Heterosexualität als Norm?

Film: Brokeback Mountain
Film: Brokeback Mountain

Das Wissen über Homosexualität hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm erweitert. Gründe dafür sind neben biologischen Erkenntnissen ein generell offenerer Umgang mit Sexualität und mehr indivuelle Freiheit in der Gestaltung des eigenen Lebens und des Beziehungs-Lebens. 

 

Dennoch gilt Heterosexualität noch vielfach als "Norm" und als "das Normale". Homosexualität wird allenfalls als davon abweichende Variante toleriert oder geduldet. Für viele Jugendliche ist die Erkenntnis, dass sie sich stärker zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen, mit tiefer Verunsicherung verbunden. Für viele Eltern ist es eine große Herausforderung, akzeptieren zu müssen, dass ihr Kind homosexuell ist. In vielen Bereichen das Alltagslebens sind Menschen, die sich als homosexuell outen, immer noch mit Vorurteilen konfrontiert. Die katholische Kirche akzeptiert Homosexualität bis heute nicht als gleichwertige Form der sexuellen Identität. In vielen traditionell-patriarchal geprägten Gesellschaften werden Homosexuelle offen diskriminiert. 

 

Dass die "Bilder in den Köpfen" immer noch stark heterosexuell geprägt sind, hat viele Gründe. Einer davon ist, dass in der Öffentlichkeit Homosexualität kaum (und wenn: dann oft nur in speziellen Nischenbereichen) sichtbar wird. Mädchen, die "männliches Verhalten" zeigen und (noch stärker) Jungen, die weibliches Verhalten zeigen, werden häufig zurechtgewiesen und sozial unter Druck gesetzt. In literarischen Texten oder Filmen kommen gleichgeschlechtliche Beziehungen kaum vor. Paare in den Massenmedien bestehen scheinbar selbstverständlich immer aus einem Mann und einer Frau. Familien in Schulbüchern sind entweder traditionelle Vater-Mutter-Kind-Familien oder eventuell Alleinerzieher-Familien. Dass es auch Regenbogen-Familien mit zwei gleichgeschlechtlichen Eltern gibt, ist hier kein Thema. Vor allem männliche Homosexualität wird häufig immer noch mit negativen Begriffen belegt.

 

Vor diesem Hintergrund kann man sich leicht vorstellen, dass auf Jugendlichen, die entdecken, dass sie sich für gleichgeschlechtliche Partner interessieren, ein enormer Druck lastet. Oft führt das dazu, dass diese Jugendlichen einen langen und mit vielen Verunsicherungen verbundenen Prozess durchleben, bevor sie sich mit ihrer eigenen homosexuellen Orientierung identifizieren oder sich "outen". 

 

Viele Jugendliche (aber auch Erwachsene) versuchen, dem sozialen Druck zu entgehen und passen sich äußerlich an das heterosexuelle Ideal an. Der Preis dafür kann sehr hoch sein: unehrliche Freundschaften, Doppelleben, Vereinsamung, im Extremfall psychische Erkrankungen wie Sucht oder Depression oder Suizidalität

 

Erst langsam und vereinzelt outen sich Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, als homosexuell, wie beispielsweise der deutsche Außenminister Westerwelle, der Berliner Bürgermeister Wowereit oder die deutsche Bundesrichterin Susanne Baer.  

Was bedeutet Homosexualität?

offen zu seiner Homosexualität bekennt sich z. B. der Berliner Bürgermeister Wowereit
offen zu seiner Homosexualität bekennt sich z. B. der Berliner Bürgermeister Wowereit

Unter Homosexualität versteht man  die gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung. Sie weist folgende Merkmale auf:

 

  • H. ist eine in der Tiefe der menschlichen Persönlichkeit angelegte Geschlechtsidentität, die nicht frei gewählt und nicht frei veränderbar ist.
  • H. entwickelt sich – vermutlich – durch eine Vielzahl von Faktoren wie z. B. genetische Dispositionen, milieuabhängige, entwicklungsgeschichtliche und persönlichkeitsorientierte Faktoren.
  • H. wird bereits früh in der Kindheit (und nicht erst in der Pubertät) begründet, allerdings wird sie oft erst in der späten Pubertät // im frühen Erwachsenenalter „manifest“
  • ist therapeutisch (im Sinne einer Umpolung) nicht veränderbar, zu beeinflussen ist lediglich der Umgang mit den eigenen sexuellen Gefühlen // die Akzeptanz dieser Empfindungen
  • ist keine psychische // organische Erkrankung! (seit 1975)

Was sind Ursachen für eine homosexuelle Orientierung?

Mit einem "rosa Winkel" wurden während des NS Menschen, die wegen Homosexualität ins KZ kamen, gekennzeichnet
Mit einem "rosa Winkel" wurden während des NS Menschen, die wegen Homosexualität ins KZ kamen, gekennzeichnet

Biologie

 

Ein "Homosexualitätsgen" gibt es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Dennoch gibt es Grund zur Annahme, dass Homosexualität z. T. auch biologisch grundgelegt sein dürfte. Dafür spricht v.a., dass es homosexuelle Tendenzen und homosexuelle Beziehungen auch bei anderen Tieren, insbesondere auch bei höher entwickelten Säugetieren gibt. Eine Theorie, die sich an der Evolutionstheorie orientiert, besagt, dass gleichgeschlechtliches Verhalten eine wichtige soziale Funktion bei Tieren, die in Gruppen leben, spielt. Sie dient dem Spannungsabbau und der "Abfederung" von Rivalitätsverhalten. Außerdem sorgen gleichgeschlechtlich orientierte Tiere, die selbst keine Kinder haben, für fremde Kinder und entlasten so die biologischen Eltern. 

 

Entwicklungspsychologie

 

Die geschlechtliche Identität eines Menschen setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen und entwickelt sich in einem über Jahre andauernden Prozess. Grundlage dafür ist das biologische Geschlecht, das bereits bei der Zeugung festgelegt ist.

 

Bis zum Ende des zweiten Lebensjahres entwickelt sich die Kerngeschlechtsidentität eines Menschen, das heißt die Fähigkeit, zu erkennen, dass es zwei unterschiedliche Geschlechter gibt und sich selbst aufgrund von den Bezugspersonen übernommener Kategorien einem Geschlecht zuzuordnen. (Gelingt die Identitätsbildung auf dieser Ebene nicht, haben Menschen später u. U. das Gefühl, „im falschen Körper“ zu stecken, also die Bildung einer transsexuellen Identität.

 

Im dritten bis fünften Lebensjahr (die Tiefenpsychologie spricht von der ödipalen Phase) kommt es zur Ausbildung einer Geschlechts-Rollen-Identität. Das Kind lernt, dass für Mädchen und Buben unterschiedliche Verhaltensnormen etc. gelten. Es sucht sich gleichgeschlechtliche Vorbilder, denen es nacheifern kann. Es identifiziert sich mit realen und phantasierten Figuren und erprobt so späteres geschlechtsrollenkonformes Verhalten. Homosexuelle Erwachsene erzählen oft, dass es ihnen bereits in dieser Lebensphase schwer gefallen ist, sich mit gleichgeschlechtlichen Vorbildern zu identifizieren und dass ihnen geschlechtsrollenkonformes Verhalten (z. B. Raufen bei Buben ...) seltsam fremd und gegengeschlechtliches Rollenverhalten (z. B. Spielen mit Puppen) viel reizvoller vorgekommen sei. Umgekehrt gilt diese Beobachtung aber keineswegs!!!

 

Vor allem in der Pubertät kreisen erotische oder sexuelle Phantasien auch um das eigene Geschlecht. Dies führt oft zu einer tiefen Verunsicherung, die dadurch verstärkt wird, dass die betroffenen Jugendlichen sich nicht trauen, über ihre Gedanken mit jemandem zu reden. Ob homoerotische Phantasien oder Wünsche Ausdruck einer homosexuellen Orientierung sind oder ob sie vorübergehender Natur sind, lässt sich erst im Nachhinein klären. Bis junge Erwachsene dann tatsächlich fähig sind, zu ihrer homoerotischen Persönlichkeit zu stehen, vergehen oft mehrere (viele) Jahre. Nicht selten wird auch versucht, gegen die eigene psychische Persönlichkeit zu leben, eine heterosexuelle Beziehung aufzubauen, eine Familie zu haben. Solche Konstruktionen sind aber oft fragil und drohen z. B. in Krisensituationen zu kippen. Oft führen sie dazu, dass Betroffene ein Doppelleben führen  ...


Soziologie

 

Gesellschaften können mit Homosexualität sehr unterschiedlich umgehen. Während das christliche (speziell die katholisch geprägte) Abendland mit Homosexualität seine liebe Not hat(te), war Homoerotik und Homosexualiät z. B. über weite Phasen der griechischen Antike eine voll akzeptierte Form der Sexualität, die der heterosexuellen Sexualität sogar ethisch übergeordnet war.

 

Je stärker in einer Gesellschaft ein ausgeprägter Männlichkeitskult herrscht, desto größer ist oft auch die Ablehnung und sogar der Hass auf alles, was irgendwie homosexuell anmutet. Ein „klassisches“ Beispiel dafür wäre der NS, in dem Homosexualität einerseits als entartete Form der Sexualität das Todesurteil bedeuten konnte, wo aber andererseits auch in Führungszirkeln (z. B. Röhm-Kreis) viele (latente) Homosexuelle waren. 

 

Heute wird Homosexualität nicht mehr als „Abart“ oder als „Krankheit“, sondern als eine gleichwertige mögliche Realisierungsform von sexueller Identität gesehen. Schritt für Schritt sind seit 1975 (bis dahin war Homosexualität per se strafbar) rechtliche Diskriminierungen beseitigt worden. Erst 1996 ist das „Werbeverbot“ (§220) und das „Vereinsverbot“ (§221) für Homosexuelle aufgehoben worden (bis dahin war es z. B. jederzeit möglich, Vereine, die sich um die Interessen Homosexueller kümmerten, aufzulösen ...). Das bis vor einigen Jahren bestehende „Schutzalter“ von 18 Jahren für homosexuelle Kontakte (§209) ist durch das Parlament in Österreich immer noch nicht aufgehoben worden, sondern lediglich vom Obersten Gerichtshof außer Kraft gesetzt worden, weil es der EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) und dem EU-Recht widerspricht. 

 

Obwohl die rechtliche Diskriminierung von homosexuell orientierten Menschen weitgehend beseitigt ist, ist ein „coming out“, also ein öffentliches Bekenntnis zur eigenen Homosexualität vor allem im ländlichen Bereich noch immer sehr schwierig. Homosexuelle Menschen sind auf offene oder subtile Weise immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt. Der bei vielen Menschen vorhandene, letztlich irrationale Hass auf Homosexuelle (vor allem homosexuelle Männer) dürfte z. T. auf  die Angst vor eigenen verdrängten homoerotischen Persönlichkeitsanteilen zurückzuführen sein. Außerdem stellen Homosexuelle mit ihrer anderen Lebensform traditionelle Männlichkeitsideale und traditionelle gesellschaftliche Strukturen (patriarchale Familie) in Frage. Und auch dies wird oft als Bedrohung empfunden.

die rechtliche Situation in Österreich (mit einem Ausflug in die Geschichte)

Bis zur Kleinen Strafrechtsreform 1975 waren gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen für beide Geschlechter strafbar; die entsprechenden Gesetze reichten bis in die Zeit Maria Theresias zurück. Bis zum Jahr 1852 stand auf  Homosexualität die Todesstrafe, ab dann galt der § 129, der für „widernatürliche Unzucht“ schweren Kerker zwischen ein und fünf Jahren vorsah.

 

Der § 129 galt auch während der NS-Zeit. Von 1938 bis 1945 wurde eine unbekannte Anzahl von homosexuellen Männern, gekennzeichnet mit dem „Rosa Winkel“, in Konzentrationslager eingewiesen und ermordet. Lesben wurden als „asoziale“ Frauen verfolgt und in „Arbeitserziehungslager“ eingewiesen.

 

Zwischen 1950 und 1971 wurden ca. 13 000 ÖsterreicherInnen wegen „widernatürlicher Unzucht“ verurteilt. 95 % waren Männer

 

Einzelne diskriminierende Paragraphen (Werbeverbot, Vereinsverbot) wurden 1996 aufgehoben. Besonders umstritten blieb die Fassung des Paragrafen 209 StGB, der für homosexuelle Beziehungen eine eigene Schutzaltersgrenze mit 18 definierte. Dies führte dazu, dass homosexuelle Kontakte zwischen einem Mann unter 18 und einem Mann über 18 strafbar und mit einer unbedingten Gefängnisstrafe belegt waren. Mehrere Versuche einer parlamentarischen Aufhebung des Paragrafen 209 scheiterten. Im Sommer 2002 hob der OGH den Paragrafen als in Widerspruch zu den Menschenrechten stehend (Gleichheitsprinzip, Diskriminierungsverbot) auf. 

 

Seit dem 1. 1. 2010 gibt es in Österreich eine gesetzlich eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare. Weil diese Partnerschaft bei einem Notar und nicht auf dem Standesamt begründet werden muss, sehen manche Menschen darin immer noch eine Schlechterbehandlung und eine Form der Diskriminierung. Rechtlich ist dadurch aber - vom Adoptionsrecht abgesehen, dass weiterhin auf verheiratete heterosexuelle Paare beschränkt bleibt - ein großer Schritt zu einer rechtlichen Anerkennung erfolgt, der in anderen EU-Staaten schon lange selbstverständlich gewesen ist. 

 

Was betroffene Menschen - neben der nach wie vor bestehenden Diskriminierung in vielen Alltagssituationen und "in den Köpfen" - besonders kritisieren, ist, dass es in Österreich keine Möglichkeit der Adoption für gleichgeschlechtliche Paare gibt. Dabei geht es in den meisten Fällen nicht um eine Fremdadoption, sondern um die Möglichkeit, das Kind des eigenen Partners zu adoptieren und damit die Rechte und Pflichten eines sozialen Elternteils übernehmen zu können. 

 

die rechtliche Situation in Europa

Sowohl die EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats) als auch die EU (Vertrag von Lissabon) verbieten eine Diskrimnierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Im Hinblick auf die rechtliche Gleichstellung gibt es in der Praxis große Unterschiede. Vorreiter sind "traditionell" Staaten wie Dänemark, die Niederlande oder die skandinavischen Staaten. Andere Staaten - wie z. B. das katholisch geprägte Polen oder das derzeit rechtskonservativ regierte Ungarn - hinken stark hinterher. 

Die rechtliche Situation in Europa (Wikipedia)
Die rechtliche Situation in Europa (Wikipedia)

o gleichgeschlechtliche Ehe (in Spanien und Dänemark: einschließlich Adoptionsrecht)

o gesetzlich anerkannte Partnerschaft

laufende Debatte

Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe

keine Anerkennung


Internetlinks