Psychopathologie. Oder: Was heißt schon "normal"?

Ein peinliches Experiment ...

Der us-amerikanische Psychologe David Rosenhan von der Universität Standord denkt sich Ende der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts ein ziemlich hinterhältiges Experiment aus:

 

Rosenhan schickt acht psychisch gesunde Versuchspersonen (u. a. Psychologen, Psychiater und Psychologiestudenten) in insgesamt zwölf psychiatrische Kliniken. Sie sollen sich mit der erfundenen Aussage, sie hörten Stimmen, in der Ambulanz melden. Außer falschen Daten zur eigenen Person sollten sie in der Folge nur noch die Wahrheit sagen. Ergebnis des Experiments: alle Versuchspersonen erhielten eine psychiatrische Diagnose (v.a. Schizophrenie). Keine der Versuchspersonen wurde durch die diagnostischen Tests als gesund erkannt. Dass nach der Aufnahme angeblich keine Symptome mehr auftraten, nutzte die Versuchspersonen zunächst einmal nichts. Ihre Beteuerungen, gesund zu sein, wurden als Teil des Krankheitsbildes gedeutet. Nach durchschnittlich 19 Tagen wurden die Versuchspersonen nicht als geheilt, sondern als (vorläufig) symptomfrei entlassen. Eine Person musste 52 Tage in der Klinik bleiben. Die Versuchspersonen erhielten während ihres Klinkaufenthalts insgesamt über 2000 unterschiedliche Tabletten (die sie allerdings nicht einnahmen.). Besonders interessantes Detail: die richtigen PatientInnen durchschauten – im Gegensatz zum psychiatrischen Fachpersonal - in vielen Fällen, dass die Versuchspersonen nicht wirklich krank waren. [Quelle: Rosenhan e.a. “On beeing sane in insane places” (1973); Experiment beschrieben in L. Slater: „Von Menschen und Ratten“, S 86ff)]

 

... und eine Diskussion

Basaglia: Psychiatriekritik
Basaglia: Psychiatriekritik

Das Experiment von Rosenhan sorgt – verständlicherweise – für ziemlich viel Wirbel und ist auch ein wichtiger Bezugspunkt, als in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts eine Grundsatzdiskussion über das grundlegende Menschenbild und die medizinischen Methoden der Psychiatrie einsetzt. Die Anti-Psychiatrie-Bewegung kritisiert die klassische Psychiatrie als menschenunwürdig und als fundamentale Menschenrechte verletzend. Der Begriff „psychisch krank“ wird ebenso grundlegend in Frage gestellt wie die Praxis, psychisch kranke Menschen ohne ihre Zustimmung oder sogar gegen ihren Willen in psychiatrischen Anstalten festzuhalten und zu therapieren. Ganz abgesehen davon, dass die Nebenwirkungen von jahrelanger Hospitalisierung und Zwangsbehandlung psychisch kranke Menschen weit mehr schädigen als die eigentliche Krankheit. Vorreiter dieser Bewegung ist der italienische Psychiater Franco Basaglia, der in Mailand kurzerhand die Schließung aller psychiatrischen Kliniken durchsetzt.

 

In Österreich führt diese Kritik (wie in anderen europäischen Staaten) dazu, dass ganz grundlegend über den Umgang mit psychisch kranken Menschen nachgedacht wird. Es kommt zu wichtigen gesetzlichen Neuregelungen, die Ergebnis dieses Diskussionsprozesses sind. Dazu zählen das

 

  • das Unterbringungsgesetz (1989). Es besagt im Wesentlichen, dass ein psychisch kranker Mensch nicht gegen seinen Willen stationär untergebracht werden darf und dass er nicht ohne seine Zustimmung behandelt werden darf (Ausnahme: akute Selbst- oder Fremdgefährdung)
  • das Psychotherapie-Gesetz 1990: regelt nicht-medizinische therapeutische Ansätze zur Behandlung psychischer Krankheiten; die Krankenkassen übernehmen (allerdings nur in einem sehr engen Rahmen) die Behandlungskosten für nicht-medizinische Therapien, also z. B. für Gesprächstherapie

... grundlegende Begriffe

Psychopathologie

von griech. „pathos“ = Leiden, Krankheit

Lehre von den psychischen Krankheiten

 

Klinische Psychologie

Teilbereich der Psychologie, der sich mit psychischen Krankheiten (v.a. Diagnose und Beratung) auseinandersetzt; Spezialisierung im Rahmen des Psychologie-Studiums; „geschützter Begriff“; keine Berechtigung zur Therapie!

 

Psychiatrie

Teilbereich der Medizin; Medizinische Fachrichtung; Grundausbildung: Medizinstudium; dominantes Paradigma: psychische Erkrankungen sind Folge genetischer und/oder umweltbedingter Erkrankungen des ZNS; Berechtigung zur Therapie; exklusive Berechtigung zu Therapieverfahren, die in die körperliche Integrität von Menschen (mit deren Zustimmung!) einzugreifen à Medikamente, Elektrokrampftherapie, chirurgische Verfahren etc.

 

Psychotherapie

Eigener Ausbildungsweg (Psychotherapeutisches Propädeutikum à Fachspezifikum); für unterschiedliche Grundberufe offen; Berechtigung zur Therapie mit nicht-medizinischen Verfahren; in Österreich sind ca. 20 psychotherapeutische Grundrichtungen zugelassen. Grundlage dafür ist das Psychotherapiegesetz 1990

Einen Überblick über die in Österreich anerkannten Psychotherapeutischen Richtungen findest du hier. 

 

Psychologie; psychologische Beratung

Keine geschützten Begriffe / Bezeichnungen!!!!!

 

 

 

Neurosen, neurotisch

„neuro“ = auf Nervenzellen bzw. das Nervensystem bezogen; ursprüngliche Bedeutung ist „Nervenkrankheit“; lange Zeit versteht man unter Neurosen psychische Erkrankungen, die „das ICH“ im Kern nicht betreffen. Dazu zählen z. B. Angst-, Zwangs- oder Suchterkrankungen. Man grenzt neurotische Erkrankungen von den psychotischen Erkrankungen ab. In den heutigen Diagnose-Schlüsseln (ICD, DSM) gibt es diese Unterscheidung nicht mehr.

 

Psychosen, psychotisch

Gegenbegriff zu Neurosen; klassischerweise bezeichnet man damit die Krankheitsbilder, die „das ICH“ im Kern seiner Identität betreffen. Dazu zählen einerseits die Schizophrenien (im Kern: Veränderungen des Denkens und der Wahrnehmung) und die Erkrankungen aus dem depressiven Formenkreis (Manie und Depression; im Kern: Veränderungen des Fühlens und des Antriebs)

 

ICD, DSM

Internationale Diagnose-Schlüssel, auf deren Grundlage psychiatrische und psychotherapeutische Diagnosen erstellt werden.

ICD = Internationals Classifikation of Diseases; Diagnosehandbuch der WHO, das alle Krankheitsbilder umfasst. Die psychischen Krankheiten sind in Kapitel V erfasst. Sie beginnen alle mit dem Buchstaben F. F2x.x bezeichnet z. B. Krankheitsbilder aus dem Formenkreis der schizophrenen Psychosen. 

DSM = Dignostic and Statistical Manual of Mental Disorders; Diagnosehandbuch der us-amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft. Seit 2014 gibt es die (wie immer stark diskutierte und umstrittene) 5. Version, also das DSM-5


Informationen zum ICD findest du auf Wikipedia. den (deutschen) ICD-Schlüssel findest du hier


Informationen zum DSM findest du auf Wikipedia

 


Zum "Image" psychischer Krankheiten ...

historische "Behandlungsmethoden"
historische "Behandlungsmethoden"

Begriffe wie „psychisch krank“, „Psychiatrie“ oder „verrückt“ lösen meistens eine ganze Kette von Assoziationen aus. Die meisten von ihnen sind negativ und/oder angstbesetzt.

 

 

Auf der Hitliste der unbeliebtesten Krankheiten rangieren psychische Erkrankungen wie Schizophrenien oder Depressionen kurz nach AIDS und nach Geschlechtskrankheiten ganz oben  [Informationen dazu findest du z. B. hier]. Das hat vermutlich viele Gründe. Psychokrimis und Medienberichterstattung tragen vermutlich ihren Teil dazu bei, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen vielfach als gefährlich erscheinen. (In Wirklichkeit ist die Kriminalitätsrate von Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht höher als in der Durchschnittbevölkerung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind psychisch erkrankte Menschen wenn überhaupt, dann vor allem eine Gefahr für sich selbst). Filme wie „Einer flog übers Kuckucksnest“ prägen ein Bild von einer Psychiatrie, die mit Entrechtung der Persönlichkeit, Zwangstherapie und Freiheitsentzug verbunden ist (Historisch sind solche Filme berechtigt. Sie prägen aber bis heute das Bild der Psychiatrie vieler Menschen, obwohl psychiatrische Einrichtungen zumindest in Mitteleuropa sich inzwischen sehr zum Positiven verändert haben.) Am wichtigsten ist aber vermutlich, dass psychische Erkrankungen unsere Persönlichkeit und unsere Identität im Kern tangieren. Wer psychisch krank ist, verliert in vielen Fällen einen Teil seiner ursprünglichen Kernpersönlichkeit. Die Krankheit scheint sein Ich zu dominieren. Das löst (zumindest wenn wir tiefenpsychologisch denken) Abwehrreaktionen und Verdrängungsmechanismen aus. Wir wollen mit dem Thema lieber nicht konfrontiert werden, wenn es nicht unbedingt sein muss.

 

Der Boom, den Diagnosen wie „Burnout“ derzeit erleben (obwohl es in den Diagnose-Schlüsseln gar kein solches Krankheitsbild gibt), könnte auch damit zusammenhängen, dass Menschen mit dieser Diagnose besser leben können als mit der Diagnose einer schweren Depression. 

 

Für die Tabuisierung psychischer Krankheiten zahlen betroffene Menschen einen hohen Preis:

  • Diagnosen erfolgen häufig verspätet und nach einer langen medizinischen Odyssee.
  • Psychische Krankheiten wie Angst- oder Zwangserkrankungen werden teilweise aufgrund einer unzureichenden Diagnose (häufig durch praktische Ärzte) ausschließlich symptomatisch und medikamentös behandelt. Eine differenzierte Diagnose und eine zeitgemäße mehrdimensionale Therapie unterbleibt.
  • Menschen mit einer psychischen Krankheitsgeschichte kämpfen mit Stigmatisierung und Vorurteilen

 

Der Begriff "psychisch krank". Definitionen

Statistische Normen gehen von einer "Normalverteilung" aus

Wann kann ein bestimmtes Erleben  und/oder Verhalten als „psychisch krank“ bewertet werden? Diese Frage ist – bei genauerer Betrachtung – ganz schön verzwickt.

 

Ein Beispiel:  Eine Person (nennen wir sie A.) fühlt sich müde und niedergeschlagen. Er / Sie hat keine Lust, gemeinsam mit anderen etwas zu unternehmen. Stattdessen bleibt er / sie lieber zuhause. Auch das Arbeiten macht ihm/ihr in letzter Zeit keinen Spaß mehr. Überhaupt macht ihm/ihr in letzter Zeit nichts mehr wirklich Spaß. Neben Lustlosigkeit ist Trauer ein häufiges Gefühl.

 

Vermutlich denken wir jetzt in Richtung Depression als psychischer Erkrankung. Ob A. jetzt aber tatsächlich an einer Depression erkrankt ist, lässt sich so einfach nicht sagen. Schließlich kennen wohl die meisten Menschen Phasen, in denen sie über nur wenig Antrieb verfügen und in denen ihre Stimmung eher „im Keller“ ist. Wie können wir eine normale Episode gedrückterer Stimmung – wie sie zum Leben ganz einfach auch dazugehört – von einem Krankheitsbild Depression abgrenzen?

Zunächst einmal können wir nach Normkriterien Ausschau halten. Dabei müssen wir statistische (quantitative) Normen von qualitativen Normen unterscheiden.

 

(a) statistische (quantitative) Norm

Quantitative Normen orientieren sich am statistischen Durchschnitt (Gaußsche Glockenkurve). Als  „abnorm“ gelten Verhaltens- und Erlebensweisen, die (nach oben oder nach unten) im Extrembereich liegen. Als „nicht-normal“ gälte demzufolge ein besonders negatives, aber auch ein besonders positives Selbstbild, eine besonders starke Antriebshemmung, aber auch extreme Aktivität.

Wichtige weitere Gesichtspunkte sind die Persistenz (Dauerhaftigkeit; Wie lange dauert die Symptomatik bereits? Wie durchgängig ist sie?), das Ausmaß der Störung (Wie viele Lebensbereiche sind betroffen?), den Schweregrad und die Häufigkeit der Symptome (Wie oft treten Symptome auf? Wie schwer sind die Symptome) sowie die konkreten Lebensumstände (z. B. depressive Symptome als Reaktion auf ein Verlust-Erlebnis <--> depressive Symptome ohne erkennbaren Auslöser). Verfeinern lässt sich diese Skalierung, wenn wir für bestimmte Personengruppen (Alter, Geschlecht, …) spezifische Glockenkurven als Norm verwenden

 

(b) subjektive / funktionale Norm

 

Ergänzt werden statische Normen durch subjektive Normen, die sich nicht unmittelbar messen und quantifizeren lassen. Dazu zählen z. B.

  • Leiden; Leidensdruck des betroffenen Menschen; eventuell auch von Angehörigen
  • soziale Beeinträchtigung (z. B. Gefahr, dass Arbeitsplatz verloren geht; soziale Isolation)
  • Beeinträchtigung der persönlichen Entwicklung (sensible Lebensphase?)
  • Auswirkungen auf das soziale Umfeld (v. a. Kinder)
  • Selbstgefährdung
  • Fremdgefährdung

 

Weitere Gesichtspunkte

Zur Diagnose von psychischen Erkrankungen verwenden Ärzte und Psychotherapeuten Diagnoseschlüssel. Die bekanntesten sind das ICD 10 (“International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems"; Diagnosesystem der WHO); und das DSM V (Diagnostic and Statistical Manual).

  

Beide Klassifikationssysteme arbeiten im Wesentlichen mithilfe der oben beschriebenen Diagnose-Ansätze. Sie verzichten auf Aussagen über Ursachen psychischer Erkrankungen und orientieren sich am konkreten Symptom. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu alten Theorien, die nach psychischen Ursachen (Neurosen) und körperlichen Ursachen (Pychosen) unterschieden haben.

 

Vorstellungen von „normal“ und „psychisch krank“ spiegeln (zumindest in Teilbereichen) immer auch bestimmte gesellschaftliche Normen über das, was ein angemessenes oder nicht-angemessenes (und damit tendenziell pathologisches) Verhalten sei. Ändern sich Gesellschaften, ändern sich auch ihre Vorstellungen von Normalität und Nicht-Normalität. Ein klassisches Beispiel, an dem sich diese Problematik zeigen lässt, ist Sexualität. In einer Gesellschaft, in der Sexualität (mehr oder weniger) ausschließlich über die Fortpflanzungs-Funktion definiert und religiös normiert ist, gilt Heterosexualität (und dort meistens auch in ihrer genitalen Form) als normal. Andere Formen der Sexualität (also z. B. von der genitalen Sexualität abweichende Sexualpraktiken oder Homosexualität) werden in diesem Kontext sehr schnell pathologisiert. So wird Homosexualität bis 1975 von der WHO als psychische Krankheit, die per se behandlungsbedürftig ist, definiert. Menschen, die als homosexuell diagnostiziert werden, können gegen ihren Willen psychiatriert und behandelt werden (das reichte – wie man vor kurzen zur Kenntnis nehmen musste – offenbar bis zur Zwangskastration von Jugendlichen [vgl.„Die Presse“, 19. 3. 2012: Niederlande: Homosexuelle Jugendliche kastriert?  ]) 1975 streicht die WHO – vor allem in Folge der „sexuellen Revolution“ der 68er-Bewegung und eines neuen Verständnisses von Sexualität – Homosexualität als Krankheit aus dem ICD. Andere Bespiele, in denen sich problematische Normierungen zeigen, sind z. B. Promiskuität (bei Frauen gelten häufig wechselnde SexualpartnerInnen sehr viel schneller als pathologisch als bei Männern) oder abweichende sexuelle Vorlieben (Paraphilien wie z. B. Fetischismen [vgl.Übersicht über so genannte Paraphilien]) 


Die klassische Einteilung psychischer Erkrankungen

A) Psychoreaktive Störungen

  • Alkohol-, Drogen-, Medikamentenabhängigkeit
  • psychosomatische Störungen
  • Ess-Störungen (Anorexia Nervosa = Magersucht; Bulimie = Ess-Brech-Sucht) und körperliche Süchte (haben aber auch neurotische Anteile)

Psychoreaktive Störungen sind Störungen, die sich auf der Symptom-Ebene vor allem im Körperlichen manifestieren, ihre Ursachen aber im Psychischen haben. Eine generelle Zuordnung von körperlichen Symptomen zu bestimmten psychischen Ursachen ist nicht möglich. Ob eine Erkrankung (z. B. eine Hauterkrankung) organisch oder psychisch bedingt ist, lässt sich nur über eine genaue Diagnose klären.

 

B) Neurosen (organische Ursache nicht wahrscheinlich / im Hintergrund; „Ich“ im Kern nicht betroffen)

  • Angststörungen (Panikattacken, Phobien)
  • Zwangsstörungen (Gedankenzwänge, Handlungszwänge, ....); Süchte, Ess-Störungen
  • Reaktive Depressionen (Depressionen als Reaktion auf Überlastung, Lebenskrisen, ...)

Neurosen sind nach traditionellem Verständnis Erkrankungen, die vorwiegend psychogen sind, das heißt: es wird angenommen, dass die Ursachen für die Erkrankung v. a. auf der psychischen Ebene lieben. Allerdings wird heute aber auch davon ausgegangen, dass biologische Faktoren (Dispositionen) eine Rolle spielen. Auch die Symptomatik liegt primär auf der psychischen Ebene. Körperliche Symptome sind sekundär. Der primäre Therapie-Ansatz ist ein psychotherapeutischer. Medizinische Therapie sollte aber in vielen Fällen ergänzend und stützend eingesetzt werden.

 

C) Psychosen

  • Schizophrene Störungen (inhaltl. und formale Denkstörungen)
  • Schizoaffektive Störungen (Stimmung/Aktivität: endogene Depression; Manie)

Psychosen sind (nach klassischem Verständnis) die schwersten Formen psychischer Erkrankungen, sie sind fast immer stark endogen, das heißt durch eine körperliche Veränderung (v. a. Veränderung im Neurotransmitter-Haushalt im ZNS) mitbedingt. Deshalb ist die Therapie erster Wahl eine medikamentöse Therapie (z. B. mit Neuroleptika gegen Schizophrenie oder Antidepressiva gegen endogene Depressionen). Begleitet sollten aber auch psychotherapeutische Verfahren zum Einsatz kommen, beispielsweise weil dadurch die mit einer solchen Erkrankung Hand in Hand gehenden psychischen Extremerfahrungen besser aufgearbeitet // integriert werden können.

 

Im Unterschied zu Neurosen ist bei einer Psychose das Ich (als Kern der eigenen Persönlichkeit) mitbetroffen. Eine Psychose führt dazu, dass die eigene Persönlichkeit entweder im Denken oder im emotionalen Bereich in ihrer Identität als verändert erlebt wird, dass die alte // vertraute Persönlichkeit plötzlich nicht mehr greifbar und durch eine neue ersetzt erscheint.

Neues Konzept: Vulnerabilität

Vulnerabilität = Verletzlichkeit
Vulnerabilität = Verletzlichkeit

Allerdings: Die Unterteilung in Psychosen und Neurosen wird in der Medizin und in der Psychotherapie heute so nicht mehr vorgenommen; u. a. weil man „Zuschreibungen“ verhindern will, aber auch, weil die Trennung nach äußeren (umeltbezogenen) und inneren (biologischen) Ursachen in der Praxis nicht haltbar ist. Denn es ist heute sehr viel klarer, dass psychische Erkrankungen immer eine körperliche und eine psychische Ursachen-Dimension haben.

 

Deshalb gehen die meisten Theorien heute von einem Vulnerabilitäts-Modell aus. Damit ist gemeint, dass Menschen (aufgrund genetischer Dispositionen = Veranlagungen) mehr oder weniger "verletzlich" sind und damit mehr oder weniger gefährdet, in Stress- und Belastungssituationen mit einer bestimmten Symptomatik zu reagieren. Die biologische Veranlagung wird durch lebensgeschichtliche Prägungen entweder verstärkt oder abgeschwächt. Ob sich ein konkretes Krankheitsbild entwickelt, hängt außerdem von akuten Belastungsmomenten (z. B. Stress) ab.