Gleichheit als Menschenrecht

“ Alle Menschen sind frei und gleich an Rechten und Würde geboren“

(UN-Menschenrechtserklärung von 1948)

 

Definition „Gleichheit“

 

  • Der Grundwert Gleichheit ist neben Menschenwürde und dem Grundwert Freiheit der dritte zentrale Wert aller Menschenrechtserklärungen.

 

  • Der philosophische Begriff der Gleichheit meint nicht eine absolute Gleichheit der Menschen, sondern eine fundamentale Gleichwertigkeit von Menschen unabhängig von bestimmten, klar definierten weiteren Merkmalen wie z.B.: Religion, Hautfarbe, ethnische Zugehörigkeit...

 

  • Das heißt, Gleichheit meint ein Diskriminierungsverbot (diskriminere = unterscheiden) aufgrund bestimmter definierter Merkmale. Zu diesen Merkmalen zählen ursprünglich (18./19. Jh. Religionszugehörigkeit und Stand, seit dem 19./20. Jahrhundert ethnische Zugehörigkeit (früher: Rasse) und Geschlecht sowie seit dem 20/21. Jahrhundert sexuelle Orientierung, Behinderung, Alter)

 

  • Absolute Gleichheit im Sinn von Gleichförmigkeit / Identität / Entindividualisierung / Uniformität entspricht nicht der westlichen Definition von Gleichheit. [Solche Zwangs-Entindividualisierungen hat es sowohl in faschistischen Diktaturen als auch in kommunistischen Diktaturen wie unter Mao in China, … gegeben]

 

  • Die Grundwerte Gleichheit und Freiheit befinden sich in einem impliziten Spannungsverhältnis. Weder Gleichheit noch Freiheit sind als absolute Rechte denkbar. Beide kann man nur als Abwägungsrechte widerspruchsfrei definieren. Wo die Grenzen von Gleichheit sind, ist gesellschaftlich umstritten. Ebenso umstritten ist, in welchen Bereichen und inwieweit der Staat Gleichheit aktiv über Gesetze herstellen muss. 

    Es gibt Gesellschaften, die traditionellerweise der Freiheit in vielen Bereichen Vorrang vor dem Wert Gleichheit einräumen (liberale Gesellschaften wie USA, GB, tw. Schweiz).

    Es gibt Gesellschaften, die mit starkem staatlichem Zwang gesellschaftlicher Ungleichheit entgegenwirken. Historisch haben die kommunistischen Gesellschaften der Gleichheit starken Vorrang vor der Freiheit eingeräumt.

    Das westeuropäische Sozialstaats-Modell kann als Versuch, Freiheit und Gleichheit in eine ausgewogene Balance zu bringen, verstanden werden. 

 

Gleichheit historisch betrachtet:

 

  • Philosophische und religiöse Wurzeln der Gleichheitsidee finden sich teilweise in der Antike (Demokratie; Idee des Bürgers) und im Christentum oder im Islam (Gott für alle Menschen; alle Menschen als Geschöpfe Gottes). Beide Philosophien sind aber im Hinblick auf ein modernes Gleichheitsverständnis ungenügend: Die Antike privilegiert Bürger gegenüber Unfreien und Sklaven. Christentum und Islam privilegieren teilweise bis heute die Gläubigen gegenüber den Ungläubigen.  Weite Teile des Christentums und des Islam akzeptieren grundlegende Normen im Hinblick auf die Gleichheit von Männern und Frauen bis heute nicht. Das Christentum und der Islam stehen in feudalen Gesellschaftssystemen lange Zeit und teilweise bis heute im Dienst der Mächtigen 

  • Das moderne Gleichheitsverständnis wurzelt in der Aufklärung (18. Jh.) Sie definiert den Menschen als „vernunftbegabtes Wesen“; Vernunft als zentrales wesensbestimmendes Merkmal des Menschen --> alle Menschen sind gleich insofern als dass alle Menschen über Vernunft / Verstand verfügen.

 

  • Am Beginn der Moderne stehen weltanschauliche Richtungen, für die der Einzelne und seine Leistung im Zentrum des Menschenbildes stehen (Calvinismus // Protestantismus // Industrialisierung // englischer Liberalismus). Das heißt, dass nach diesem Verständnis Leistung über den gesellschaftlichen Status entscheidet; das Leistungsprinzip löst das Geburtsprinzip ab. Gleichheit wird in diesem Zusammenhang als Gleichheit von Chancen (Chancengleichheit bei der Geburt) verstanden.

 

Worum es genau geht, wenn bestimmte Personengruppen Gleichheit politisch einfordern, hat sich historisch verändert und hängt von den jeweiligen politischen und sozialen Rahmenbedingungen ab. 

  • Aufklärung, 18. Jh.: fordert Gleichheit der Stände (Bürgertum / Adel); fordert Gleichheit unabhängig von der religiösen Überzeugung (Protestanten, Katholiken, Juden); aber zunächst kein Problem mit Diskriminierung von Schwarzen // Sklaverei (Schwarze als 3/4-Menschen è Sklaverei widerspricht den MR nicht); kein Problem mit Diskriminierung von Frauen (Olympe de Gouche wird hingerichtet, weil sie politische Rechte für Frauen fordert)
  • 19. Jh / 20. Jh: erste Frauenrechtsbewegungen; fordern gleiche Rechte für Frauen (Frauenwahlrecht; setzt sich in vielen Staaten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs durch); Bewegungen, die gleiche Rechte für ethnische Minderheiten (z. B. Schwarze, indigene Bevölkerung, …) fordern. Die Durchsetzung ist ein viele Jahrzehnte dauernder und bis heute nicht abgeschlossener Prozess. 
  • 20. Jh: fordert gleiche Rechte für Menschen mit einer Behinderung (seit den 70er-Jahren); fordert gleiche Rechte für Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung (seit den 80er-Jahren)
  • 21. Jh: keine Diskriminierung aufgrund des Alters (Lissabon-Vertrag)

 

 Was sind gleiche Rechte? / Ebenen am Beispiel der Forderung nach Gleichheit für Frauen

 

  • Gleichheit auf der politischen Ebene // keine rechtliche Diskriminierung (z. B. Frauen: kein rechtl.  Ausschluss von bestimmten Berufen, z. B. Polizei, Bundesheer, …; keine Diskriminierung in der Ehe) è Diskriminierende Gesetze müssen abgeschafft werden

 

  • Gleichheit auf der gesellschaftlichen Ebene // soziale Rechte // Maßnahmen gegen soziale Diskriminierung (z. B. nur zwei Prozent der UniversitätsprofessorInnen sind Frauen; Gläserne Decke; keine Lobbys / keine Netzwerke; familiäre Rollenverteilung als Aufstiegs-Hindernis;  è Einkommensunterschiede zw. Männern und Frauen sind in Ö. innerhalb der EU am zweithöchsten) è Frage nach richtigen Maßnahmen (Quotenregelungen, Kinderbetreuung, ...)

 

  • Gleichheit in den Köpfen (diskriminierendeDenkmuster / Traditionen / Vorurteile hinterfragen) è z. B. geschlechtersensible Sprache; Rollenstereotype z. B. in Schulbüchern hinterfragen; Medienberichte; Role-Models; …

 

  • Gleichheit in den Traditionen // Narrativen (Hinterfragen der kulturstiftenden Erzähl-Traditionen; z. B. Suche nach Frauen-Figuren in der Philosophie-Geschichte, in der Bibel, Matriarchats-Forschung ….) Simone de Beauvoir: „Mythen sind zu hinterfragen auf die Menschen, die dahinterstehen“; patriarchale Kulturen entwickeln patriarchale Mythen / Narrative; in patriarchalen Kulturen ist der Mann die Norm, die Frau die Abweichung von der Norm; Wissenschaft, Medizin, Literatur, … sind patriarchal überlagert.

 


Arbeitsaufgaben

A1:
In welchem Zusammenhang ist heute von der Verletzung von Gleichheitsrechten und von Diskriminierung die Rede? Welche Ebenen sind dabei betroffen? Was sind Ursachen für die Verletzung dieser Gleichheitsrechte? Was sind Ansätze zur Durchsetzung von Gleichheitsrechten?

 

Spiele für eine der folgenden Personengruppen die Frage nach Gleichheitsrechten / Diskriminierungsverbot durch. Recherchiere gegebenenfalls im Internet:

 

  • Menschen in Österreich mit einer anderen Muttersprache (anerkannte Minderheiten <--> Migranten)
  • Roma in der EU (z. B. Rumänien, Bulgarien, Österreich, Frankreich, ...)
  • Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung
  • Menschen mit anderer ethnischer Zughörigkeit, z. B. dunkler Hautfarbe, 
  • Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung 

A2: 
Der Begriff "Gleichheit" ist mehrdeutig. Eine gegensätzliche Positionierung ist z. B. Gleichheit im Sinn von Uniformität versus Gleichheit im Sinn von Individualität. Eine andere gegensätzliche Positionierung ist absolute Gleichheit versus Chancengleichheit. Eine weitere gegensätzliche Positionierung ist absolute Gleichheit versus Gleichheit im Sinn eines Diskrimnierungsverbots. Was versteht man jeweils darunter? In welchem Sinn verwenden wir "Gleichheit" im Menschenrechts-Diskurs. 

 

A3
Das Menschenrecht auf Gleichheit bezieht sich auf fundamentale Merkmale / Attribute. Es ist aber kein absolutes Recht und wesentlich schwächer als z. B. Staatsbürger-Rechte.
A. kommt aus Brasilien. Er ist vor zwei Wochen mit einem Touristen-Visum nach Österreich eingereist. Er würde gerne in Österreich bleiben und hier studieren. Worauf hat er unter dem "Gleichheits-Titel" im Sinn eines Menschenrechts Anspruch?  Worauf hat er keinen Anspruch? 

 

A4: Wenn es um Gleichheitsrechte geht: Welche Aufgabe hat der Staat? 

 

A5: Lies die Standard-Kommentare von Frau Kugler und Frau Mayerhofer zur Frage, ob es mehr Gesetze zum Schutz vor Diskriminierung (rechtliche Diskriminierungsverbote) brauche. Fasse die zwei konträren Grundpositionen möglichst knapp und dicht in eigenen Worten (Kernaussage) zusammen. 


Internetlinks