Karl Raimund Popper: Offene und Geschlossene Gesellschaft. 

Der Versuch, den Himmel auf Erden zu schaffen
produziert stets die Hölle. 

Der aus Österreich stammende Philosoph Karl Raimund Popper (1902 bis 1994) unterscheidet in seiner politischen Philosophie zwischen zwei grundlegenden Gesellschaftsmodellen: der offenen Gesellschaft und der geschlossenen Gesellschaft.

 

Geschlossene Gesellschaftsmodelle sind im Kern totalitäre Ideologien. Diese müssen nicht terroristisch oder gewalthaltig sein. Aber sie tendieren dazu. Und dafür gibt es einen zwingenden Grund.

 

Offene Gesellschaften – dazu zählen demokratische Systeme – unterscheiden sich seiner Meinung nach in einem ganz grundlegenden Sinn von „geschlossenen“ Gesellschaften:



Geschlossene Gesellschaftsmodelle (Ideologien)


Beispiele:

 

  • Kommunismus, Marxismus
  • Alle Faschismen
  • Alle sich auf „religiöse Wahrheiten“ oder „ewigen Werte“ berufenden Weltbilder / Gesellschaftsmodelle, z. B. der islamistische Fundamentalismus, der die ideologische Grundlage für IS oder Dschihadismus ist

 

Anhänger dieser Ideologien möchten „die beste aller Welten“ errichten. Was sie anstreben, ist in ihren Augen „der Himmel auf Erden“, also eine ideale Gesellschaft / die gottgewollte gesellschaftliche Ordnung ...

 

Voraussetzung dafür ist es, dass es etwas gibt, was absolut richtig oder wahr ist. Meistens sind das autoritäre Quellen (z. B. Offenbarungstexte wie die Bibel oder der Koran oder zu absoluten Autoritäten hochstilisierten Vordenker wie z. B. Marx im unkritischen Marxismus). Und natürlich braucht es  auch jemanden, der diese Wahrheit kennt und (als einziger) das Recht hat, die autoritären Quellen zu deuten / zu interpretieren. Meistens sind die religiöse oder politische Führer (Chef-Ideologen wie religiöse Gurus, Hohe Priester, Mullahs, politische Führerfiguren wie Stalin oder Hitler, …), deren Ansicht nicht in Frage gestellt werden darf.

 

Um die richtige Gesellschaftsordnung durchzusetzen und diejenigen, die sich dem widersetzen, ist sehr schnell jedes Mittel recht, auch Gewalt. Der Zweck heiligt alle Mittel. An diesem Punkt überschreitet der Fundamentalismus die Schwelle zum Terror.

 

Wenn die beste Gesellschaftsordnung (z. B. mithilfe einer Revolution oder mithilfe eines Krieges) einmal umgesetzt ist, ist jede Veränderung automatisch eine Verschlechterung / ein Verfall, der mit allen Mitteln verhindert werden muss. Hier schlägt die totalitäre Ideologie in ein totalitäres politisches System um.

 

Jeder, der die ideale gesellschaftliche Ordnung kritisiert oder in Frage stellt, ist ein Feind der Wahrheit und ein Feind des Richtigen. Er will Zerfall und Zerstörung. Er muss (mit allen Mitteln) bekämpft werden.

 

Im Fall des Kommunismus: Aus dem utopischen Ideal einer besten Gesellschaft wird eine totalitäre Diktatur, weil es nur mit Gewalt möglich ist, Diskussionen und Veränderungen auszuschalten.

Offene Gesellschaftsmodelle 




Beispiel:

 

  • westliche Demokratie (für Popper v.a. angelsächsischer Prägung)

 

 

 

 

 

 

geht davon aus, dass Menschen immer Fehler machen und sich irren können; kein Mensch kennt die letzte Wahrheit; keine Partei oder Gruppe hat die Lösung für alle Probleme

Menschen, die andere Ansichten haben, sind wichtig, weil sie auf Irrtümer und Fehler aufmerksam machen können. Dadurch kann es zu Korrektur von Fehlern kommen.

 

Gesellschaften verändern sich durch Diskussion und Auseinandersetzung; niemand kann heute wissen, wie eine zukünftige Gesellschaft aussehen wird. Sie ist das Ergebnis einer kontinuierlichen Auseinandersetzung verschiedener Gruppen; sie muss auf Veränderungen reagieren, die man heute noch nicht kennt

in einer Demokratie ist das Spiel zwischen Regierung und Opposition ein Mechanismus, der Menschen die Möglichkeit gibt, Entscheidungen kritisch zu diskutieren und Fehler zu korrigieren.

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

K. R. Popper erzählt in einem Fernsehinterview, welche biographischen Ereignisse sein Denken geprägt haben. Und erklärt sein politisches Denken, also seine Skepsis gegenüber allen Theorien, die "einen Himmel auf Erden" versprechen. 

Diskussion / Reflexion zu diesem Modell

1.     Inwiefern entspricht die Ideologie, die dem IS und dem Dschihadismus zugrunde liegt, der „Denklogik“, die Popper als geschlossene Ideologie bezeichnet. Was sind die Ziele? Wer sind die Autoritäten? Wie ist die Beziehung zum Thema Gewalt? Was sind die Denkmuster? Wer oder was wird bekämpft? Warum?

 

2.     Es gibt eine Interpretation der Terroranschläge in Paris, wonach die Ziele (Paris/Frankreich!; Redaktion einer Satire-Zeitschrift: Redakteure / Karikaturisten (!), die erschossen werden; eine Polizistin, die erschossen wird; ein jüdischer Supermarkt, der überfallen wird // Kunden, die erschossen werden) symbolisch aufgeladen sind. Was repräsentieren sie? Inwiefern geht es um Symbole einer offenen Gesellschaft?

 

3.     Was wären andere Beispiele für geschlossene gesellschaftliche Ideologien / Systeme aus der Geschichte, eventuell auch aus der Gegenwart? Welche Merkmale kennzeichnen sie als „geschlossene Systeme“

 

4.     Welche Funktion hat nach  Popper Kritik und Widerstand (und damit auch im Kern das Recht auf Meinungsfreiheit / Pressefreiheit; auch das Recht zu spotten und zu karikieren) in einer offenen Gesellschaft? Welche Funktionen hat es (vielleicht) noch?

 

5.   Was kann an geschlossenen Systemen auf Menschen verführerisch wirken? Welche Menschen werden sich besonders leicht (ver)führen lassen? Könnte das auch für die Anhänger des Dschihadismus gelten??

 

6.       Was muss jemand, der den Gedanken Poppers folgt, akzeptieren? Welche Hoffnung kann er nicht (mehr) haben? Ist das ein Verlust? Oder bekommt er zum Ausgleich dafür etwas mindestens so Wertvolles? 


Internetlinks und Quellen: