Lernen und Gehirn: Wie funktioniert das Einspeichern?

Lernen als Basis des Gedächtnisses

Als Gedächtnis können wir das psychische System definieren, das dafür zuständig ist, dass wir Informationen 

a) aufnehmen (rezipieren, lernen)

b) über einen längreen Zeitraum abspeichern (merken, behalten)

c) bei Bedarf wieder abrufen (reproduzieren)

können. 

 

Das Gedächtnis ist kein "Ort" im Gehirn. Vielmehr sind eine ganze Reihe psychischer Prozesse und viele unterschiedliche Hirnregionen (sowohl in der Großhirnrinde als auch in subkortikalen Gehirnregionen) am Gedächtnis beteiligt. 

 

Damit wir etwas aus dem Gedächtnis abrufen (also erinnern) können, muss es zunächst einmal dort hinkommen. Das heißt, wir müssen lernen. 

 

Lernen ist - ganz allgemein gesprochen - zunächst einmal einfach die Reaktion unseres Gehirns auf Erfahrungen, die wir machen. Erst wenn eine Erfahrung auch tatsächlich eine nachhaltige und langfristige Veränderung im Gehirn bewirkt hat, können wir von Lernen sprechen. 

 

Welche Veränderungen durch Lernerfahrungen im Gehirn entstehen, ist eine spannende Frage. Ganz allgemein können wir sagen, dass durch Lernen im Gehirn neue neuronale Verknüpfungen (also Verbindungen zwischen Nervenzellen) entstehen. Je öfters wir eine bestimmte Lernerfahrung machen, desto stabiler ist diese Verbindung im Normalfall auch. Und: je mehr Eingangskanäle (Sinneskanäle, Emotionen, motorische Zugänge, ... ) an einer Lernerfahrung beteiligt sind, desto besser wird sie abgespeichert. 

 

Was passiert auf der Ebene der Nervenzellen?

neuronales Netz: Entwicklung bis zum zweiten Lebensjahr
neuronales Netz: Entwicklung bis zum zweiten Lebensjahr

Unser Gehirn besteht aus 100 bis 150 Milliarden Nervenzellen, im Fachbegriff: Neuronen. Diese gigantische Zahl von Neuronen ist bereits bei der Geburt vorhanden. Lange Zeit hat man gedacht, dass nach der Geburt keine neuen Nervenzellen mehr gebildet werden. Heute weiß man zwar, dass das so nicht stimmt. Aber im Wesentlichen kommen wir mit den Nervenzellen, mit denen wir geboren werden, auch unser gesamtes Leben lang aus. Es ist sogar neueren Erkenntnissen zufolge so, dass ein Teil der Nervenzellen im Laufe der ersten Lebensjahre wieder "verschwindet".

 

Obwohl wir also nach unserer Geburt kaum noch neue Nervenzellen bilden, verdoppelt sich das Gewicht unserers Gehirns in den ersten zwei Lebensjahren. Wie ist das möglich?

 

Nervenzellen gehen mit anderen Nervenzellen Verbindungen ein. Eine einzige Nervenzelle kann so mit hunderten oder sogar tausenden anderen Nervenzellen verbunden sein. So entstehen in unserem Gehirn neuronale Netzwerke. Und diese Netzwerke spiegeln die Lernerfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen. Was wir als Lernen bezeichnen, ist (etwas vereinfacht gesagt) nichts anderes, als die Neuentstehung und die Verstärkung bereits bestehender Verbindungen zwischen Nervenzellen. Je öfters wir eine bestimmte impulsauslösende Erfahrung machen, desto stabiler wird die synaptische Verbindung zwischen den Nervenzellen, die diese Erfahrung repräsentieren.

 

Lernen ist also auf der Ebene des Gehirns die Veränderung der Feinstruktur unserers Gehirns (synaptische Verbindungenden zwischen Nervenzellen; Entstehung neuronaler Netze) in Abhängigkeit von unseren Erfahrungen.  

Wo im Gehirn passiert Lernen?

Rindenfelder (Quelle: Hannelore-Kohl-Stiftung)
Rindenfelder (Quelle: Hannelore-Kohl-Stiftung)

Was beim Lernen im Gehirn genau passiert, weiß man bis heute nicht zur Gänze. In Teilbereichen kann man aber Lernen und Gedächtnis sehr gut erklären. Nicht zuletzt die Forschungsansätze, die sich aus den Schicksalen von Menschen wie Henry Molaison, Banjaman Kyle oder Jill Price ergeben, lassen Erkenntnisse über die Art, wie wir Lernen und wie wir Inhalte im Gedächtnis speichern, zu. 

 

Was die Forschung bisher weiß: 

 

Gedächtnisinhalte, die wir bewusst erinnern können, sind im Großhirn gespeichert. Dort lassen sich unterschiedliche Rinden-Felder identifizieren, die mit ganz spezifischen Gedächtnis-Inhalten in Verbindung stehen. Erinnerungen, die uns als "Einheiten" erscheinen, können in unterschiedlichen Rindenfeldern gespeichert sein. Das lässt sich am Beispiel Sprache gut illustrieren: Die Bedeutung von Begriffen ist an einem anderen Platz gespeichert als die akustische Erkennung eines Begriffs (Hören: Hörfeld) oder das Schriftbild eines Begriffs (Sehfeld) oder die Übersetzung eines Begriffs in eine Fremdsprache oder die emotionale Färbung eines Begriffs. Wenn - z. B. durch eine Gehirnverletzung - ein bestimmter Teil des Großhirns geschädigt ist, kann es zu ganz spezifischen Ausfällen kommen. Z. B. kann dann ein Mensch einen Begriff (sagen wir: "Hammer") nicht identifizieren, wenn er ihn hört. Aber er kann diesen Begriff assoziieren, wenn er das Bild eines Hammers sieht. Bis zu einem gewissen Grad können benachbarte Gehirn-Regionen  durch Training (z. B. Logotherapie) dazu gebracht werden, Leistungen ausgefallener Gehirn-Regionen zu übernehmen. 

 

Damit Gedächntis-Inhalte aber dauerhaft abgespeichert werden können, müssen sie zuerst einmal bis ins Großhirn gelangen. Dabei spielen der Hippocampus und der so genannte mediale Temporallappen eine zentrale Rolle: 

 

Eine Schlüssel-Rolle beim dauerhaften Einspeichern von Inhalten, also beim Übergang vom Kurzzeitgedächtnis zum Langzeitgedächtnis spielt (neben dem medialen Schläfenlappenen) vor allem der Hippocampus (Teil des Limbischen Systems) eine zentrale Rolle. Dabei wirkt der Hippocampus wie ein Filter, durch den alle Informationen hindurchmüssen, damit sie langfristig abgespeichert werden können.  Leicht ins Langzeitgedächtnis gelangen vor allem Informationen, die mit Gefühlen verbunden sind. Eine wichtige Rolle spielt dabei aber neben der Gefühlsintensität auch die Art des Gefühls: mit positiven Gefühlen verbundene Informationen werden anders verarbeitet und gespeichert als mit negativen Gefühlen verbundene Informationen.  Zumindest legt die Trauma-Forschung nahe, dass mit starkem Angst-Erleben verbundene Erfahrungen nicht im Wissens-Gedächtnis, sondern im (episodischen / biographischen) Bilder-Gedächtnis landen. Der distanzierender Umgang mit diesen Bildern ist dann nicht möglich, was dazu führt, dass betroffenen durch unterschiedliche Auslöser (Trigger) wieder in die ursprüngliche Angst auslösende Situation hineinkatapultiert werden. Erst wenn es im Nachhinein gelingt, für die Bilder auch Worte und Sätze zu finden, ist ein distanzierender Umgang mit diesen Erfahrungen möglich. Das erklärt, weshalb das Reden oder das Aufschreiben ein wichtiger Ansatz ist, zu einem reflektierten / distanzierten Umgang mit psychischen Traumata zu kommen. (Dabei spielt wahrscheinlich auch der mediale Schläfenlappen, ein Teil des Großhirns, eine zentrale Rolle. Er ist wahrscheinlich dafür zuständig, dass wir Inhalte mit räumlichen oder zeitlichen oder logischen Koordinaten versehen und ihnen dadurch erst eine Bedeutung geben können) 

Arbeitsaufgaben; zum Weiterdenken

A1W: Erkläre, was im Gehirn beim Lernen (und damit: beim Einspeichern ins Gedächtnis) auf der Ebene der Nervenzellen abspielt. Was ist - biologisch gedacht - die Voraussetzung dafür, dass wir etwas dauerhaft Lernen und damit ins Gedächtnis abspeichern?

 

A2W: Welche Rolle spielen beim Einspeichern und Reproduzieren unterschiedliche Rindenfelder (z. B. sensorische Felder)?

 

A3W: Welche Aufgabe spielt beim Einspeichern von Informationen offenbar der Hippocampus? 

 

A4R: Wer Kinder beobachtet oder sich an die eigene Kindheit erinnert, wird feststellen, dass ein Kind noch keine Lernprobleme kennt. Es lernt leicht, spielerisch, lustvoll und vor allem mühelos. Das Kind ist neu-gierig, d. h.: begierig darauf, Neues kennenzulernen und zu begreifen. Es lernt die Muttersprache spielerisch und mühelos ohne zu pauken. Es lernt Körper-Koordination (Gehen, Radfahren, Ballspielen, ....), das Hantieren mit unzähligen Gegenständen (Geschirr, Kassettengeräte, TV, Computer, .....), sich in verschiedensten Situationen „richtig“ zu verhalten etc. Demgegenüber scheinen schon viele Jugendliche und erst recht Erwachsene mit dem Lernen Probleme zu haben. Sie finden Lernen schwierig, anstrengend und mühselig. Neuen und unbekannten Situationen gehen sie lieber aus dem Weg, als dass sie das Risiko auf sich nähmen, etwas nicht gleich zu können. Was könnten Ursachen für dieses Phänomen sein? Was führt dazu, dass Lernen Spaß macht und dass wir "gerne lernen"? Was / welche Erfahrungen führen umgekehrt oft dazu, dass wir Lernen als frustrierend und mühselig empfinden und die Lust am Lernen verlieren? Was wären Voraussetzungen dafür, dass Jugendliche und Erwachsene besser (und vor allem: lieber) lernen? Mache eine Liste mit Lernförderern und Lernblockierern. Formuliere ein paar Grundsätze für lernende Personen oder für PädagogInnen, die anderen beim Lernen helfen sollten. (So nach dem Motto: Dos and don'ts für Eltern, für LehrerInnen, für SchülerInnen).

 

A5R/T: Ein Schüler / eine SchülerIn in der 7. Klasse hat schon sehr viele Lernerfahrungen gesammelt. Dazu zählen motivierende Lernerfahrungen und frustrierende Lernerfahrungen. Diese Erfahrungen können sein/ihr weiteres Lern-Leben beeinflussen. Und so hat jeder seinen ganz persönlichen Lernlebenslauf.  Mache dir zu deinem Lern-Lebenslauf und zu deinem Lernverhalten ein paar Gedanken. 

Internetquellen: