Die Frage nach einem gelingenden Leben...

Die Philosophie auf der Suche nach dem Glück ...

Diogenes von Sinope (besser bekannt als Diogenes in der Tonne), Bildquelle: Wikipedia
Diogenes von Sinope (besser bekannt als Diogenes in der Tonne), Bildquelle: Wikipedia

Philosophie in der Tradition der klassischen griechischen Philosophen, insbesondere in der Tradition von Platons Ideenlehre und Aristoteles' Metaphysik gilt lange Zeit als sehr theoretische Disziplin. Doch in der Philosophie gibt es auch Traditionen, die sich der ganz konkreten Frage nach dem guten oder gelingenden oder dem glücklichen Leben stellen. Manchmal fasst man diese Traditionen und Denkschulen unter dem Begriff "Lebensphilosophie" zusammen. 

 

Teilweise versuchen VertereterInnen dieser lebenspraktischen Philosophie ihre Vorstellungen von einem guten Leben eher durch ihre konkrete Lebensweise als durch komplexe Theorien sichtbar zu machen.

 

In diese "Ahnengalerie" könnte man z. B. auch Sokrates reihen, der ja selbst nichts Schriftliches verfasst hat und vor allem dafür bekannt ist, dass er auf den Straßen und Plätzen Athens und bei Festgelagen andere Menschen zum selbständigen Nach-Denken anregen wollte und selbst mit seinem Lebenswandel Werte "jenseits bürgerlicher Tugenden" vorgelebt hat. 

 

In diese "Ahnengalerie" gehört auch der etwas weniger bekannte und eher übel beleumundete Diogenes von Sinope. Er könnte als einer der ersten konsequenten gesellschaftlichen Aussteiger betrachtet werden. Denn er verzichtet auf alles, was den Menschen gemeinhin als Weg zum Glück erscheint: materielle Güter, Karriere, Freunde, Familie. Als Freund akzeptiert er nur einen Hund. Alexander der Große will ihm angeblich einmal einen Wunsch erfüllen. Doch statt Geld oder ein attraktives Amt wünscht Diogenes nur, Alexander möge ihm aus der Sonne gehen. Lebensphilosophisch interessant ist Diogenes, weil er durch seine Art zu Leben provoziert und uns mit der Frage konfrontiert, was das Leben wirklich lebenswert macht. 


In der Spätantike (Hellenismus) entwerfen die zwei Denkschulen der Stoiker (sie stehen in der Tradition des Diogenes) und der Hedonisten (Epikureer) gegensätzliche Theorien als Antwort auf die Frage nach dem guten (oder: glücklichen) Leben. Für die Stoiker liegt der Weg zum Glück in der Bedürfnislosigkeit und der inneren Freiheit. Für die Hedonisten liegt es im richtigen Genuss. Beide Ansätze haben etwas für sich und sich auch aus heutiger Sicht interessant. 


Auch in der jüngeren Philosophie-Geschichte (also seit dem 19. Jh) gibt es viele philosophische DenkerInnen, die sich mit der Frage nach dem guten oder glücklichen Leben auseinandersetzen. Klassiker der Lebensphilosophie sind z. B. Arthur Schopenhauer, Sören Kirkegaard oder Friedrich Nietzsche. Im deutschen Sprachraum bekannte Gegenwartsphilosophen, die die Frage nach dem gelingenden Leben stellen, sind z. B. Wilhelm Schmidt oder Peter Sloterdijk ("Du musst dein Leben ändern"). 


Woraus nach Aristoteles Glück besteht ...

"Eudaimonia",also Glück,  ist für den griechischen Philosophen Aristoteles vor allem das Ergebnis einer bestimmten Haltung und Einstellung gegenüber dem Leben. Diese Haltung ist durch zwei Aspekte gekennzeichnet: einerseits durch die Bereitschaft, den Sorgen und Herausforderungen, die das Leben für uns bereithält, mit einer gewissen Distanz und Gelassenheit zu begegnen und andererseits dadurch, dass Menschen ihre Pflicht erfüllen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas zum Gelingen der Gemeinschaft beitragen. Glück ist also das Begleit-Ergebnis einer ethisch durchdachten und richtigen Lebensführung: Wenn ich das Richtige tue und wenn ich nach Wahrheit und Erkenntnis strebe, werde ich auch Glück erfahren können.

Glück nach der Verständnis der Stoiker

„Der Tod bedeutet die Tilgung jeglichen Schmerzes, und er ist die Grenze, über die unsere Leiden nicht hinausgelangen; er gibt uns wieder jenen Zustand der Ruhe zurück, dem wir vor unserer Geburt angehörten.“ (Seneca)

 

„Du wirst aufhören zu fürchten, wenn du aufhörst zu hoffen.“ (Seneca)

 

„Daher muss man sich zur Freiheit durchringen. Diese erreicht man durch nichts anders als durch Gleichgültigkeit gegen das Schicksal“ (Seneca)

 

Die Stoiker (der Begriff kommt von Stoa = Säulenhalle; gemeint ist die Säulenhalle auf dem Marktplatz, wo über philosophische Fragen nachgedacht wurde) stellen die Frage nach dem Glück ins Zentrum ihres Denkens. Als Begründer der Stoa gilt ein gewisser Zenon von Kition (3. Jh. v. u. Z.). Viele griechische und römische Denker werden der Stoa zugerechnet, beispielsweise der Politiker und Dichter Seneca (1. Jh. u. Z.) und Marc Aurel, der auch als der Philosoph auf dem Kaiserthron bezeichnet wird (2. Jh. n. u. Z.)

 

Ausgangspunkt für die Überlegungen der Stoiker ist, dass Menschen auch inmitten des größten materiellen Luxus todunglücklich sein können. Ein Grund ist, dass sie das, was sie haben, für selbstverständlich halten und es nicht mehr schätzen. Kaum haben sie etwas erreicht oder bekommen, streben sie schon nach dem nächsten. Ein anderer Grund ist aber auch, dass wir alles, was wir haben, auch wieder verlieren können. Und genau die Angst vor diesem Verlust ist das, was uns nach der Meinung der Stoiker unglücklich macht.

 

Deshalb kann man nach der Meinung der Stoiker nur glücklich werden, wenn man sich von äußeren Glücksgütern, aber auch von anderen „Werten“, wie beispielsweise von der Familie, von Freunden, von der Gesundheit, ja sogar vom eigenen Leben möglichst unabhängig macht. Nur wer keine Angst hat, etwas zu verlieren, weil er vollkommen bedürfnislos ist, kann glücklich sein. Eine solche Haltung dem Leben gegenüber kann nur durch langjähriges intensives Üben erreicht werden.

 

Die Ideen der Stoiker haben Ähnlichkeiten zu asketischen Ideen in asiatischen Religionen (v. a. im Buddhismus), aber auch in asketischen Ideen z. B. im Christentum (Armut als Ideal, …). Allerdings ist das Ziel der stoischen Askese keine wie auch immer geartete jenseitige Erlösung.

 

Wichtig ist noch zu erwähnen, dass die meisten Stoiker keineswegs nur das private Glück durch Verzicht zu erreichen suchen, sondern auch in politischem Engagement eine wichtige Lebensaufgabe sehen. Sehr oft vertreten sie – z. B. im Hinblick auf die gesellschaftliche Rolle der Frauen – ganz modern anmutende Positionen.

 

 

Diogenes von Sinope (412 – 323), auch bekannt als Diogenes in der Tonne

 

Diogenes hat dieses Ideal wahrscheinlich am konsequentesten in die Tat umgesetzt und sich damit natürlich dem Spott seiner Mitbürger ausgesetzt. Er lebt ohne Beruf und ohne Besitz, lehnt jeden Kunstgenuss ab und versucht das Glück zu finden, indem er alles nicht unbedingt Lebensnotwendige als „überflüssig“ ablehnt und versucht, ohne es auszukommen. Angeblich lebt er, um sich vor der Sonne und vor der Kälte zu schützen, in einem Fass. Das ist der einzige Bereich, wo er sich auf einen Kompromiss mit den Errungenschaften der Zivilisation einlässt. Angeblich ist Diogenes so berühmt, dass Alexander der Große ihn eines Tages besucht und ihm einen Wunsch erfüllen will. Daraufhin antwortet Diogenes angeblich: „Geh mir aus der Sonne!“ 


Glück nach dem Verständnis der Hedonisten

„Über nichts empfindet die Seele mehr Freude und Stille, als über die gegenwärtigen und erwarteten Lustempfindungen des Körpers“ (Epikur)

 

„Ursprung und Wurzel alles Guten ist die Lust des Bauches; denn auch das Weise und Subtile bezieht sich darauf zurück“ (Epikur)

 

„Leer ist die Rede jenes Philosophen, durch die keine menschliche Leidenschaft geheilt wird. Wie nämlich die Medizin nichts nützt, wenn sie nicht die Krankheiten aus dem Körper vertreibt, so nützt auch die Philosophie nichts, wenn sie nicht die Leidenschaft aus der Seele vertreibt.“ (Epikur)

 

Eine Gegenströmung zur Stoa ist der Hedonismus (von griech. hedone = Freude / Lust). Als Begründer gilt Aristippos von Kyrene. Ein bekannter Vertreter ist Epikur.

 

Die Hedonisten unterscheiden zwei grundlegende Zustände der menschlichen Seele: den Schmerz als die zerrissene, ungestüme, raue Bewegung der Seele und die Lust als die harmonische, und sanfte Bewegung der Seele. Glück ist der Zustand, in dem die Lust möglichst hoch und die Unlust möglichst niedrig ist.

 

Da Aristippos nicht zwischen unterschiedlichen Formen von Lust unterscheidet, ist für ihn alles, was Lust bereitet, prinzipiell erstrebenswert. Dazu zählen neben guten Gesprächen oder kulturellen Erfahrungen (Konzert, …) auch gutes Essen und Trinken und sexuelle Freuden oder andere Formen der körperlichen Lust. Nicht zuletzt diese Position hat dazu beigetragen, dass der Hedonismus teilweise einen etwas zweifelhaften Ruf genießt.

 

Etwas anders sieht dies Epikur. Glück ist für ihn vor allem ein Zustand, der frei ist von Unlust. Damit wird für ihn die Befreiung von allem, was Unlust (Schmerz, Angst, …) bereitet, zum zentralen Weg zu einem glücklichen Leben. Glück erlangt, wer sich von Unruhe (Ataraxie) und von Schmerz (Aponetos) zu befreien vermag. Ein zentraler Weg, Lust zu erfahren, ist für Epikur die Erfahrung von wirklicher Freundschaft. 

 

Die Idee, dass es im Leben vor allem darum gehe, eine Haltung zu entwickeln, die uns hilft, unvermeidliche negative Lebenserfahrungen zu bewältigen, finden wir z. B. dann auch in der Philosophie Arthur Schopenhauers (19. Jh).

 


Arbeitsaufgaben zum Nach-Denken und Diskutieren ...

A1: Machen materielle Güter, aber auch kulturelle Güter wie gute Musik, ein gutes Buch... glücklich? Wann? Wann nicht? Welche Beobachtungen machst du dazu in der heutigen Welt? Welche eigenen Erfahrungen hast du dazu gemacht? Welche Sinnesfreuden machen dich glücklich? Welche materiellen Güter machen dich glücklich? Inwiefern? 


A2: Stimmt es, dass hauptsächlich die innere Einstellung dafür verantwortlich ist, ob man glücklich ist oder nicht?

A3: Welchen Lebensstil pflegt jemand, den man als modernen Hedonisten oder als moderne Hedonistin bezeichnen könnte? Was ist das Positive an diesem Lebensstil? Welche Gefahren birgt er eventuell? Wie attraktiv ist dieser Lebensstil in deinen Augen? Welchen Lebensstil pflegt jemand, den man als moderenen Stoiker oder als moderne Stoikerin bezeichnen könnte? Was ist das Positive an diesem Lebensstil? Welche Gefahren birgt er eventuell? Wie attraktiv ist dieser Lebensstil in deinen Augen? 

A4: Glaubt du, dass die Menschen heute – die ja zumindest bei uns in großem Wohlstand leben, wenn man den heutigen Lebensstandard mit dem Lebensstandard vor wenigen Jahrzehnten vergleicht – wirklich glücklich sind? Inwiefern? Inwiefern nicht? Wenn sie nicht glücklich sind: Woran liegt das dann deiner Meinung nach?

A5: Erkundige dich genauer über Diogenes von Sinope und seinen "Lebenswandel". Sammle ein paar Lebenden, die sich um seinen Tod und um sein Leben ranken. Nimm an, du bist ein zeitgenössischer Autor des Diogenes. Und du schreibst nach dessen Tod einen Kommentar, in dem du dessen Lebern und dessen Lebensphilosophie positiv oder negativ bewertest. 

A6: Mache ein fiktives Interview mit einem Vertreter der Stoa oder einem Vertreter des Hedonismus zur Frage, was Menschen zu einem glücklichen oder sinnvollen Leben verhilft. Lass den Interviewpartner dabei auch zur modernen Welt und zum modernen Lebensstil positiv oder kritisch Stellung nehmen. 


Literatur und Internetquellen

  • Wikipedia über Lebensphilosophie
  • Wikipedia über die Philosophie der Stoa
  • Webseite; Zenons Blog mit interessanten Beiträgen rund um eine moderne Interpretation der Philosophie der Stoa)