Forschungsmethoden im Überblick

Alltagspsychologie versus wissenschaftliche Psychologie

Wir alle entwickeln alltagspsychologische Theorien. Ausgehend von den Erfahrungen, die wir machen, schließen wir auf grundlegende Gesetzmäßigkeiten. 

 

Zum Beispiel beobachten Eltern, die ein Mädchen und einen Jungen haben, dass sich beide im Entwicklungstempo und in den Interessen unterscheiden. Das Mädchen spricht etwas früher und läuft etwas früher als der Junge. Auch in der Nachbarschaft machen sie ähnliche Beobachtungen. Außerdem ist bekannt, dass Mädchen im Durchschnitt früher in die Pubertät kommen als Jungen. Also schließen sie, dass Mädchen schneller und früher bestimmte Entwicklungsschritte machen als Jungen. 

 

Soweit, so gut. Allerdings ist das keine wissenschaftliche Theorie, sondern einfach eine Alltagstheorie. Sie muss überhaupt nicht falsch sein. Viele psychologische Alltagstheorien, die wir machen, passen sehr gut zu wissenschaftlich gesicherten Theorien. Der entscheidende Punkt ist, dass alltagspsychologische Annahmen einfach zu wenig systematisch und zu wenig kritisch überprüft worden sind. Sie sind eher das Ergebnis persönlicher Erfahrungen, die auch sehr zufallsabhängig sein können (oder könnten). 

 

Zum Beispiel waren viele Menschen lange Zeit der Meinung, dass Kinder mit einer Lese-Rechtschreibschwäche (Legasthenie) dumm seien. Ihre Beobachtungen schienen ihre Grundannahme zu bestätigen. Ich erkläre einem Kind, dass man "Haus" mit "s und nicht mit "ß" schreibt, das Kind schreibt das Wort fünfmal richtig. Und am nächsten Tag hat es wieder vergessen, wie das Wort richtig geschrieben wird. Erst die wissenschaftliche Psychologie hat mittels psychologischer Testverfahren nachgewiesen, dass Intelligenz eine Variable ist, die mit Rechtschreib-Leseschwäche grundsätzlich überhaupt nichts zu tun hat. Es gibt viele normal oder sogar hochintelligente Kinder, die mit dem Buchstaben-Entziffern große Probleme haben. Inzwischen weiß man auch, dass bestimmte veränderte Verarbeitungsmuster im Gehirn diese spezifische Schwäche verursachen. 

 

Methoden der wissenschaftlichen Psychologie

Wissenschaftliche psychologische Theorien unterscheiden sich also von Alltagstheorien dadurch, dass ihre Gültigkeit systematisch mittels bestimmter wissenschaftlich anerkannter Methoden überprüfbar sein müssen und im Idealfall auch überprüft worden sind. 

 

Anerkannte wissenschaftliche Methoden sind ....

 

... zur Untersuchung des Verhaltens

  • das Experiment 
  • die Feldforschung
  • Einzelfall-Forschung

Doch diese Methoden sind nicht der "Heilsweg" zu gesichertem Wissen und absoluten Wahrheiten. Denn auch sie sind fehleranfällig. Zum Beispiel haben wir bei einem Experiment das Problem, dass für sie Laborsituationen konstruiert werden, damit man Störvariablen ausschließen und alle Bedingungen kontrollieren kann. In Wirklichkeit und in ihrem natürlichen Umfeld verhalten sich Menschen aber teilweise eben anders als in einem Laboratorium. Deshalb sind Laborergebnisse oft nur eingeschränkt auf natürliche Situationen übertragbar. Viele Klassiker der experimentellen Psychologie sind außerdem unter ethisch höchst fragwürdigen Bedingungen zustande gekommen. Eine moderne Ethikkommission würde viele  dieser Experimente heute vermutlich gar nicht mehr erlauben. 

 

Das Übertragbarkeitsproblem und die ethische Problematik gibt es in der Feldforschung, die ja im natürlichem Umfeld stattfiindet, weniger. Doch da ist der Nachteil, dass wir nicht alle Einflussfaktoren kontrollieren können und die Wiederholbarkeit nur eingeschränkt oder gar nicht gegeben ist.

