Wichtige Prinzipien im Strafrecht: Wie bestraft der Staat?

Hintergrund und Vorüberlegungen

Hans und Sophie Scholl. Weiße Rose
Hans und Sophie Scholl. Weiße Rose

Die Art und Weise, wie im modernen Rechtsstaat Verstöße gegen das Strafrecht geahndet werden, ist das (vorläufige) Ergebnis eines Entwicklungsprozesses, der viele Jahrhunderte gedauert hat. Auch wenn im modernen Strafrecht nicht alles "perfekt" ist: Vieles ist unendlich besser als das, was Menschen in früheren Zeiten widerfahren ist, wenn sie tatsächlich oder vemeintlich gegen Recht verstoßen haben. 

 

Dass das so ist, können wir uns an zwei einfachen Beispielen bewusst machen: 

 

Beispiel 1: Gefängnisse sind eine relativ "junge" Erfindung, die voraussetzen, dass "der Staat" einen Verwaltungsapparat finanziert, der verurteilte Straftäter "verwahrt" und "wegsperrt". Im Mittelalter gibt es keine Gefängnisse im heutigen Sinn. Es gibt zwar Verließe und Kerker, aber dort werden Menschen nicht primär eingesperrt, weil sie eine Strafe abzusitzen hätten. Strafen im Mittelalter sind entweder materielle Strafen (Geldstrafen), Ausschluss aus der Gemeinschaft (Verbannung) oder Körperstrafen. Letztere reichen von Vertümmelungen (Hand abhacken, Auge ausstechen) bis zur Todesstrafe. 

 

Beispiel 2: In Willkürsystemen - zum Beispiel im Nationalsozialismus - wird das Strafsystem oft benutzt, um Menschen "gefügig zu machen". Sie sollen aus Angst vor exemplarisch harten Strafen keinen Widerstand leisten und sich ans System anpassen. Wie das funktioniert, zeigt auf sehr eindrückliche und brutale Weise das NS-Regime. Selbst auf Verhaltensweise, die wir als Bagatelle-Delikte sehen würden oder die überhaupt keine Strafdelikte sind, stand die Drohung mit der Todesstrafe. So konnten "Wehrkraftzersetzung" oder "Feindsender hören" mit der Todesstrafe geahndet werden. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass Menschen sich nicht trauten, das Regime zu kritisieren, Missstände aufzuzeigen oder am angeblichen "Endsieg" zu zweifeln. Todesurteile wurden oft innerhalb weniger Stunden in Schauprozessen gefällt. Der Staatsanwalt war gleichzeitig Richter. Es gab keine Möglichkeit für eine faire Verteidigung. Es gab keine Möglichkeit, gegen ungerechte Urteile oder Fehlurteile Berufung einzulegen. Der berühmt-berüchtigtste NS-Richter war Roland Freisler. Er hat innerhalb weniger Jahre über 5000 Todesurteile ausgesprochen. Man kann sich vorstellen, dass diese Urteile in den allermeisten Fällen nicht auf der Grundlage fairer Prozesse zustande gekommen sind. Die berühmtesten Opfer des NS-Richters Roland Freisler sind die Mitglieder der Weißen Rose, also z. B. Hand und Sophie Scholl. 

Wichtige Prinzipien des modernen Strafrechtes

Prinzip 1: Prinzip der Menschenwürde

Körperstrafen im Mittelalter
Körperstrafen im Mittelalter

Der Staat bestraft. Aber die Art, wie er das tut, darf dem grundlegenden Prinzip der Menschenwürde nicht widersprechen. Doch was ist Menschenwürde? 

 

"Menschenwürde" ist der grundlegendste Wert, dem moderne Rechtsstaaten sich verpflichtet fühlen. Sie ist wichtiger und grundlegender als Freiheit oder Gleichheit oder sogar als menschliches Leben. Menschenwürde darf nicht aufgeweicht oder eingeschränkt oder gegen andere Grundwerte "aufgewogen" werden. 

 

Was das Prinzip der Menschenwürde beeinhaltet, ist nicht so leicht zu definieren. Es gibt dafür im Wesentlichen zwei Formulierungen, die in ihrer Konsequenz auf etwas Ähnliches hinauslaufen. Die erste Formulierung lautet: Ein Mensch darf nie als reines Mittel  (also: als Objekt, als "Instrument") benutzt werden. Er ist immer in erster Linie "Zweck an sich". Damit will man sagen, dass man einen Menschen nicht zum Gebrauchsgegenstand oder zum Arbeitswerkzeug degradieren darf und dass man ihn nicht als Kostenfaktor bewerten darf. Die zweite Formulierung lautet: Jeder Mensch hat unmittelbaren Anspruch auf körperliche und seelisch (psychische) Integrität. (Dabei versteht man unter Integrität "Unverletzlichkeit" oder "Ganzheit") 

 

Für das Strafrecht bedeutet das: 

Prinzip 1: Strafe darf nicht so sein, dass ein Mensch zu einem Arbeitssklaven degradiert wird. Es darf nicht so sein, dass sein Körper, seine Arbeitskraft ... ausgebeutet wird. 

Prinzip 2: Strafe darf nicht so sein, dass ein Mensch gedemütigt, körperlich geschädigt, psychisch geschädigt wird. 

 

 

Prinzip 2: Prinzip der Gesetzlichkeit

Das Gesetzlichkeitsprinzip besagt, dass jemand nur dann schuldig sein kann, wenn er etwas macht, was zum Zeitpunkt der Tat strafrechtlich verboten gewesen ist. („Keine Straftat ohne Gesetz“ = nullum crimen sine legem; „Keine Strafe ohne Gesetz“ = „nullum poena sine legem“)

 

Eine Ausprägung dieses Prinzips ist auch das Rückwirkungsverbot: Es dürfen keine Gesetze beschlossen werde, die etwas bereits in der Vergangenheit Passiertes unter Strafe stellen.

 

Diskussionen um diese Prinzipien hat es – vor allem in Deutschland – immer wieder gegeben. Zum Beispiel in der Diskussion um die Mauerschützenprozesse: Die umstrittene Frage war/ist, ob ehemalige DDR-Grenzsoldaten, die auf Flüchtlinge geschossen hatten, nach BRD – Recht angeklagt werden dürfen.

 

 

Auch im Zusammenhang mit Verjährungsfristen (für NS-Verbrechen) hat es hier Diskussionen und Probleme gegeben. Bis in die 60er-Jahre hinein war in der BRD für Mord eine 20jährige Verjährungsfrist vorgesehen. Schritt für Schritt wurde diese Frist angehoben, um NS-Verbrecher auch nach 1965 noch belangen zu können. Schließlich wurde in der BRD (später auch in Österreich) ein Gesetz erlassen, das besagt, dass „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nicht verjähren. 

Prinzip 3: Prinzip des Schuldnachweises. Keine Strafe ohne persönliche nachgewiesene Schuld

Nicht jeder, der eine Tat begeht, ist im Sinne des Gesetzes auch schuldig.So gibt es ein paar grundlegende Voraussetzungen dafür, dass jemand, der eine Tat begangen hat, auch im Sinne des Strafrechts als Täter schuldig ist. Wichtige Voraussetzungen für Schuldfähigkeit sind Zurechnungsfähigkeit (oder: Einsichtsfähigkeit) und Handlungsfreiheit zum Tatzeitpunkt. 

 

Nur wenn die betroffene Person auch grundlegend erkennen kann, dass er eine Straftat begeht, besteht Schuldfähigkeit. Aus diesem Grund werden Kinder unter 14 grundsätzlich strafrechtlich nicht belangt, weil der Gesetzgeber ihnen die dafür notwendige Einsichtsfähigketi nicht zuspricht (auch wenn diese vielleicht im Einzelfall vorhanden wäre). Und für Jugendliche gelten mildere Strafrahmen, weil man von einer verminderten Einsichtsfähigkeit ausgeht. Aber auch Erwachsenen können in einem Zustand sein, in dem sie nicht oder nur eingeschränkt einsichtsfähig sind sind (z. B. weil sie an einer psychischen Erkrankung oder an einer neurologischen Erkrankung leiden und die Tat damit in Zusammenhang steht). 

 

Auch wenn Menschen unter Zwang oder unter Druck handeln, ist keine (oder eine verminderte) Schuldfähigkeit gegeben. Das wäre z. B. in Notwehr- oder Nothilfesiuationen oder in Situationen der Nötigung der Fall. 

 

 

Es ist die Pflicht des Anklägers, die Schuld eines Angeklagten zu beweisen und nicht umgekehrt. Das heißt, dass jemand nur bei nachgewiesener Schuld auch verurteilt und bestraft werden kann. 

 

Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass es Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, vor Gericht die Schuld eines Angeklagten nachzuweisen. Wenn der Schuldnachweis nicht gelingt, muss das Gericht einen Angeklagten im Zweifel freisprechen. Im Zweifel ist es besser, einen Täter nicht zu verurteilen als einen unschuldigen Menschen zu Unrecht zu verurteilen und zu bestrafen. (Prinzip: Im Zweifel für den Angeklagten)

 

Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, dass es die Möglichkeit geben muss, gegen ein als unrichtig empfundenes Urteil Rechtsmittel einzulegen, also z. B. in Berufung zu gehen. 

 

 

Prinzip 4: Prinzip der Verhältnismäßigkeit

Ein weiteres wichtiges Prinzip ist das der Verhältnismäßigkeit. Das heißt, eine Strafe muss der Tat angemessen sein und in einer fairen Relaition zur Straftat stehen. Ein Richter muss sich dabei an einen vorgegebenen gesetzlichen Strafrahmen halten. Bei der Strafzumessung kann und muss er die näheren Umstände der Tat berücksichtigen.

 

Dazu zählen neben der äußeren Tatseite (die eigentliche Tat) auch die innere Tatseite (das Motiv des Täters) und die näheren Umstände. Auch das Vorleben des Täters, seine Geständigkeit, sein Bemühen, den Schaden wieder gutzumachen, seine Reue, ... müssen berücksichtigt werden.