Albert Camus und die Frage nach dem Sinn

Biographisches

Geboren wird Camus 1913  im heutigen Algerien als Sohn eines einfachen Landarbeiters französischer Abstammung. Der Vater fällt 1914 im Ersten Weltkrieg. Die Mutter leidet seit ihrer Kindheit an Gehörlosigkeit und einer deutlichen Sprachbehinderung. Sie ist Analphabetin und verdient den Lebensunterhalt als Putzfrau. Diese "Welt der Armut" hat Camus nie vergessen.


In den 30er-Jahren studiert Camus an der Universität von Algier u.a. Philosophie. 1934 tritt Camus in die Kommunistische Partei ein, die er bald wieder aus Protest gegen die Araberpolitik wieder verlässt. Nach dem Studium arbeitet Camus in verschiedenen Berufen (Verkäufer, Privatlehrer, ...) und wird 1938 Journalist; er geht nach Paris und arbeitet für linksgerichtete Zeitungen. In dieser Zeit beginnt auch die Bekanntschaft mit J. P. Sartre, den er bei seiner Arbeit für eine Untergrundzeitung kennen lernt.


1957 erhält Camus den Nobelpreis für Literatur, den er im Unterschied zu Sartre auch annimmt.


1960 stirbt Camus bei einem Autounfall: Camus fährt mit seinem Cabrio ungebremst gegen einen Baum; die näheren Umstände dieses Unfalls bleiben ungeklärt


wichtige Werke: 

  • Der Fremde (Roman)

  • Die Pest (Roman)

  • "Der Mythos des Sisyphos" (Essay)
  • "Der Mensch in der Revolte" (Essay)


Zentrale Ideen im Werk Camus

 

Camus zentrales Anliegen ist es, die Grundwidersprüche des menschlichen Daseins darzustellen und zu zeigen, wie sie im Leben bewältigbar sind (Wie kann der Mensch die dem Leben implizierten Widersprüche und Spannungen aushalten, ohne am Leben zu verzweifeln?)


Camus Denken ist bildhaft, deshalb knüpft er in zentralen Gesichtspunkten an antiken mythischen Figuren wie Sisyphos oder Prometheus an. Sie sind für ihn Archetypen, das heißt: Grundfiguren, die das menschliche Dasein verkörpern

 

  • Der Mythos von Sisyphos (Essay) ==> zentrale Figur: Sisyphos, der ohne an sein Ziel zu kommen den Felsbrocken den Berg hinaufschleppt und trotzdem (oder gerade deshalb) ein glücklicher Held ist
  • Der Mensch in der Revolte (Essay) ==> zentrale Figur: Prometheus, der gegen die Götter revoltiert und den Menschen das Feuer bringt

 

Der Mythos des Sisyphos

Der antike Sisyphos

Sisyphos ist in der griechischen Mythologie Erbauer und erster König von Korinth. Er zeichnet sich als Meister von List und Tücke aus und geht als einer der großen Frevler gegen die Götter in die Geschichte ein. Neben vielen anderen Missetaten gelingt es ihm, Thanatos (den Tod) in seine Gewalt zu bringen, sodass niemand auf der Erde mehr sterben kann, bis Ares den Tod befreit. Vor seinem eigenen Tod untersagt er seiner Gattin Merope, ihn zu bestatten, um sich dann im Hades über den Frevel seiner Frau zu beklagen und zu erzwingen, auf die Oberwelt zurückzudürfen, um seine Gattin zu bestrafen. In Wirklichkeit hat er nur einen Vorwand gesucht, um dem Hades zu entfliehen. Als er schließlich im hohen Alter doch noch stirbt, erwartet ihn im Hades eine harte Strafe für seinen gottlosen Lebenswandel: Er muss in alle Ewigkeit einen schweren Felsbrocken den Berg hinaufschleppen. Wegen seines enormen Gewichts verlassen Sisyphos kurz vor dem Ziel seine Kräfte und der Stein rollte ins Tal zurück. Sisyphos muss von vorne beginnen. Und das in alle Ewigkeit.

 

Die Interpretation des antiken Mythos durch Camus


Die Götter hatten Sisyphos dazu verurteilt, unablässig einen Felsblock einen Berg hinaufzuwälzen, von dessen Gipfel der Stein von selbst wieder hinunterrollte. Sie hatten mit einiger Berechtigung bedacht, dass es keine fürchterlichere Strafe gibt als eine unnütze und aussichtslose Arbeit. (...)


Dieser Mythos ist tragisch, weil sein Held bewusst ist. Worin bestünde tatsächlich seine Strafe, wenn ihm bei jedem Schritt die Hoffnung auf Erfolg neue Kraft gäbe? Heutzutage arbeitet der Werktätige sein Leben lang unter gleichen Bedingungen, und sein Schicksal ist genauso absurd. Tragisch ist es aber nur in den wenigen Augenblicken, in denen der Arbeiter bewusst wird. Sisyphos, der ohnmächtige und rebellische Prolet der Götter, kennt das ganze Ausmaß seiner unseligen Lage: über sie denkt er während seines Abstiegs nach. Das Wissen, das seine eigentliche Qual bewirken sollte, vollendet gleichzeitig seinen Sieg. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann. (...)


Und nun fällt ein maßloses Wort: "Allen Prüfungen zum Trotz - mein vorgerücktes Alter und die Größe meiner Seele sagen mir, dass alles gut ist." So formuliert der Ödipus des Sophokles (...) den Sieg des Absurden.


Darin besteht die ganze verschwiegene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. (...)

Wenn es ein persönliches Geschick gibt, dann gibt es kein übergeordnetes Schicksal oder zumindest nur eines, das er unheilvoll und verächtlich findet. Darüber hinaus weiß er sich als Herr seiner Zeit. Gerade in diesem Augenblick, in dem der Mensch sie wieder seinem Leben zuwendet (...) betrachtet er die Reihe unzusammenhängender Taten, die sein Schicksal werden, seine ureigene Schöpfung, die in seiner Erinnerung geeint ist und durch den Tod alsbald besiegelt wird. Überzeugt von dem rein menschlichen Ursprung alles Menschlichen, ist er also immer unterwegs - ein Blinder, der sehen möchte und weiß, dass die Nacht kein Ende hat. Der Stein rollt wieder.


Ich verlasse Sisyphos am Fuße des Berges. Seine Last findet man immer wieder. Nun lehrt Sisyphos uns die größere Treue, die die Götter leugnet und die Steine wälzt. Auch er findet, dass alles gut ist. Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jedes Gramm dieses Steins, jeder Splitter dieses durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Helden vorstellen.


(A. Camus: Der Mythos des Sisyphos)

Arbeitsaufgaben zum Text

A1: Wie unterscheidet sich Camus Interpretation des Mythos von Sisyphos sich vom antiken Vorbild? Was ist gemeinsam? Inwiefern unterscheidet sich Camus Sisyphos wesentlich vom antiken Vorbild? 

A2: Sisyphos kann seinem Schicksal - nämlich der Strafe, den Stein zu schleppen - nicht entkommen. Worin besteht dennoch seine Freiheit? Wie geht Sisyphos Camus zufolge mit dieser Freiheit um?
 
A3: Camus geht von der Grundüberlegung aus, dass dem Menschen angesichts der letztendlichen Vergeblichkeit alles seines Tuns sein Leben sinnlos erscheinen müsste. Welche Auswege gäbe es aus dieser Situation grundsätzlich? Welceh Auswege lehnt er offenbar ab? Welchen schlägt Camus am Bespiel Sisyphos' vor?

A4: Das Leben des modernen Menschen ist Camus zufolge v.a. durch Absurdität gekennzeichnet. Was bedeutet "absurd"? Inwiefern ist das Leben, das Sisyphos führt, "absurd"? Inwiefern ähnelt es in dieser Hinsicht dem Leben von Menschen in der modernen Welt? Was hilft Sisyphos und den Menschen Camus Meinung zufolge, diese Absurdität auszuhalten? 

A5: Wir dürfen uns Sisyphos Camus zufolge als glücklichen Helden vorstellen. Worin besteht sein Glück? Was für eine Vorstellung von Glück hat Camus offenbar?

A6: Der Roman "Die Pest" gilt in der Kritik als der "optimistischste" Text Camus. Der Protagonist Bernard Rieux hat einige Ähnlichkeiten mit Sisyphos. Worum geht es in dem Roman? Wer ist Rieux? Inwiefern ähnelt seine Situation der des Sisyphos? Mit welchen grundlegenden existentiellen Erfahrungen wird er konfrontiert? Auf welche anderen sozialen und politischen Situationen ließe sich die Kernaussage übertragen? 
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Der Mythos von Sisyphos. LV
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Literatur, Quellen: