in ihren Tierschutzrechten eine Art Würde in eingeschränkter Form zu. Das heißt, dass diese Tiere nicht getötet werden dürfen, dass sie nicht zu Versuchen verwendet werden dürfen, ...
  • Tierschutzgesetze in westlichen Ländern gehen heute grundsätzlich davon aus, dass Tiere keine Ware sind. Wer Tiere hält, hat für diese Tiere auch eine Verantwortung. Tiere haben ein Recht auf artgerechte Lebensbedingungen und auf (weitestgehende) Schmerzfreiheit. 
  • Tierschützer sagen heute, dass Haustiere (Katzen, Hunde, ...) in westeuropäischen Staaten sehr gut geschützt sind. So dürfen Haustiere nicht "einfach so" getötet werden. Oder es sind "Qualzüchtungen" verboten worden. Oder Hauskatzen müssen kastriert werden, damit sie sich nicht zu stark vermehren, was dann wiederum zu Tötungen oder Aussetzungen führen würde.
  • Tierschützer sagen aber auch, dass viele Nutztiere nach wie vor viel zu wenig geschützt seien. 
  • Und durch den internationalen Freihandel besteht die Gefahr, dass sich diejenigen durchsetzen, die am wenigsten Wert auf Tierschutz legen. Weil sie so billiger produzieren können. 

Arbeitsaufgaben

A1: Überlege, wie Vertreter einer anthropozentrischen Ethik im Hinblick auf folgende Themen argumentieren werden. Was wären mögliche Einwände gegen die Positionierungen? 

 

  • Massentierhaltung für die Fleischproduktion,
  • Hochzüchten von Kühen zur Vergrößerung der Milchleistung,
  • Tierversuche mit „niederen Säugern“, z. B. Mäusen, zur medizinischen Forschung,
  • Tierversuche mit Primaten zur Erforschung eines Medikaments gegen Aids,
  • Pelztierzucht für die Erzeugung von luxuriösen Pelzmänteln
  • CO2-Ausstoß durch Autoverkehr und Industrie 
  • Feinstaubbelastung durch Verkehr und Hausbrand
  • Abholzung der tropischen Regenwälder,
  • Erschließung alpiner Gebiete mittels Liftanlagen / …

 

A2: Welche Vorteile bzw. Stärken hat eine anthropozentrische Natur-Ethik?

 

A3: Welche Nachteile bzw. Schwächen hat eine anthropozentrische Natur-Ethik?


A4: §1 des österreichischen Tierschutzgesetzes lautet: "Ziel dieses Bundesgesetzes ist der Schutz des Lebens und des Wohlbefindens der Tiere aus der besonderen Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf." Ist diese Formulierung anthropozentrisch? Oder ist sie nicht anthropozentrisch? 


A5: Suche im österreichischen Tierschutzgesetz (z. B. hier) nach Bestimmungen, die über den anthropozentrischen Ansatz hinausgehen. 


A6: Suche im österreichischen Tierschutzgesetz (z. B. hier) nach Bestimmungen und Formulierungen, die eine anthropozentrische Perspektive haben. 


A7: Betrachte die Bilder am Anfang der Seite. Reflektiere, ob und inwiefern sie eine anthropozentrische umweltethische Perspektive haben. 

Internetquellen

  • Wikipedia über anthropozentrische Ethik
  • Wikipedia über Speziezismus
  • SWR2 Aula: Radiosendung mit der Grundthese, dass Mensch und Tier sich nur graduell unterscheiden (wissenschaftliche Grundlage für Kritik am Anthropozentrismus)