Evolutionäre Erkenntnistheorie

VertreterInnen 

Die Vertreter der evolutionären Erkenntnistheorie sind in den meisten Fällen "hauptberuflich" NaturwissenschaftlerInnen, v.a. BiologInnen. Dazu zählen z. B.: 

Erkenntnistheoretischer Ansatz

Facettenauge (Bildquelle: Wikipedia): Sinnesorgane und Nervensystem beeinflussen unsere Erkenntnis von Welt.
Facettenauge (Bildquelle: Wikipedia): Sinnesorgane und Nervensystem beeinflussen unsere Erkenntnis von Welt.

Hintergrund

 

Eine wissenschaftliche Theorie, die das Denken der letzten 100 Jahre ganz fundamental beeinflusst und geprägt hat, ist die Evolutionstheorie, die auf Charles Darwin zurückgeht.

 

Die Evolutionstheorie - die in der Biologie inzwischen zu den am besten bestätigten Theorien gehört und für die eine Unzahl an Belegen gefunden worden ist - prägt nicht nur das moderne Verständnis der Geschichte unseres Planeten und v. a. der Lebewesen auf diesem Planeten auf eine vollkommen neue Art und Weise. Die Evolutionstheorie lässt auch den Menschen in einem vollkommen neuen Bild erscheinen und gibt der philosophischen Anthropologie daher vollkommen neue Impulse 

 

Die Evolutionstheorie ermöglicht eröffnet darüber hinaus auch vollkommen neue Ansätze, was das menschliche Erkenntnisvermögen und dessen Grenzen betrifft. Mit der Frage, ob und inwieweit die menschliche Evolution den Prozess des Erkennens (oder einfacher: den Blick auf die Welt) beeinflusst, prägt und ihm Grenzen setzt, beschäftigt sich die evolutionäre Erkenntnistheorie. Ihre Wurzeln liegen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als ihr Begründer gilt Konrad Lorenz. Heutige wichtige Vertreter, die meistens ursprünglich aus der Biologie kommen, sind Hoimar von Ditfurth, Gerhard Vollmer, Rupert Riedl und Franz Wuketits.

 

Eine philosophische Wurzel der evolutionären Erkenntnistheorie könnte man aber auch bei Kant sehen. Denn er ist es, der mit der Idee der angeborenen Anschauungsformen des Denkens - eben Raum, Zeit, Kausalität - zum ersten Mal auf die Möglichkeit verweist, dass uns angeborene Strukturen mitbestimmen, wie und bis zu welchem Grad wir etwas erkennen können.

 

Grundansatz der evolutionären Erkenntnistheorie

 

Bienen können ultraviolettes Licht sehen, Hunde können der Spur eines Menschen aufgrund seines Geruches folgen, Fledermäuse hören im Ultraschallbereich. Das Facettenauge einer Libelle zerlegt die Wirklichkeit in ein Mosaik von tausenden Einzelbildern. Da die Einzelaugen nur auf (fast) senkrecht einfallende Lichtstrahlen reagieren, kann auch die kleinste Bewegung wahrgenommen werden.

 

Es ist - von diesen Überlegungen ausgehend - nahe liegend, dass unser Bild von Wirklichkeit unmittelbar von davon abhängig ist, wie unsere Sinnesorgane - Auge, Ohr, Geruchsinn, Hautsinn, Geschmacksinn - uns Informationen über diese Wirklichkeit zugänglich machen. Zwar können wir heute die Begrenztheit unserer Sinne mithilfe technischer Entwicklungen relativieren - und so beispielsweise mithilfe technischer Apparaturen Radiowellen oder Röntgenstrahlen aufspüren -, an der prinzipiellen Begrenztheit unseres Zugangs zur Wirklichkeit ändert dies ebenso wenig wie ab der Tatsache, dass wir Wirklichkeit aufgrund der Andersartigkeit unserer Sinnesorgane anders erfahren müssen als eine Libelle, ein Hund oder eine Fledermaus.

 

Die evolutionäre Erkenntnistheorie geht jetzt davon aus, dass unsere Sinnesorgane sich so entwickelt haben, dass sich unsere Überlebenschancen in unserer Umgebung erhöhen. Evolutionsbiologisch gedacht, war es sinnvoll, ein Sensorium dafür zu entwickeln, dass sie ein Säbelzahntiger der eigenen Hütte nähert, während es keinen Überlebensvorteil gebracht hätte, elektromagnetische oder radioaktive Strahlung wahrnehmen zu können, zumal diese sich in der Umgebung der Urmenschen praktisch niemals geändert hat.

 

Vertreter der Evolutionären Erkenntnistheorie bezeichnen diesen Prozess als Passung. Passung hat drei Aspekte:

 

  • Unser Wahrnehmungsapparat und unser Verstand passt in dem Sinn auf die Welt, wie ein Werkzeug zu einem Werkstück passt: das menschliche Auge "passt" zum Tageslicht (während sich bei Lebewesen, die in dauernder Dunkelheit leben, keine Augen ausbilden), das menschliche Gehör "passt" zur akustischen Umgebung zumindest der Menschen der Steinzeit (während unsere Ohren für die andauernden Schallorgien aus moderenen mp3-Player viel zu empfindlich sind), ...

 

  • Unser Wahrnehmungsapparat und unser Verstand passen in dem Sinn auf die Welt, als dass sie uns ein Überleben in dieser Welt ermöglichen. Der Geschmacksinn ermöglicht, genießbare von ungenießbaren, weil verdorbenen Nahrungsmitteln zu unterscheiden, der Geruchsinn macht uns auf das Feuer, das sich in unserer Nähe ausbreitet, aufmerksam, der Sehsinn und der Hörsinn warnen uns vor potentiellen Gefahren und ermöglichen es uns, Nahrungsmittel aufzustöbern, den Geruchsinn brauchen wir als erotisches Stimulans für die Fortpflanzung, ... Alles, was wir über die Sinne wahrnehmen, ist aber lediglich subjektive Struktur. In der Natur gibt es elektromagnetische Wellen, aber keine Farben, keine Töne, keinen Geruch.

 

  • Schließlich passen einige subjektive Strukturen aber auch so zur tatsächlichen Welt, dass sie mit ihr übereinstimmen. Beispielsweise sehen wir die Welt dreidimensional und wissen aus der Physik, dass sie - zumindest solange wir nicht in Dimensionen der Lichtgeschwindigkeit vordringen - tatsächlich dreidimensional ist. Wenn wir unterschiedliche Farben wahrnehmen, wissen wir, dass ihnen elektromagnetische Wellen unterschiedlicher Länge entsprechen. Wenn wir unterschiedliche Töne wahrnehmen, wissen wir, dass ihnen Wellen unterschiedlicher Frequenz in der physikalischen Welt entsprechen... Diese Form der Übereinstimmung nennen wir Isometrie.

 

Verallgemeinernd können wir sagen: Wenn wir Unterschiede wahrnehmen, gibt es auch Unterschiede in der Realität. Aber umgekehrt gilt nicht, dass alle Unterschiede, die es in der Realität gibt, von uns auch tatsächlich wahrgenommen werden.

 

Für die Frage, ob unser Erkenntnisapparat (Sinne und Verstand) mit der tatsächlichen Welt übereinstimmt, ist folgende Überlegung wichtig:

 

Im Allgemeinen sind mit der Wirklichkeit übereinstimmende Wahrnehmungen und mit der Wirklichkeit übereinstimmende Hypothesen über die Wirklichkeit für die Arterhaltung besser als falsche. Falsche Wahrnehmungen und falsche Hypothesen über die Wirklichkeit werden, wenn ihre Falschheit für das Überleben relevant ist, eliminiert. Hypothesen werden beibehalten, wenn sie für das Überleben des Individuums oder der Art einen Vorteil bieten.

 

So hat sich unser Erkenntnisapparat in vielen Millionen Jahren an die Umwelt, in der wir leben, angepasst. Insofern könnte man auch im Rahmen der Theorie der evolutionären Erkenntnistheorie von "angeborenen Ideen" sprechen.

 

Allerdings ist die Welt, an die sich unser Erkenntnisapparat angepasst hat, nicht die ganze Welt, sondern nur die "Welt der mittleren Dimensionen". Weder im Bereich des ganz Kleinen (Mikrokosmos, Welt der Atome), noch im Bereich des ganz Großen (Makrokosmos, Universum) hätte die Erkenntnisfähigkeit besondere evolutionäre Vorteile geboten, weil wir in diese Bereiche - zumindest vor der Fähigkeit zur Spaltung von Atomen und zur Entwicklung von Raketen - sowieso nicht eingreifen hätten können. Und so ist es im Rahmen der evolutionären Erkenntnistheorie auch kein Wunder, dass wir uns zwar in der Welt unserer normalen Umwelt mithilfe unseres Verstandes und unserer Sinne relativ gut zurecht finden. Das gilt für den Bereich der Atomphysik, wo wir uns schwer tun, uns Elektronen, Positronen, Neutronen und ihre Wechselwirkung vorzustellen, von Quanten und Quantensprüngen oder Quarks ganz abgesehen. Und das gilt für den Bereich der Kosmologie, wenn wir schnell an die Grenzen unserer Einsichtsfähigkeit kommen, wenn wir uns die Unendlichkeit des Universums oder die Existenz von Milliarden von Milchstraßen mit Milliarden von Sonnen und Sonnensystemen vorstellen sollen; oder wenn wir die Frage stellen, was den eigentlich vor dem Urknall gewesen ist. 


Arbeitsaufgaben 

A1: Mache eine Recherche zu einem Vertreter der Evolutionären Erkenntnistheorie. Verfasse ein Mindmap (eine Seite) mit Informationen über Biographie und über Forschungstätigkeit / wissenschaftliche Karriere und einer knappen Werkübersicht. 
A2: Vertreter der Evolutionären Erkenntnistheorie behaupten, dass evolutionäre Anpassung und Selektionsvorteile auch die Art, wie wir Wirklichkeit wahrnehmen, beeinflusst haben. Wie begründen sie ihre Position? Welche Beispiele können sie als Belege anführen? Wie würden Vertreter der Evolutionären Erkenntnistheorie denken / weiterfragen / argumentieren, wenn es um ethische Fragen (Unterscheidung von "Gut" und "Böse" in einem moralischen Sinn) oder um theolgische Fragen (Existenz göttlicher Entitäten) geht?
A3: Was bedeutet "Passung"? Was für Konsequenzen hat das Konzept der Passung für die Fragen "Was ist Wahrheit?" und "Können wir Wahrheit erkennen?"

Quellen und Internet-Links