J. P. Sartre und das Thema der Freiheit

Biographisches

Sarte wird 1905 als Sohn eines Marineoffiziers in Paris geboren; nach dem Tod des Vaters (1907) kommt Sarte zu seinen Großeltern, diese Zeit ist nach seinen Aussagen durch ein Grundgefühl der Fremdheit, des Nur-Geduldet-Seins geprägt. Sartre führt sein das spätere Fehlen des Gefühls für Besitz und  Eigentum sowie das Grundthema, dass die menschliche Existenz einem nicht geschenkt sei und dass man sich dafür ständig  rechtfertigen müsse, auf das Klima im Haus seines Großvaters zurück.

Der Großvater weckt die Liebe zum Theaterspielen und zur Literatur; beides ist allerdings mit Leistungsanspruch verbunden; 1916 endet mit der Wiederverheiratung der Mutter der Aufenthalt im Haus des Großvaters; 1924 bis 1928 absolviert Sartre sein Studium an der Pariser Sorbonne und gehört dort zu den besten Studenten; in diese Zeit fällt der Beginn der lebenslangen Freundschaft mit Simone de Beauvoir (1911 – 1980). Nach dem Studium wird Sartre Lehrer für Philosophie; Zeitweise studiert er in Deutschland bei den Existenzphilosophen Edmund Husserl und Martin Heidegger.


Während des 2. Weltkriegs arbeitet er in der Widerstandsbewegung;  in dieser Zeit lernt er Albert Camus (1913 – 1960) kennen. Nach 1945 arbeitet Sartre als Schriftsteller; er gründet die politisch-literarische Zeitschrift "Le Tempes Moderne"; der Versuch, eine nicht-kommunistische linke Partei zu gründen, scheitert; er bleibt KP-Mitglied, kritisiert aber immer wieder den Stalinismus, z. B. während der Ungarnkrise 1956. 


1964 erhält Sartre den Nobelpreis für Literatur. Aber er nimmt ihn nicht an; mit der Begründung, es handle sich beim Nobelpreis um den Auswuchs bürgerlichen Literarurverständnisses, das er ablehne.


Sartre lebt mit Beauvoir in einer offenen, nichtlegitimierten Beziehung, was in den prüden und konservativen 50er-Jahren als Skandal gilt und Sartre und Beauvoir zu Schreckfiguren des konservativen Bürgertums macht. 


Für die Studentenbewegung der 68er-Generation sind Sartre und Beauvoir sowohl im Hinblick auf ihr Denken als auch im Hinblick auf ihre Lebensweise zentrale Leitfiguren. Dass Sartre und Beauvoir sich von linken Diktatoren hofieren lassen und dass Sartre die RAF Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof im Gefängnis in Stammheim besucht, führt zu heftigen Kontroversen.


1980 stirbt Sartre in Paris

zentrale Themen und Ideen

  • Zentral im Denken Sartres ist die These, dass unsere Existenz "gespielt" wird, dass jeder Mensch sich selbst spielen, eine Rolle übernehmen muss, um überhaupt existieren zu können.

  • Eine weitere These ist, dass der Bezug zu anderen Menschen primär durch das Angeblickt-Werden und durch das Beurteilt-Werden bestimmt ist; Menschliches Handeln ist nach ihm durch die Furcht vor dem Außgestoßen-Werden geprägt

  • Sartres Denken ist gekennzeichnet durch eine radikale aggressive Ablehnung des Bürgertums, also des Milieus, aus dem er selbst stammt (Lebensgemeinschaft m. S. d. Beauvoir als "Gegenmodell")

  • Die Leitthemen in seiner Philosophie und Literatur leiten sich aus den Begriffen „Verantwortung“ und „Freiheit“ ab.

  • Sartres Philosophie ist konsequent atheistisch: "Die Hölle, das sind die anderen" "Die Hölle, das sind wir selbst." ("Bei geschlossenen Türen")

  • Sartre vertritt einen radikalen Freiheitsbegriff. Freiheit ist für ihn der Kern der menschlichen Existenz überhaupt: "Der Mensch ist verurteilt, frei zu sein."

