Die Diskussion um embryonale Stammzellen-Forschung

Worum geht es?

Bei der künstlichen Befruchtung bleiben in vielen Fällen Blastozyten (Embryonen im Stammzellen-Stadium, bei denen noch keine Zelldifferenzierung stattgefunden hat) übrig. Diese Blastozyten werden für eine eventuelle spätere Implantation in die Gebärmutter eingefroren. 

 

Aus unterschiedlichen Gründen kann es dazu kommen, dass diese Embryonen "übrig bleiben". Manche ForscherInnen möchten die rechtliche Erlaubnis, aus diesen Embryonen Stammzellen für die Forschung zu gewinnen. Die Blastozyte selbst würde bei diesem Verfahren "zerstört". 

 

In einigen Staaten (USA, Israel, ...) ist die Gewinnung von embryonalen Stammzellen erlaubt. In anderen Staaten (Österreich, Deutschland) ist sie aus ethischen Erwägungen heraus verboten. In der Schweiz ist die Gewinnung von embryonalen Stammzellen seit einer Volksabstimmung im Jahr 2004 erlaubt. 

Zwei Texte

Text 1: Wir müssen embryonale Stammezellenforschung erlauben

 

"Ohne neues Gesetz laufen wir hinterher"

 

Deutsche Stammzellenforscher müssen die gleichen Möglichkeiten haben wie europäische Kollegen, sagt Jürgen Hescheler, Präsident der deutschen Gesellschaft für Stammzellforschung:

„Die Stammzellforschung entwickelt sich gerade rasant, vor allem die Obama-Regierung fördert sie massiv. Unsere nächste Regierung muss darauf reagieren und das Stammzellgesetz noch einmal angehen, derzeit ist das nur Flickwerk. Die Debatte sollte dann weniger verlogen sein.

Wir müssen endlich wissen, was wir wollen: Entweder wir wollen künftig unsere Vision verwirklichen, funktionale menschliche Zellen nachzuzüchten, um etwa Diabetiker oder Infarktpatienten zu therapieren. Dann muss sich die Politik zur Stammzellforschung bekennen und gute Bedingungen schaffen. Oder aber wir Deutschen nehmen aus ethischen Gründen Abstand davon, dann muss die Politik aber auch offenlegen, dass wir den Anschluss verlieren werden.

 

Wie die Physiker vor 20 Jahren schließen sich jetzt auch die Stammzellforscher zu internationalen Verbünden zusammen. Wir Deutschen laufen dabei aber Gefahr, außen vor zu bleiben, weil wir eine schlechte Ausgangsposition haben.

Das Stammzellgesetz verbietet uns, aus Embryonen eigene Zelllinien herzustellen. Wir dürfen solche Zellen nur importieren und müssen selbst dann lange Genehmigungsverfahren durchlaufen. Kollegen in England oder Frankreich haben mehr Freiheit, sie brauchen nur eine einzige Erlaubnis, um eigene Zelllinien zu erzeugen und daran zu forschen.

 

Selbst wenn wir die Bürokratie überwinden, dürfen wir die Resultate aus der Forschung an Importstammzellen nur begrenzt nutzen. Die Erzeuger verbieten uns oft per Vertrag, Erkenntnisse als Therapie zu vermarkten. Wir hoffen zwar, bald Zellen von Erwachsenen in Stammzellen reprogrammieren zu können und dann keine embryonalen Zellen mehr zu brauchen.

Doch bis dahin laufen wir ohne ein neues Gesetz hinterher. Andere Forscher nutzen Stammzellen schon heute für Medikamententests, die viel zuverlässiger sind als etwa Mäuseversuche. Hätte man solche Tests vor 50 Jahren gehabt, hätte der Contergan-Skandal vermieden werden können. Wir dürfen diese Chance nicht verpassen."

 

(Zeit Wissen 4/2009: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2009/04/Wahlkampf-Stammzellen)

 

Text 2: Wir dürfen embryonale Stammzellenforschung nicht erlauben

 

Nach den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird der Embryo nicht erst zum Menschen, er ist es vom Tag seiner Empfängnis an. Im Lichte des christlichen Glaubens ist das menschliche Leben ein Geschenk Gottes und muss vom ersten Tag an geschützt werden. Die medizinische Forschung braucht Freiheit; aber die wissenschaftliche Freiheit darf nicht die fundamentalen Rechte des Anderen beeinträchtigen. Die Schweizer Verfassung erklärt in der Präambel, dass „die Menschenwürde respektiert und geschützt“ werden muss (Art. 7). Das menschliche Leben zu instrumentalisieren, selbst für scheinbar vielversprechende wissenschaftliche und medizinische Projekte, ist unvereinbar mit der Würde des Menschen. Ein menschlicher Embryo kann in keinem Fall als blosse Materie betrachtet werden. Der Embryo entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern von Anfang an als Mensch. Deshalb ist die Schutzwürdigkeit von allem Anfang an voll gegeben. Auch der Embryo besitzt Menschenwürde. Das Stammzellengesetz widerspricht der Verfassung (Art. 7 Schutz der Menschenwürde).

 

Menschliches Leben darf nie verbraucht/vernichtet werden, um anderem menschlichen Leben zu helfen. Vor einer solchen Instrumentalisierung muss der Embryo auch dann geschützt werden, wenn er keine Chance auf Überleben hat – gleich wie eine Person am Ende des Lebens. Den Embryo nicht als Menschen zu respektieren, reduziert ihn allein auf seine biologische Dimension. Auch die Forschungsfreiheit gibt kein Recht auf Eingriffe in die Individualrechte Dritter. Die Tötung von Embryonen zum Zweck der Forschung ist nicht zulässig.

 

Erklärung der Bioethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenz

(http://www.kath.ch/sbk-ces-cvs/pdf/pdp_stammzellen_d.pdf)

 


Arbeitsaufträge / Diskussion: 

  1. Fasse die zentralen ethischen Argumente, die in den Texten für bzw. gegen die gesetzliche Erlaubnis von embryonaler Stammzellenforschung angeführt werden, knapp in eigenen Worten zusammen. 
  2. Überlege, wie "stark" deiner Meinung nach die vorgebrachten Argumente sind. Welche Argumente findest du zwingend oder zumindest überzeugend? Welche Argumente findest du eher nicht überzeugend? Aus welchen Gründen?
  3. Würdest du persönlich bei einer Volksabstimmung für oder gegen eine Legalisierung der Gewinnung embryonaler Stammzellen stimmen? Mit welchen argumentativen Überlegungen?