Pathozentrische Umweltethik

Der pathozentrische Ansatz


Im Mittelpunkt des pathozentrischen umweltethischen Ansatzes (von griech. pathos = Leid(en), Leidenschaft) steht die Frage, ob ein Lebewesen leiden kann bzw. leidensfähig ist. Ziel ethischen Handelns muss es diesem Ansatz zufolge sein, Schmerz und Leid (sowohl beim Menschen als auch beim Tier) zu verhindern. Der englische Philosoph Jeremy Bentham (1748 bis 1832) hat diesen Ansatz auf den Punkt gebracht und gegen den anthropzentrischen Ansatz abgegrenzt, als er sagte: „Es kommt nicht darauf an, ob ein Tier vernünftig denken kann. Es kommt darauf an, ob es leiden kann.“ Weil es um den zentralen Wert der Leidensfähigkeit geht, ist der pathozentrische Ansatz automatisch auf die tierethische Perspektive reduziert. (Außer wir würden davon ausgehen, dass auch Pflanzen oder Steine leidensfähig sind. Die meisten Menschen in unserem Kulturkreis und die Wissenschaft würden das aber bestreiten)


Der Mensch an sich ist nicht schützenswerter als ein Tier. Im Mittelpunkt ethischen Handels steht das Ziel, Schmerz und Leid für Menschen und Tiere zu verhindern. Da Tiere (abgestuft nach Differenziertheit des Nervensystems) als leidensfähige Lebewesen gesehen werden, steht ihnen ein Grundrecht auf verantwortungsbewussten und schonenden Umgang zu.
 
Der pathozentrische Ansatz macht Unterschiede im Hinblick auf die Empfindungsfähigkeit und damit zwischen verschiedenen Tierarten. Differenzierte Lebenwesen wie Säugetiere, v. a. Hominiden, sind schützenswerter als weniger differenzierte Säugetiere wie z. B. Mäuse; Reptilien sind weniger schützenswert als Säugetiere. Insekten sind weniger schützenswert als Reptilien oder Fische. Nicht schützenswert sind Lebewesen, die nicht empfinungsfähig sind, z. B. Pflanzen.
 
Wenn es darum geht, Tiere für den Menschen zu nutzen, ist immer eine Güterabwägung notwendig. So ist Nutztierhaltung möglich, aber man darf das Tier nicht als rechtlose Sache betrachten. Die natürlichen Lebensbedingungen der Tiere müssen beachtet werden. Die Tiere dürfen nicht gequält werden. Die Verwendung von Tieren in Versuchslabors wird – allenfalls bis auf wenige Ausnahmefälle – abgelehnt.


Vorteile des Pathozentrismus


Die pathozentrische Sichtweise bildet ein Gegengewicht zu den Umgang mit Tieren, der auf der Grundlage (angeblicher) ökonomischer Sachzwänge in den letzten Jahrzehnten absolut dominant war. Die Argumente, die er entwickelt, sind Grundlage dafür, dass immer mehr Menschen ihren Umgang mit tierischen Nahrungsmitteln und Tieren kritisch in Frage stellen, dass immer mehr Menschen wert auf eine "artgerechte Tierhaltung" legen und dass immer mehr Menschen bereit sind, mehr Geld zu bezahlen, wenn sie Fleisch, Eier o. a. "mit gutem Gewissen" konsumieren können. 


Die pathozentrische Sichtweise und die Argumente, die dieser Ansatz entwickelt, prägen immer stärker die Tierschutzgesetze in den westlichen Staaten. So ist in vielen Staaten rechtlich inzwischen das Tier nicht mehr einfach nur als "Sache" definiert. So genannte Qualzüchtungen (z. B. bei Hunden) oder Behandlungen, die mit Schmerzen verbunden sind, dem Tier aber keinen Nutzen bringen (Kupieren von Schwänzen oder Ohren) sind verboten. Haustiere dürfen grundsätzlich nicht getötet werden. Wildtiere dürfen nicht als Zirkustiere gehalten werden. Tierversuche werden zumindest stark eingeschränkt. Man sucht nach Alternativen zu Tierversuchen, z. B. Forschung mit Zellkulturen. ... 


Der pathozentrischen Ansatz berücksichtigt viele Erkenntnisse, die die Forschung inzwischen über Tiere gewonnen hat (genetische Ähnlichkeit mit dem Menschen, komplexes Denken, Lernfähigkeit, soziale Verhaltensweisen, Leidensfähigkeit, ...) sehr viel besser als der anthropozentrische Ansatz. 


Der pathozentrische Ansatz berücksichtigt auch, dass Tiere in vielen Situationen den Menschen wichtige Dienste leisten, vielfach als Haustiere wichtige Bezugswesen für Menschen sind, dass zwischen Menschen und Tieren starke emotionale Beziehungen entstehen können, ...


Probleme und Vorwürfe gegen den Pathozentrismus
 
Ein Problem ist, dass der pathozentrische Ansatz menschliches Leben, insofern es nicht oder nur eingeschränkt leidensfähig ist, nicht schützt. Das gilt z. B. für Embryonen, Menschen im (Wach)koma, ...
 
Ein Problem ist auch, dass Leiden / Leidensfähigkeit als oberstes Ziel auch dazu führen kann, dass andere ethische Prinzipien (z. B. Grundwert menschliches Leben) mit dem Ziel der Leidensvermeidung ausgehöhlt werden. 
 

Arbeitsaufgaben

A1: Erkläre, ob und inwiefern sich im österreichischen Tierschutzgesetz pathozentrische Ansätze finden. Schreibe einige Formulierungen heraus. 


A2: Welche Position nimmt ein pathozentrischer Ansatz im Hinblick auf folgende Problemfelder ein? Wie lauten seine zentralen Argumente? 

• Massentierhaltung, 

• Tierversuche für medizinische Zwecke

• Tierversuche für kosmetische Zwecke

• Pelztierzucht

• Zirkustiere

• Verschmutzung der Umwelt/CO2-Ausstoß

• Verschmutzung der Antarktis


A3: Die Bilder am Anfang der Webseite entstanden während einer Aktion, die der "Verein gegen Tierfabriken" verantwortet hat. Solche Aktionen sind umstritten. Wie werden Befürworter solcher Aktionen argumentieren? Wie werden Gegner argumentieren. Sammle - in Gruppen - mögliche Positionen und kurze Statements. Zeig einigen Personen in deinem sozialen Umfeld (Jugendlichen, Erwachsenen) die Bilder und bitte sie um eine kurze Stellungnahme. Sammle die Reaktionen (ohne Namensnennung). 


A4: Vergleiche die Internet-Auftritte der Tierschutz-Organisationen "Verein gegen Tierfabriken", "Vier Pfoten" und "World Wildlife Fund" (WWF) im Hinblick auf ihre ethische Argumentation und im Hinblick auf ihre Zielsetzungen. Welche Organisation findest du am überzeugendsten oder am vertrauenswürdigsten? Warum? 




Internet-Links