  

Der Freiheitsbegriff bei Sartre

"Der Mensch ist verurteilt frei zu sein" ist eine der bekanntesten Aussagen Sartres. Tatsächlich zieht sich die Auseinandersetzung mit der Frage nach der menschlichen Freiheit wie ein Roter Faden durch das Werk Sartres.

 

"Der Mensch ist verurteilt frei zu sein" zeigt, dass Sartre dem Freiheits-Begriff eine tiefere Bedeutung gibt, als dies z. B. in den philosophischen Theorien der Aufklärung der Fall ist, in denen Freiheit als Grundwert oder Grundrecht definiert und damit grundlegend positiv bewertet wird.


"Der Mensch ist verurteilt frei zu sein" bedeutet u. a.

 

  • ... dass Freiheit für den Menschen wesensbestimmend ist. Freiheit gehört zum Kern menschlicher Existenz. Wir können diese Freiheit nicht loswerden oder abwählen. Sie begleitet und bestimmt uns allein aufgrund der Tatsache, dass wir Menschen sind. 

  • ... dass Freiheit nicht nur im Sinn eines Rechtsanspruchs positiv bestimmt ist. Vielmehr ist Freiheit in vielen Bereichen auch eine Last, die ein Mensch auf sich nehmen und tragen muss, ob er dies will oder nicht

  •  ... dass Freiheit die unmittelbare Voraussetzung dafür ist, dass wir über Verantwortung überhaupt nur sinnvoll nachdenken können. Nur wenn wir zugeben, dass der Mensch in seinem Verhalten frei ist, dass er also die Wahl gehabt hat und auch anders hätte wählen können, können wir ihn für dieses Verhalten auch zur Verantwortung ziehen. Dass der Mensch wählen kann und daher verantwortlich ist, unterscheidet ihn fundamental von anderen nicht-menschlichen Lebewesen.

  •  ... dass der Freiheitsbegriff Sartres äußerst radikal ist. Es gibt für Sartre praktisch keine Lebenssituation, in der der Mensch nicht die Wahl hätte (und damit nicht für sein Handeln verantwortlich wäre). Das gilt sowohl für die Willensfreiheit als auch für die Handlungsfreiheit

 

Anmerkung zur Unterscheidung zwischen Willens- und Handlungsfreiheit in der Philosophie: 

 

Unter Willenfreiheit versteht man etwas "Inneres", vor allem die Haltung, mit der ein Mensch einem bestimmten Schicksal - beispielsweise dem Schicksal, in einer Diktatur zu leben, oder dem Schicksal der Arbeitslosigkeit Willensfreiheit - gegenübertritt. Wie der Mensch auf sein Schicksal reagiert, bestimmt vor allem seine Identität. Willensfreiheit ist Sartre zufolge unabdingbar. Sie kann unter keinen Umständen verloren gehen.

 

Unter Handlungsfreiheit versteht man etwas "Äußeres", also die Möglichkeit, zwischen mindestens zwei Handlungsalternativen wählen zu können. Sartre gibt zu, dass die Handlungsfreiheit - beispielsweise in diktatorischen Systemen - extrem eingeschränkt werden kann. Aber er behauptet, dass es fast keine Situation gebe, in der wir nicht eine Wahl haben, auch wenn das oft eine harte und extrem unangenehme Wahl sein kann. Und wenn wir immer wählen können, haben wir auch immer

Textfragmente: Sartre und das Thema der Freiheit

Textauszug 1: "Frei sein, sein Los zu wählen"

 

... Wenn wir sagen, dass ein Arbeitsloser frei ist, so wollen wir damit nicht sagen, dass er tun und lassen kann, was er will, und sich augenblicklich in einen reichen und friedlichen Bürger verwandeln kann. Er ist frei, weil er immer wählen kann, ob er sein Los in Resignation hinnimmt oder sich dagegen auflehnt. Natür­lich wird es ihm nicht gelingen, aus dem Elend herauszukommen, aber mitten in diesem Elend, an dem er klebt, kann er wählen, in seinem Namen und im Namen aller anderen gegen alle Formen des Elends zu kämpfen; er kann wählen, der Mensch zu sein, der es ablehnt, dass das Elend das Los der Menschen sei.["Der Existentialismus ist ein Humanismus"]

 

Textauszug 2: Freiheit und Dikatur

 

Niemals sind wir freier gewesen als unter der deutschen Besatzung. Wir hatten alle unsere Rechte verloren und vor allem das Recht zu sprechen; man spottete uns jeden Tag ins Gesicht, und wir mussten schweigen; man deportierte uns in Massen als Arbeiter, als Juden, als politische Gefangene; überall an den Mauern, in den Zeitungen, auf der Leinwand begegneten wir dem abscheulichen und faden Gesicht, das unsere Unterdrücker uns von uns selbst geben wollten; aufgrund all dessen waren wir frei. Da das Nazigift sich bis in unser Denken einschlich, war jeder richtige Gedanke eine Eroberung; da eine allmächtige Polizei versuchte, uns zum Schweigen zu zwingen, wurde jedes Wort kostbar wie eine Grundsatzerklärung; Da wir verfolgt waren, hatte jede unserer Gesten das Gewicht eines Engagements. [Interviewauszug; Quelle?]

 

Bsp. 3: Absolute Verantwortlichkeit als Konsequenz unserer Freiheit:

 

Die wesentliche Konsequenz (...) ist, dass der Mensch, dazu verurteilt, frei zu sein, das Gewicht der gesamten Welt auf seinen Schultern trägt: er ist für die Welt und für sich selbst als Seinsweise verantwortlich. Wir nehmen das Wort "Verantwortlichkeit" in seinem banalen Sinn von "Bewusstsein davon, der unbestreitbare Urheber eines Ereignisses oder eines Gegenstandes zu sein" (...), denn die schlimmsten Übel oder die schlimmsten Gefahren, die meine Person zu treffen drohen, haben nur durch meinen Entwurf einen Sinn; und sie erscheinen auf dem Grund des Engagements, das ich bin. Es ist also unsinnig, sich beklagen zu wollen, weil ja nichts Fremdes darüber entschieden hat, was wir fühlen, was wir erleben oder was wir sind. Diese absolute Verantwortlichkeit ist übrigens keine Hinnahme: sie ist das bloße logische Übernehmen der Konsequenzen unserer Frei­heit. Was mir zustößt, stößt mir durch mich zu, und ich könnte weder darüber bekümmert sein noch mich dagegen auflehnen, noch mich damit abfinden. So gibt es keine Zwischenfälle in meinem Leben; ein gesellschaftliches Ereignis, das plötzlich ausbricht und mich mitreißt, kommt nicht von außen; wenn ich in einem Krieg eingezogen werde, ist dieser Krieg mein Krieg, er ist nach meinem Bild und ich verdiene ihn. Ich verdiene ihn zunächst, weil ich mich ihm immer durch Selbstmord oder Fahnenflucht entziehen könnte: Diese letzten Möglichkeiten müs­sen uns immer gegenwärtig sein, wenn es darum geht, eine Situation zu be­trachten. Da ich mich ihm nicht entzogen habe, habe ich in gewählt; das kann aus Schlaffheit, aus Feigheit gegenüber der öffentlichen Meinung sein, weil ich bestimmte Werte sogar der Weigerung, in den Krieg zu ziehen, vorziehe (die Achtung meiner Nächsten, die Ehre meiner Familie usw.). Jedenfalls handelt es sich um eine Wahl. Diese Wahl wird in der Folge bis zum Ende des Krieges fort­gesetzt wiederholt werden.

 

Wenn ich also dem Tod oder der Entehrung den Krieg vorgezogen habe, dann geschieht alles so, als wenn ich die gesamte Verantwortung für diesen Krieg trüge. Gewiss, andere haben ihn erklärt und man wäre vielleicht versucht, mich als bloßen Komplizen zu betrachten. Aber dieser Begriff der bloßen Komplizen­schaft hat nur einen juristischen Sinn; hier hält er nicht stand; denn es hat von mir abgehangen, dass für mich und durch mich dieser Krieg nicht existiere, und ich habe entschieden, dass er existiert. Es hat keinerlei Zwang gegeben, denn Zwang könnte keinerlei Einfluss auf eine Freiheit haben; ich habe keinerlei Entschuldigung gehabt, denn wie wir in diesem Buch gesagt und oft wiederholt haben, ist es die Eigenart der menschlichen Realität, dass sie ohne Entschuldi­gung ist. Es bleibt mir also nur, diesen Krieg zu übernehmen. Aber außerdem ist es meiner, denn allein dadurch, dass er in einer Situation auftaucht, die ich sein mache, und dass ich ihn nur in ihr entdecke, indem ich mich für oder gegen ihn engagiere, kann ich jetzt die Wahl, die ich von mir mache, nicht mehr unter­scheiden von der Wahl, die ich von ihm mache: Diesen Krieg erleben heißt durch ihn mich wählen und durch meine Wahl meiner selbst ihn wählen. Es kann gar nicht in Frage kommen, ihn als "vier Jahre Ferien", oder als "Aufschub", oder als "Sitzungspause" zu betrachten, weil das Wesentliche meiner Verantwortung woanders liegt, in meinem Ehe-, Familien-, Berufsleben. Sondern in diesem Krieg, den ich gewählt habe, wähle ich mich Tag für Tag, und ich mach ihn zu meinem, indem ich mich mache. Wenn er vier leere Jahre sein soll, trage ich dafür die Verantwortung: "Man hat den Krieg, den man verdient." Total frei also, muss ich ohne Gewissensbisse und ohne Bedauern sein, wie ich ohne Entschuldigung bin, denn vom Augenblick meines Auftauchens zu Sein an trage ich das Gewicht der Welt für mich ganz allein, ohne dass irgend etwas noch irgend jemand es erleichtern könnte.

 

Aber die meiste Zeit fliehen wir vor der Angst in die Unaufrichtigkeit

["Das Sein und das Nichts"]
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Kommentar zum Freiheitsbegriff bei Sartre


Arbeitsaufgaben

A1: Fasse die Grundposition Sartres in den drei Texten stichwortartig zusammen. Welchen entstehungsgeschichtlichen Hintergrund wird Sartres Position haben (vgl. Biographie)? Gegen welche Position bzw. Argumentatoin ist er u. a. auch gerichtet?

A2: "Es hat keinerlei Zwang gegeben, denn Zwang könnte keinerlei Einfluss auf eine Freiheit haben; ich habe keinerlei Entschuldigung gehabt, denn es (ist) die Eigenart der menschlichen Realität, dass sie ohne Entschuldigung ist." Wie ist dieser Satz zu verstehen? Stimmst du zu? Inwiefern? Inwiefern nicht?

A3: Ein Soldat, der sich für den Krieg entscheidet, anstatt Suizid oder Fahnenflucht zu begehen, hat diesen Krieg gewählt. Er trägt daher die Verantwortung für diesen Krieg.

  • Wie könnte diese sehr radikale Position Sartres zu verstehen sein? Was könnte es bedeuten, Verantwortung für einen Krieg, für den man sich entschieden hat, zu übernehmen?
  • Wie wäre die radikale Gegenposition zu Sartres Feiheits- und Verantwortugnsverständnis? Welche Konsequenzen hätte sie?
  • Übertrage die Position Sartres auf verschiedene historische oder aktuelle Ereignisse (z. B. Zweiter Weltkrieg - Nationalsozialismus, Faschismus; Serbien-Kosovo-Krise, ....)

A4: "Die schlimmsten Übel oder die schlimmsten Gefahren, die meine Person zu treffen drohen, haben nur durch meinen Entwurf einen Sinn; und sie erscheinen auf dem Grund des Engagements, das ich bin." 

  • Versuche, diesen Satz in einen wahrnehmungspsychologischen / tiefenpsychologischen Zusammenhang zu stellen.
  • Wie ließe sich der Satz auf Probleme in der modernen Gesellschaft (z. B. Umweltproblematik, ....) übertragen?

 

Mindmap: Freiheit als Voraussetzung für Verantwortung
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Internetlinks, Quellen: