Frauenrechte und Islam

An der Diskussion um Frauenrechte und um die prinzipielle Gleichheit von Frauen entzündet sich häufig eine Diskussion um die Frage, ob und inwieweit "der Islam" eine Religion sei, die sich mit dem westlichen Gleichheitsverständnis verträgt. 

 

Bilder, die wir dabei meistens im Kopf haben, stammen häufig aus den Medien. In islamisch geprägten Ländern wie dem Iran oder Saudi-Arabien sind Frauen in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens benachteiligt. Die ideologische Basis dafür liefert der Koran (oder vielmehr: bestimmte Auslegungstraditionen des Koran, also bestimmte Rechtsschulen). 

 

Tradition und Religion auseinanderzuhalten, ist dabei oft schwierig. Denn unbestreitbar ist der Islam eine Religion, die sich in den meisten Regionen auf der Basis einer patriarchalen Kultur entwickelt hat. Allerdings gilt das in ähnlicher Form auch für das Judentum und das Christentum. 

 

Die "Bruchlinie" verläuft in allen drei Religionen zwischen zwei grundsätzlich unterschiedlichen Auffassungen von Religion und der Bedeutung von Religion für die Lebenspraxis und den Lebensalltag:  

Frauenrechtsverletzungen und Islam


Nicht zuletzt manche Frauen, die selbst aus traditionellen muslimischen Familien stammen und die in Westeuropa aufgewachsen sind, kritisieren bestimmte Praktiken wie Zwangsheiraten oder im Extremfall sogar Ehrenmord als Traditionen, die durch einen traditionalistischen Islam legitimiert würden. Eine dieser Frauen ist Cerap Cileli. Ihre Positon wird im folgenden Filmbeitrag sichtbar. 

traditionalistische Strömungen

Zu den traditionalistischen Strömungen zählen fundamentalistische religiöse Gruppierungen, vor allem aber auch islamistische Gruppierungen. 

 

Unter Fundamentalismus versteht man Richtungen, die auf einer wortwörtlichen Gültigkeit und auf einer absoluten Autorität religiöser Quellen - in dem Fall: des Koran - beharren. Sie stehen dieser Auffassung zufolge über allem anderen, insbesondere auch über wissenschaftlichen Erkenntnissen und über gesellschaftlichen Veränderungen und Entwicklungen. Deshalb kann es dieser "Logik" zufolge keinen Unterschied ausmachen, ob eine Muslima im 21. Jahrhundert in Westeuropa lebt oder ob sie im 9. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel gelebt hat. Die "Gesetze des Koran" gelten für beide gleichermaßen. 

 

Unter "Islamismus" versteht man Richtungen, die religiöse Quellen - in diesem Fall: den Koran - als Grundlage für die gesellschaftliche Ordnung begreifen. In diesem Zusammenhang wesentlich ist die Vorstellung, dass religiöse Pflichten entweder über dem staatlichen Recht stünden oder dass die religiösen Quellen überhaupt Grundlage der staatlichen Ordnung seien. Für ein westliches, also: säkulares Staatsverständnis, das eine fundamentale Trennung von Staat und Religion voraussetzt, ist eine solche Auffassung natürlich nicht akzeptabel. 

 

Fundamentalistische Strömungen und Strömungen, die eine Trennung von Staat und Religion ablehnen, gibt es auch im Christentum und im Judentum. 

 

Im Hinblick auf Frauenrechte verneinen fundamentalistische und islamistische Gruppierungen meistens die Frage, ob Frauen selbst entscheiden können / dürfen, ob sie ein Kopftuch tragen wollen. Für sie ist das Tragen des Kopftuches eine religiöse Pflicht, die nicht "verhandelbar" ist. 

 

In islamistischen Staaten ist demzufolge das Tragen einer Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit auch eine Verpflichtung, die strafrechtlich (also mit staatlichen Machtinstrumenten) durchgesetzt wird. 

 

liberale Strömungen

Liberalistische Strömungen (von libertas = Freiheit) betonen im Unterschied zu den fundamentalistischen Strömungen vor allem zwei Punkte: 

 

a) Sie gehen davon aus, dass religiöse Texte (in diesem Fall: der Koran) zwar "das Wort Gottes offenbart" und "eine göttliche Wahrheit" enthält. Gleichzeitig sehen sie aber auch, dass die diese Wahrheit immer in einem bestimmten kulturellen und geschichtlichen Kontext "verschriftlicht" worden ist. Demzufolge müssen religiöse Texte immer auch historisch-kritisch gelesen und interpretiert werden. Absolut gültig oder verpflichtend ist der "religiöse Kern". Was das aber ist, muss zu jeder Zeit neu diskutiert und definiert werden. 

 

Im Hinblick auf Frauenrechte heißt das: Der Koran spiegelt das gesellschaftliche Rollenmodell einer patriarchalen Wüstenreligion im 8. Jh. Im 21. Jahrhundert sind die Lebensverhältnisse und der Wissensstand ein völlig anderer. Demzufolge muss die Beziehung zwischen Mann und Frau und über Frauenrechte auch vor diesem Hintergrund reflektiert und diskutiert werden. 

 

b) Liberalistische Strömungen basieren alle auf einer Art "Aufklärung", die den Verstand des Einzelnen und die Fähigkeit des Einzelnen, in religiösen Fragen Entscheidungen zu treffen und diese zu verantworten, ins Zentrum stellt. Damit verlieren religiöse Autoritäten einen guten Teil ihrer Legitimation. Die einzelne Frau hat also diesem Verständnis zufolge das Recht, selbst darüber zu entscheiden, wie sie mit ihren religiösen Pflichten umgeht, wie sie sie deutet und wie sie sie lebt. Und sie kann und muss sie selbst vor Gott verantworten. 


Die Diskussion um ein Stück Stoff: Factsheet

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Kopftuch in Diskussion
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