 

Einzelfallstudien (z. B. über Phineas Gage) finden oft im klinischen Kontext statt. Sie liefern wichtige Erkenntnisse. Aber sie erfüllen meistens nicht die strengen methodischen Anforderungen, die für saubere naturwissenschaftliche Forschung erforderlich wäre. Insbesondere sind die Kontrollierbarkeit und die Wiederholbarkeit oft nicht oder nur eingeschränkt gegeben. 

 

 

... zur Untersuchung des Erlebens

 

Erleben hat immer eine qualitative Komponente. Dass wir eine  Farbe wie Rot oder Grün wahrnehmen, ist etwas Qualitatives. Und selbst wenn wir messen können, welche Region im Gehirn dabei besonders aktiv ist oder welche elektromagnetischen Wellen mit welcher Wellenlänge diese Reaktion im Gehirn auslösen, ist das etwas Quantitatives, also eine Messgröße. Und damit etwas völlig anderes. Beides hängt zusammen. Aber es ist nicht identisch. Das ist die große Herausforderung, der sich die Psychologie als Grenzdisziplin zwischen Naturwissenschaft (Gehirn) und Geisteswissenschaft (kognitive Prozesse wie Denken oder Wahrnehmen mit bestimmten Qualitäten) stellen muss. 

 

Je mehr wir beobachten können und je genauer die Beobachtungen sind, desto sicherer sind auch Aussagen über das damit zusammenhängende Erleben. Aber diese Aussagen sind immer Intepretationen. Und wie jede Interpretation haben sie etwas Subjektives an sich. Die damit verbundene Fehleranfälligkeit lässt sich nicht eliminieren. Aber sie lässt sich begrenzen. 

 

Methoden, mit denen wir dem Erleben (also der "Seele" wenn man so will) auf der Spur sind:  

  • Experimente oder Feldforschung, aus deren Ergebnissen auf Erleben geschlossen wird (z. B. Harlow will mit seinen Rhesus-Äffchen "das Gefühl der Liebe" erforschen; die moderne Gehirnforschung interessiert sich für Gefühlserleben oder Denkprozesse oder Motivation)
  • standardisierte Tests (z. B. Persönlichkeitstests, Intelligenztests, ...) versuchen Persönlichkeits-Merkmale messbar zu machen, indem sie die Ergebnisse über eine geeichte Normalverteilungs-Kurve o ä. legen. 
  • standardisierte Interviews (oder: standardisierte Befragung)

  

Umstrittene und nicht von allen anerkannte Methoden

 

Neben den allgemein als wissenschaftlich anerkannten Methoden gibt es auch andere Methoden, die weniger "harte" Ergebnisse liefern und in einem noch stärkeren Maß fehleranfällig sind. Manche PsychologInnen argumentieren, dass  man diese Methoden dennoch brauche, weil sie wichtige grundlegende Erkenntnisse liefern könnten. Andere sagen, diese Methoden seien so wenig von außen und unabhängig kontrollierbar, dass man auf sie in einer wissenschaftlichen Disziplin besser verzichten solle. 

 

Zu den umstrittenen Methoden der wissenschaftlichen Psychologie zählen z. B. 

  • Selbstbeobachtung (Introspektion), z. B. Protokollierung und Interpretation eigener Träume (Freud: "Traumdeutung")
  • Einzelfallstudien, klinische Studien an ganz wenigen einzelnen Personen (keine Reproduzierbarkeit, keine Wiederholbarkeit, oft nur eingeschränkte Kontrollierbarkeit; aber zum Teil sehr interessante Forschungsergebnisse)
  • projektive Tests; z. B. Tests, bei denen ProbandInnen Bilder deuten oder zu Bildern Assoziationen formulieren
  • Tiefeninterviews, bei denen vom messbar Gesagten auf eine Tiefendimension der Persönlichkeit geschlossen wird 

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